Frederick | Terna |
Frederick Terna was born Friedrich Arthur Taussig in 1923 in the 19th district of Vienna. He moved with his family to Prague in 1927. After the invasion of the Wehrmacht, Terna was thrown out of school and in 1941 was imprisoned by the Gestapo. He was interned in several camps, including Linden bei Deutsch-Brod and the Auschwitz and Kaufering concentration camps. After his liberation, Terna returned to Prague as the only survivor in his family. In 1946, he fled to France and from there to Canada. He moved to New York City in 1952 where he was living as an artist at the time of his interview. |
Full interview
Part 1 |
Part 2 |
Part 3 |
Part 4 |
Part 5 |
Part 6 |
Part 7 |
Part 8 |
Part 9 |
Part 10 |
Part 11 |
Part 12 |
Part 13 |
in chronological order
Teil 1
28. Juli 2008
PR: This is an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Frederick Terna, conducted by Philipp Rohrbach on July 28th 2008, in Mr. Terna’s house. Herr Terna, können Sie mir bitte Ihre Lebensgeschichte erzählen?
FT: Ja. Bin 1923 in Wien geboren, und spezifisch in Wien-Döbling, und…wo unsere Familie wohnte…Friedlgasse 49. [Lacht.] Wir wohnten ständig in Wien, bis ungefähr 1927, und übersiedelten dann nach Prag. Und lebten im Wesentlichen in Prag, von dann bis zum Anfang des Krieges. Und…bis zum Krieg…das heißt, ich wurde am dritten Oktober [19]41 eingesperrt. Das war das Ende für mich in Prag.
Dazwischen waren noch andere Ereignisse, aber angefangen hat es in Wien. Mein Bruder war in Wien geboren, meine Mutter, mein Großvater – nicht nur meine Mutter, sondern alle ihre Geschwister. Da waren sechs Onkel…drei Onkel und drei Tanten. Von der Familie haben fast alle den Krieg überlebt. Das heißt, es gelang denen, zur rechten Zeit Österreich zu verlassen, oder Wien zu verlassen. Und jeder hatte ein anderes Geschick. Manche wurden vom Krieg eingeholt, zum Beispiel in Holland. Zwei Onkel waren in Holland…Tanten. Meistenteils konnten nach, was damals noch nicht Israel war…war damals noch Palestine…entfliehen, und wir waren…wir, die Taussig Familie – ich muss das noch korrigieren. Ich war als Friedrich Arthur Taussig geboren. T-A-U-S-S-I-G. Mein Bruder war Tomas, und mein Vaters name war Johann Taussig. Ein offizieller Name. Der Name Taussig wurde dann zu Terna geändert – das ist eine andere lange Geschichte, die vielleicht nicht hier dazu gehört, das sollte später kommen. In Prag ging ich in die Schule – Volksschule –, später in das Deutsche Staatsrealgymnasium, in der Stefansgasse, und wurde dann Ende [19]38, Anfang [19]39, aus der Schule herausgeworfen…durfte nicht mehr in die Schule gehen, weil ich Jude war. Und das war das Ende meiner offiziellen Erziehung. Ich habe nachher noch was dazugelernt, aber ich kann nicht beweisen, dass ich in die Elementarschule gegangen wäre. Meine Mutter starb 1932 an einer Lungenentzündung, welche damals noch nicht kurierbar war. Die ersten Medizinen, die wirklich halfen, waren Sulfa-drug [mein: Sulfonamide, Anm. d. Red.]…Sulfa, S-U-L-F-A, die bestanden damals noch nicht. Es war wirklich…und wiederum, es gab verschiedene Arten von Lungenentzündung, und ich bin mir…ich war damals noch zu jung, um überhaupt zu wissen, was da vorging.
1/00:05:05
Mein Vater heiratete nicht nach Mutters Tod. Wir wohnten zuerst in Vaters Haus. Da waren Leute, die uns…nannies…ich weiß nicht, was das für…wie das deutsche Wort wäre…und das funktionierte nicht so gut. Daraufhin wurden wir…waren wir in Kost und Logis, das heißt Wohnung und Ernährung…Ernährung in den Familien, die nahebei waren. Und wir alle, Großeltern, mein Vater und wir…lebten alle wie…innerhalb eines kleines cube, eines kleinen geografischen Kreises in Prag. Weinberge…sozusagen hinter dem Museum. Heute, wenn ich vor dem Museum stehen könnte, und das Haus noch sehen. Diese Familie war sehr, sehr nett, sehr lieb. Die waren Hussiten, das heißt protestantische tschechische Leute. Die Frau war eine Witwe, sie stammte aus der Schweiz. War eine gute…ich war gut aufgehoben, sowohl als auch mein Bruder. Die Familie blieb eine Einheit, obwohl wir nicht in…mit meinem Vater in derselben Wohnung wohnten. Die Verbindung war so knapp – oder geografisch so knapp –, dass da ständiges Treffen war. Mein Vater und ich hatten ein sehr gutes Verhältnis, und…da nehme ich sozusagen Sachen voraus: Ich verdanke mein seelisches Überleben des Krieges meinem Vater. Ich war von ihm gut instruiert, und gut unterrichtet. Ich wusste…wir sprachen Sachen…obwohl ich damals noch ziemlich jung war, wusste ich…war ich politisch sehr, sehr wach, oder gut informiert. Sachen, die vorgingen, wurden besprochen. Politische Sachen, welche vorgingen, wurden ständig besprochen. Philosophie, Ethik…ich habe von meinem Vater eine gute philosophische Basis bekommen, so, dass wenn der Krieg dann in seinem vollen Angriff da war, hatte ich gar kein Problem. Wer ich wäre, was meine Ideen wären, was meine Ideale wären, was ist die richtige Art zu leben? Und die Dummheiten und Schlechtigkeiten des Nazi-Regimes waren mir gut bewusst. Ich weiß, wie wichtig es war, während des Krieges ein gutes Selbstbild zu haben. Ich war mir dessen nicht so bewusst, es war ganz einfach dort. Zurückblickend weiß ich, wie wichtig es war. Ich spreche nur in ganz groben outlines…soll ich weitersprechen? Ja.
Wir wurden aus der Schule herausgeworfen, und unterrichten war verboten. Ich habe in den Notizen, die ich da gegeben habe, ein…eine dieser notes ist über Erziehung. Wie schwer es war, wie gefährlich es war, jüdische Kinder zu unterrichten. Und es war sozusagen ein geheimer Unterricht. Aber die Eltern – nicht nur mein Vater – wussten wie wichtig es wäre, weiter Instruktionen zu geben. Viele Sachen habe ich leider nie gut erlernt. Ich weiß, dass…in meiner Schule war es zum Beispiel durch Chemie und Biologie…habe ich nie etwas Anständiges gelernt. Ich weiß, dass viele der Sachen nicht nur überständig waren, sogar falsch waren. Besonders in Chemie. Nach dem Krieg habe ich das sozusagen wieder ein bisschen aufgefangen.
1/00:10:07
Am dritten Oktober, in 1940…[19]39, [19]40, bin mir über die Daten nicht genau bewusst…hatte mein Vater falsche Papiere für mich herbeigeschafft, und ich lebte ungefähr 50 Kilometer weg vom Park in Wien…in einem Dorf als Assistent. Nein, das ist das falsche Wort. Aber sozusagen der persönliche…der Mund des Pächters. Der Mann hatte ein…das Gut der Grafen Lobkowitz gepachtet. Es war ein ziemlich großer Besitz, der hat das einfach…als Pächter, hat er das bebaut, und damals existierten kein Gasolin mehr, kein Benzin mehr für Wagen. Folglich war alles auf…per board. Das heißt, ich hatte ein Fahrrad, und ging in das Feld und habe gesagt: „Das und jenes.“ Ich war sozusagen der Mund des Besitzers…des Pächters. Eines Tages…mein Vater war sehr, sehr gut informiert…kam jemand, sagt: „Du musst sofort nach Hause! Nicht warten, nicht fünf Minuten, raus! Zurück! Schnell!“ Und ich bin auf das Fahrrad gesprungen, und nach Prag zurückgefahren. Kam an, und eine Stunde später kommt die Gestapo [Geheime Staatspolizei] zur Tür, läutet an, und sagt: „Wo sind Ihre Söhne?“ Vater sagt: „Sind beide hier. Welchen wollen Sie sprechen?“ „Den Älteren.“ Sagen sie: „Wer bist du? Hast du Dokumente?“ Sage ich: „Ja!“ Ich hatte welche: die richtigen, nicht die falschen. Und es scheint, dass jemand in Lobkowitz…das Dorf fühlte, dass etwas da nicht stimmte mit mir. Und hat mich angespitzelt, angegeben bei der Polizei, und die haben mich dann erfasst. Aber ich bin…das war irgendwann im Sommer…im Frühjahr [19]41…ja, wurde ich dann plötzlich verhaftet, von der Gestapo. Und zweimal…an zwei verschiedenen Daten. Sozusagen eine Woche inzwischendurch. Ich war in deren Polizeigefängnis, wurde interviewt, sehr, sehr schlecht angeschrien. Eine der Sachen, die ich verdrängt habe. Ich erinnere mich sehr schwach an diese Zeiten. Ich weiß nur, dass ich in beiden Situationen ohnmächtig wurde, und dann in meiner Zelle aufwachte. [19]41 war ich noch nicht achtzehn Jahre, war noch siebzehn Jahre alt, und ich glaube, dass die Gestapo nicht wusste, warum sie mich eingeholt…eingezogen hatten. Und warfen mich ganz einfach vor die Tür…das zweite Mal herum. Die haben mich Sachen gefragt, über die ich keine Ahnung hatte. Ich habe wirklich keine Ahnung, was es war.
Später im Jahr, am dritten Oktober 1941, wurde ich eingezogen in das erste KZ [Konzentrationslager]. Das war offiziell das Lager Linden bei Deutsch-Brod. Offiziell ein Arbeitslager. In gewisser Hinsicht ein gutes Lager, denn niemand wurde getötet dort, das wurde woanders getan. Dass im Lager selbst schwere Arbeit, hauptsächlich Landwirtschaft, Straßenbau…Sachen, welche in einem großen Gutshof gemacht wurden. Das Lager bestand aus ungefähr 300 Leuten, unter denen ich der Jüngste war. Das waren wesentlich frühere Studenten, der Älteste unter ihnen, der alte Mann – quote unquote – war 35 Jahre alt. Die meisten waren in den Zwanzigern. Ich war noch nicht ganz achtzehn, als ich in das Lager kam. Und war dort bis 1943, vom Oktober [19]41 bis zum März [19]43. Und das Lager wurde liquidiert, das sind…die Liquidation des Lagers ist eine andere Geschichte. Nicht eine persönliche, aber eine andere. Es sei denn, dass ich von den Lagerereignissen betroffen wurde. Im März 1943 im Transport CV608…im CV-Transport wurden wir nach Prag…nein, erst nach Prag eingeliefert, dann bekamen wir Transportnummern, in meinem Fall CV608, und nach Theresienstadt.
1/00:16:27
In Theresienstadt, darüber würde ich…natürlich könnte man viel sprechen…war ich bis September [19]44, und von dort in einem Transport nach Auschwitz. Ich habe die Transportnummern, wenn Sie das interessieren würde…nicht genau, nur das kann man nachlesen. Und von Auschwitz nach Verhältnis…in Auschwitz aus dem Transport, als arbeitsfähige Person nicht ins Gas geschickt, und von…um die Zeit, das heißt, Ende 1944, konnte man schon die Front hören. Das heißt, in der Nacht konnte man das Donnern von der Artillerie hören. Es war kein Zweifel, dass die Russen in der Richtung kommen würden. Und Auschwitz wurde geschlossen. Manche Leute wurden auf einem Marsch, auf Fußmärschen, weggeschickt, wer auch immer nicht getötet wurde. Wir waren…ich war in einem Transport, der in einen Zug verladen wurde. Und der Zug ging, nach etlicher Zeit, nach Bayern – spezifisch südlich von Landsberg, bei Kaufering. Kaufering ist ein Ort westlich von München, heute praktisch eine Vorstadt, so sagt man mir. Und in eines der Lager, welche alle Kaufering Nummer eins, zwei bis dreizehn hatten, und waren Arbeitslager, offiziell, um unterirdische Hangars oder Fabriken zu bauen. Ja, das war schon Ende [19]44, Anfang [19]45.
Von allen Lagern in welchen ich war, außer Auschwitz, wo man, wenn man nicht umgebracht wurde…Kaufering war das schwerste Lager, in welchem ich war. Das heißt, lange, lange Stunden schwere Arbeit, langes Marschieren, kaum je genug Schlaf, und fast nicht genug zum Essen. Garantierter Tod innerhalb von drei, vier Monaten. Im April…dann. In Kaufering…und ich weiß nicht mehr, welche Nummer das war, zwei oder…Typhus brach aus, und die Nazis [Nationalsozialisten] hatten Angst, selber von der Typhusepidemie…angegriffen oder betroffen zu werden, und alle Typhuskranken wurden im Lager Nummer Vier, Kaufering Vier, zusammengebracht. Kaufering Vier wurde dann…war sozusagen offiziell ein Krankenlager – offiziell. Aber, als der Krieg zu Ende kam…das heißt, schon im April…und darin wiederum hörte man die frontline kommen, wurde Vier evakuiert. Die meisten Leute konnten nicht mehr gehen. Ich glaubte, auch nicht mehr gehen zu können, und ein SS [Schutzstaffel]-Mann hat mir das Leben gerettet, indem er einfach eine Pistole unter meine Rippen geschoben hat, hat gesagt, „Auf!“, und ich konnte aufstehen. Und aus dem Lager herausmarschieren in einen Zug. Der Zug liegt hinter dem Lager, die hatten die Stacheldrähte weggenommen, abgezwickt, und der Zug, in dem…wir waren schon in ziemlich schlechtem Zustand, und ich hatte große Angst, dass man mich…dass wir in dem Zug mit Maschinengewehren getötet würden. Und ich fand ein Stück Eisen am…es war alles in der Mitte der Nacht. Geschrei, Hunde, Scheinwerfer, typische Situation, und wie die versucht haben, den Wagen, den Lastwagen…wir waren hereingepfercht in diesen Wagen…war ich am ganz letzten, in dem…während ich hereinschieben ließ, mit der Absicht die Tür zu blockieren. Und das gelang mir auch. Und wie die versucht hatten, das Tor zu schließen, habe ich das sozusagen…eingespaltet? Nein--
PR: --dazwischengeschoben?
FT: --dazwischengeschoben, durch das Tor. Die haben geschrien: „Macht die Tür zu! Mach sie auf!“, und großes Geschrei draußen. Dann irgendein Bonze sagt: „Wozu seid ihr da, Wachmannschaften, ihr seid doch auf dem Zug?!“ Und der Zug fuhr weg. Kurze Distanzen nur, alles das circa zwei, drei, vier in der Früh, und in der Mitte Winter. April war ein schwerer Winter.
1/00:22:36
Und plötzlich wurde der Zug angegriffen von Flugzeugen. Das waren offensichtlich amerikanische Flugzeuge, welche einen Zug sahen, der da auf einer kleinen Seitenbahn von Augsburg nach dem Süden fuhr. Und die haben das angegriffen, wussten nicht, wer da drin war, und haben den Zug ziemlich schlecht beschossen. Der Zug kam fast zum Stehen, und ich sprang heraus, und warf einem Freund von mir – Tommy Mandel –, der in dem…irgendwo erscheint…denn ich brauchte jemanden, um aufzustehen, ich konnte vom Boden nicht alleine aufstehen. Glücklicherweise war der Schnee noch ziemlich tief, und es war sozusagen ein Hang an der…der Zug war, ich weiß nicht wie das zu beschreiben, aber es war nicht…nicht auf ebener Erde, sondern einem erhöhten Gebiet. Wahrscheinlich, weil es Teil des Lechfeldes war. Und fiel in den Schnee, und hinter einen großen Baum, und die Flugzeuge kamen noch immer wieder, und wir waren im Schatten von dem großen Baum. Tommy Mandel und ich. Andere Leute sind auch rausgesprungen und sind von den Flugzeugen mit…weiß ich, was für Maschinengewehre, oder was da benutzt wurde…die meisten Leute haben es nicht überlebt. Tommy und ich sind die einzigen Überlebenden von dem Wagen. Und Tommys Mantel, oder das gestreifte Pyjama, war mit durchgeschnitten. Der Rücken hatte nicht einen Kratzer. Und ich überhaupt nichts. Und--
PR: --das ist von einer Kugel, ist das--
FT: --das war, was es auch immer war, Schrapnell…keine Experten gewesen. Und dann wussten wir nicht, wie zu gehen…wohin zu gehen. Wir wussten beide, dass wenn wir dortblieben, würden wir erfrieren. Wir haben…ich wusste, da auf der einen Seite war ein Wald. Das wusste ich. Ich wusste nicht, wie tief der Wald war. Eine Sache, die man lernt, ist Geografie. Im Augenblick, wo man wo ankommt, das erste: Wo bin ich? Was ist die geografische Situation, wenn man weglaufen will? Aber, ich wusste da ist ein Wald. Auf der anderen Seite war das Lechfeld. Eine Schwemmebene vom Fluss, und damals noch mit Schnee bedeckt. Und in der Mitte war eine Landstraße.
1/00:26:09
Und Tommy sagte: „Wir müssen ganz einfach versuchen irgendwo einen Heuschober zu finden, irgendetwas, wir können nicht…draußen erfrieren wir.“ Und sind zu der Straße, in der Richtung gegangen, das ist zum Fluss, und sind prompt auf der Landstraße gefangen worden. Von einer Gruppe von uniformierten – neu uniformierten – jungen Leuten, nicht mal Siebzehn-, Achtzehnjährige, die man ganz einfach in Uniform gesteckt hatte. Und waren unter dem Kommando eines, wie ich zu sagen pflege, alten Herrn, der 60 Jahre alt war, vielleicht. Wollten uns dann nicht sofort erschießen, da hat er gesagt: „Sowas kann man nicht, da muss man Regeln folgen.“ Er wusste, dass die Amerikaner knapp hinter denen waren. Und gaben uns in ein anderes Lager ab. Haben uns gefangen, waren sehr…der alte Mann hat gesagt: „Die können nicht schnell genug gehen. Setzt sie auf den Wagen, und wir geben sie im nächsten, weiß nicht wo, so ab.“ Und haben uns abgegeben, bei Lager Nummer Eins. Lager Nummer Eins, Kaufering Nummer Eins. Landsberg war damals schon evakuiert, und teilweise…schon brennend, weiß nicht was dort alles brannte. Dort bin ich befreit worden, von Amerikanern.
Die Amerikaner – und ich sprach ein bisschen Englisch – haben mich und Tommy, und ein paar andere, nach Bad Wörishofen gebracht. Bad Wörishofen ist ein Kurort, der ein Lazarettort bekam. Die meisten großen Kurgebäude hatten Rote Kreuze auf der…denn nichts war zerstört. Die Amerikaner hatten ein kleines Gebäude beschlagnahmt, um uns hinzugeben. Lange Geschichte. Und damals wog ich 35 Kilo. War ziemlich knapp am Sterben. Und langsam, langsam habe ich mich herausgepeppelt, die Ärzte…zero…fine. Ich war eine Zeit lang in diesem…in dem Gebäude, das war wahrscheinlich beiseite gesetzt für wichtige Personen innerhalb der Naziorganisation. Und von dort eventuell nach…da ich nominell tschechischer Staatsbürger war, da ich aus Prag kam, hat…fassten mich die Tschechen, und sandten mich first mit Repatriationspapieren nach Kempten, in Schwaben. Dann war ich weiterhin hospitalisiert, und eventually nach Prag gebracht, noch auf einer Tragbahre. Und in Prag war ich hospitalized. Kurze Strecken, nicht hospitalisiert. Das war eine wilde Zeit…ich traf in Prag niemanden an. Meine Erfahrung nach Prag zurückzukommen war sehr, sehr negativ. Eventuell…im Wesentlichen sagen: „Du musst ein besonderer Halunke gewesen sein, das überlebt zu haben.“ Und hatten nichts zurückbekommen. Wohnung…der Grund, warum man in Prag nichts zurückbekam, waren die Sudetendeutschen. Denn wenn man den Juden etwas zurückgibt, hätten dann die Sudetendeutschen dasselbe Recht gehabt. Folglich hat man automatisch gesagt, das waren alles Kriegsgeschichten, und wir haben damit nichts zu tun. [19]46…ich habe geheiratet…meine erste Frau, Überlebende, von der ich hier nicht gesprochen habe. [19]46 war ich…hatten hier die Kommunisten übernommen, ich wollte nicht mehr unter den Kommunisten leben, sagte ich: „Ich habe meine Diktatur gehabt, einmal ist genug.“ Bin weggelaufen mit falschen Papieren, eine andere Geschichte. Und bin mit falschen Papieren nach Paris gefahren. Ich glaube ich sollte aufhören zu reden. Ich habe genug für jetzt.
1/00:32:06 [Übergang/Schnitt.]
5. August 2008
PR: This is part two of an Austrian Heritage Collection interview with Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on August 5th 2008, in Mr. Terna’s house. Herr Terna, wir sind das letzte Mal, als Sie mir Ihre Lebensgeschichte geschildert haben, bei Prag stehen geblieben. Und zwar haben Sie gesagt, dass Sie von Prag aus nach Paris gegangen sind, können Sie--
FT: --ja. In Prag war ich etliche Monate lang im Krankenhaus, und eingeliefert, nach Hause geschickt, zurück im Krankenhaus – man wusste nicht, was mit mir zu tun. Meine Muskeln waren noch nicht ganz funktionierend. Und in [19]46 habe ich Angst…erst einmal habe ich geheiratet, [19]46. Stella Horner. Sie haben die Daten auf dem Papier, das ich da aufgeschrieben habe. Stella…vielleicht sollte ich über Stella ein Momentchen sprechen. Sie ist das sprichwörtliche Mädchen um die Ecke. Das heißt die Horners haben in der Paradiesgasse gewohnt. Wir waren in der Friedlgasse. Die Eltern kannten einander, wie genau, weiß ich nicht. Aber ich würde sagen, es war eine gewisse Verbindung da. Zurückkehrend nach Prag, und das ist eine lange Geschichte, wie ich dann in Prag aufgenommen wurde, oder nicht aufgenommen wurde. Das ist ein Kapitel für sich selbst. Es waren…ein halbes Dutzend heiratsfähige Männer. Ein halbes Dutzend heiratsfähige Frauen, junge Frauen, und die Auswahl war verhältnismäßig klein. Das heißt, ich weiß nicht, warum ich nicht versuchte mit anderen Leuten, mit anderen jungen Frauen, zusammenzukommen, aber da war Stella. Sie war meine Freundin in Theresienstadt, einander zu heiraten war ganz logisch. Ich habe ihre Familie gekannt, sie kannte meine Familie, es war nicht, dass man eine fremde Person geheiratet hätte. In [19]46, und da…was ich da in Prag getan habe, oder nicht getan habe…aber ich hatte Angst, dass die Kommunisten ans Ruder kommen würden. Und ich war mir nicht bewusst, wie schnell das…herausgekommen ist, sozusagen der bessere Teil der Weisheit, und mit…sind mit falschen Papieren nach Frankreich abgefahren. Ich habe einen passport, einen regulären passport, bekommen. Aber, um aus der Tschechoslowakei auszureisen, musste ich – damals war ich 23 Jahre alt – Bewilligung von der Polizei, eine Bewilligung von der Militärbehörde haben…ein Ausreisevisum sozusagen. Dann brauchte man ein Transitvisum, um die amerikanische Zone zu überqueren, die französische Zone zu überqueren, und ein Eingangsvisum nach Frankreich zu bekommen. Habe nicht gewusst, was zu tun, ging zu einem früheren Freund der Familie, und habe ihm meine Geschichte erzählt. Der hat gesagt: „Wo ist der passport?“ Habe ich gesagt: „Hier.“ Sagt er: „Gib mir den passport.“ Habe ihm gegeben, das ist ein…ich weiß nicht, wie war das genau…tatsächlich. „Ich habe die Sachen für dich.“ Sage ich: „Wie hast du das gemacht?“ Sagt er: „Das ist ein Kinderspiel. Wir haben das den ganzen Krieg lang gemacht, falsche Stempel hergestellt.“ [Lacht.]
1/00:36:25
Bin mit falschen Papieren in Frankreich eingewandert, mit einem…nicht eingewandert, in Frankreich angekommen…offiziell auf einer Geschäftsreise, um bijouterie [Schmuck], das ist künstliche…bijouterie, wie übersetzt man das? Glaswaren, die eine Person tragen würde. Knöpfe, Broschen, nicht…Kunstschmuck. Das ist es, was es war. Das war eine große Industrie in Böhmen, vor dem Krieg. Und ich habe da Sachen aufgesammelt, ob…ganze Geschichte, so Karten hergestellt, als ob. Und nur, um sozusagen über die Grenze zu kommen. Warum meine Frau mitfuhr? Weil ich nicht Französisch sprach, und sie sprach Französisch. Ich brauchte jemanden, um mir zu helfen, in Frankreich. Ich sagte: „Mit Tschechisch kommt man nicht weit, aber Französisch, ja.“ Also ich…meine Frau sprach kein Französisch, ich sprach Französisch. [Lacht.] Das Ganze war ein großer Betrug. Und bin eingewandert…in Paris angekommen, dort sofort zu einer anderen Person gekommen: „Also ich bin hier ganz illegal, was mache ich jetzt?“ Sagte: „Sorg dich nicht, wir werden das alles arrangieren.“ Und es wurde aus…ich habe erst nur einen dreiwöchentlichen Aufenthalt gehabt, das wurde dann verlängert, weitere drei Wochen, sechs Wochen, und so weiter. Der Winter [19]46/47 war sehr, sehr kalt in Frankreich. Das war vor dem Marschallplan. Nicht genug Kohle, nicht genug Elektrizität, gar nichts. Alles nur…Speisekarte ist das falsche Wort dafür. Coupons. Alles war noch…alles Essen war noch auf Essenskarten…wie ist da ein deutsches Wort dafür? Speise…nein, Speisekarten ist falsch. Nee [Nein]. Sie wissen, wovon ich spreche, ja?
PR: Coupons oder Essensmarken, stimmt beides.
FT: Ja. Gut. Alright. Es war sehr kalt in Paris, ich habe mir gedacht…ich hatte einen Freund an der Riviera, Côte d’Azur. Und habe mir gedacht, für dasselbe Geld kann ich auch im Süden wärmer wohnen als in Paris, und Hunger leiden, und kalt sein. 30 Stunden hat die Reise nach Beaulieu-sur-Mer gedauert. Dort habe ich…würde zu weit führen. Einer der Gründe war, dass meine Frau Stella damals Tuberculosis während des Krieg bekommen hatte. Ich war sehr besorgt, dass sie im warmen Platz wäre, wo genug Essen wäre. Und wir waren dann circa ein halbes Jahr in Beaulieu-sur-Mer, und ein anderes Kapitel, viel zu lang um darüber zu reden. War nie so arm…nein, nie so arm war er…aber ganz arm, habe gelebt wie ein König in Frankreich, nämlich ich war…ich ging zu einem real estate agent…da gibt es ein deutsches Wort dafür. Und wohnte in einer Villa. Und für…spottbillig…waren aber Bedingungen. Immer muss die Wäsche draußen hängen, das Radio muss ständig sein, immer muss Licht im Haus sein. Das war ein Haus…ich weiß nicht, wie man das beschreiben würde, ein Haus [unklar]. Und…solange jemand in diesen Villas war, sind die nicht ausgeraubt worden. Wenn im großen Park mit einer Villa, mit vier car garages, mehr Zimmer, als ich zählen konnte. Und einen herrlichen Ausblick. Auf der einen Seite in die bay of Villefranche[-sur-Mer], auf der anderen Seite Cap-D’ail. Heutzutage tausende von Dollars pro Woche, wahrscheinlich. [Lacht.] Aber damals war es eben knapp nach dem Krieg.
1/00:41:31
Waren ein halbes Jahr dort, sind dann zurück nach Paris gefahren, denn ich wollte nicht dort unten bleiben. Für mich war das Lotusland…man darf nicht. Wir wollten damals in die Vereinigten Staaten ziehen. Meine erste Frau hatte einen Onkel hier, der vor dem Krieg ausgewandert war. War zumindest jemand, der uns auffangen würde. Und habe dann in Paris für…zuerst für den Joint Distribution Committee gearbeitet, aber dann, sehr schnell, wurde ich innerhalb der Organisation…sozusagen auf eine Seitenschiene gezogen. Die haben die Emigration nach Israel finanziert. Das Joint Distribution Committee war das Tor, durch welches Geld für diese Sachen übermittelt wurde. Mein Job beim Joint war, Nummern zu sammeln, that is…data zu sammeln. Ich habe all die großen Transporte…die illegalen Transporte…gingen durch meine Hand. Ich hatte absolut nichts mit Entscheidungen zu treffen, aber alle die Listen kamen durch meine Hand, oder ich musste sie…musste jeden Tag, jeden zweiten Tag, berichten wie viel Geld in der pipeline…wie sagt man deutsches Wort dafür? Sozusagen im…gibt es ein Wort für pipeline? Oh, nicht so wichtig. Das war sozusagen meine heroische Zeit, weil ich da wirklich mit der ganzen illegalen Immigration nach, was damals noch Palestine war – British Palestine –, verbunden war. Wollte aber nie nach Palästina gehen. Meine…ich bin kein Zionist, und bis zum heutigen Tag stimme ich mit der religiösen Richtung Israels nicht ein. Ich wüsste, dass zum Beispiel in deren Buch, oder Ideologie…bin ich ein Ketzer und ein Schuft, weil ich eben nicht an all die Regeln, an diese Sachen, glaube.
Wir sind dann 1952 hierher gekommen. Man hatte hier ein paar kleine Jobs, und haben angefangen…selbst in Prag war ich…angefangen in Theresienstadt, war ich an Kunst interessiert. Habe Zeichnungen gemacht, viele meiner Zeichnungen – alle meine Zeichnungen – sind verloren gegangen. Wie ich nach Auschwitz abgeschoben wurde, gab ich eine Schachtel mit meinen Zeichnungen [an] jemanden…die Person, das…eine zweite und dritte Person, alles verschwunden. Ich bin dem nachgegangen, [19]91 in Prag…versucht etwas zu finden, aber funktionierte nicht. Vier Zeichnungen haben es überlebt. Alle vier in einem Kibbuz in Israel. Kibbuz Givat Haim Ichud. Und wir fuhren dorthin in den [19]80er-Jahren, und beschrieb[en], was da war. Wir haben in einem Folder…waren vier Zeichnungen, die nicht identifiziert waren. Meine Sachen, nicht unterschrieben. Ich habe Bilder davon hier, Anfänger, Beginner, glücklicher Stümper noch. Das waren meine Anfänge als Künstler. Dann habe ich in Paris weitergemalt, und in Paris auch in zwei Schulen gegangen, ohne was dort gelernt zu haben, in den Schulen. Das waren miserable Schulen. [Lacht.] Und, sozusagen, benützte die Schulnamen noch heute als: studied at Académie Julian und Académie de la Grande Chaumière. Aber beide fürchter[lich]…nur benützt als Arbeitsplatz, denn wir wohnten in einem kleinen Raum im Hôtel Meublé. Und da war nicht…kein Platz um wirklich was herzustellen.
1/00:46:45
Kamen [19]52 hierher, und hatten keine Jobs. Angefangen…was war der erste Job? Nicht sehr wichtig. Aber entschloss ich eines Tages, dass ich malen würde. Und habe auch wirklich meinen Lebensunterhalt als Maler geschafft. Eine der wesentlichen Ingredienzen des bitteren Malerseins, wie ich manchmal nicht ganz im Spaß sage: „Malen? A [Ein] jeder kann malen! Verkaufen! Das ist, wo die Kunst ist.“ Und meine erste Frau war ziemlich gut darin. Die hat meine Sachen verkauft. Nach dem Krieg hatte ich herausgefunden…nicht herausgefunden…wurde es offensichtlich, dass meine Frau psychologische Probleme hatte. Sie war, was wir heute bipolar nennen, also manic-depressive, und war ein…sehr, sehr komplizierte Ehe. Es kam zu einem Punkt, wo ich sie ganz einfach nicht alleine lassen konnte. In der Hinsicht war es gut, dass ich ein Maler war. Denn ich habe zuhause gearbeitet. Sie hat versucht, mehrere Male…sie hat Selbstmord versucht, sie hat versucht mich zu töten. Eine kranke Person. Ein lieber Mensch, ein guter Mensch, aber ganz einfach sehr, sehr krank. Nicht nur sie, sondern auch ihre Schwester. Und ich glaube, dass das eine biologische Grundlage hat, denn selbst die Mutter, Adele Horner, die Mutter von Stella, welche ich in Theresienstadt noch traf, und die ich auch kannte. Da war sozusagen eine Großmutter da, und selbst die Großmutter, Cecilia Horner, war nicht sehr beisammen. Ich glaube, dass da ein biologischer Bestandteil ist. Das war [eine] sehr, sehr schwere Ehe. Stella starb an Krebs, aber wirklich starb sie, weil sie sich selbst vernachlässigt hat. Sie hatte einen lump, Knoten – mehr als einen Knoten, eine Schwellung –, und ist dem nie nachgegangen. Und starb an Krebs.
In [19]92, na [nein], [19]82, ich traf Rebecca in einer…meeting. Zufälligerweise, dass ich sie irgendwo gesehen habe, dann habe ich sie getroffen, und gesagt: „Wo fahren Sie hin?“ Ich müsste das genau beschreiben, und das wird sozusagen eine Novelle, wenn ich das auch erzählen sollte. Ich habe Rebecca geheiratet. Da ist ein ziemlich gr[oßer]…Zeitunterschied. Rebecca ist [19]47 geboren, ich bin [19]23 geboren. Sind 23 Jahre, 24 Jahre Zeitunterschied. Bin sehr glücklich, dass ich sie geheiratet habe. Und, dass jetzt, nach all den Jahren, von KZ [Konzentrationslager], und dann zwei Personen, die manic-depressive waren…ich sage: „I am living like God in France. Wie Herrgott in Frankreich.“ Ich habe genug zu essen, genug Kleidung, ein Dach über dem Kopf, einen lieben Sohn, eine wunderbare Frau, ich habe alles. Und einen Job der mich zufriedenstellt, und auch während aller dieser Jahre mich ernährt hatte. Meine Frau macht es dazu. Im Augenblick macht sie viel mehr…ihr Einkommen ist viel höher als meines. Was auch immer ich an Bildern verkaufe, ist wirklich sozusagen Nebeneinkommen. Nur ich könnte über alle diese Sachen im Detail sprechen, ich weiß nicht wie weit sie in diese Details gehen wollen. [Lacht.]
1/00:52:02
Während all dieser Jahre war ich immer in gewissen Richtungen verbunden, mit Organisationen, welche Shoah als Themen haben. Und habe viel darüber gesprochen, habe so oft mit Leuten, mit Schulen, gesprochen…als ich mir selber zutraute. Und habe dann angefangen…nachdem ich mit vielen Schülern sprach, ging mir das Licht auf. Ich spreche mit Kindern, auch wenn sie siebzehn, achtzehn Jahre alt sind, die sind an anderen Sachen interessiert. Ich habe mich sozusagen umgesattelt, und habe gesagt: von jetzt an spreche ich nur mehr mit Lehrern. Und das ist nun auch meine Stellung zurzeit. Gewöhnlich ist es das Museum downtown, Museum of Jewish Heritage, welche mich in Verbindung mit Lehrern setzen. Ich verlange kein Geld dafür. Ich tue das, weil ich glaube, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen. Und mein Format ist gewöhnlich, dass ich die Leute, die das für mich arrangieren…das heißt, das Museum, oder andere Plätze…dass ich verlange, dass die Leute, zu denen ich spreche, gut informiert sind. Dass ich denen nicht erklären muss, was passiert war – historisch. Ich komme fünf Stunden, und ich erkläre das Leuten, die das arrangieren. Ich will nicht über mich sprechen, es sei denn drei oder vier kurze Paragrafen: „Da und dann war ich dort, und dort“, und das ist, was ich heute tue. Aber ich will Fragen haben von den Leuten. Und das sagt mir mehr über die Stellung der Lehrer, als wenn ich denen einen Vortrag gebe. Die haben…nachdem sie über diese Sachen gelesen haben, wollen die wissen: Was war hier? Was war dort? Und ich glaube, dass das ein Format ist, das…wo ich mehr effektiv bin, als wenn ich Vorträge halten würde.
Ein anderes Thema war jüdische Kunst, oder Kunst im jüdischen Leben. Jetzt werde ich mal schnell Englisch sprechen. There is no such thing as Jewish art. Denn…ein Widerspruch. Denn, wenn man es vergleicht mit französischer Kunst, oder italienischer Kunst, oder skandinavischer Kunst – nein, das existiert nicht. Und das ist eines meiner Themen, über welche ich in der Vergangenheit viel gesprochen habe. Aber ich habe Kurse gegeben, zum Beispiel bei der New School, wo ich über Kunst und mein…das Thema meines Kursus war Art in Jewish Life. Kunst im jüdischen Leben. Das ist was Anderes als jüdische Kunst. Bin ziemlich präzise darüber. Ich weiß ziemlich viel über Kunst im jüdischen Leben. Und sie sehen da auch die…eine ganze Reihe von Vorträgen auf Bildern. [Lärm im Hintergrund]. Ich trage das auch heute noch vor, dafür werde ich bezahlt. Nicht für Sachen über die Shoah. Und ich lebe sozusagen in den Tag hinein, male, spreche, halte das Haus in Ordnung. Ich sage ja, ich mache nur vier Sachen im Haus: einkaufen, kochen, putzen, und Wäsche. Ich nähe nicht, und ich putze keine Fenster. Aber sonst… [Lacht.] Und dieses Haus braucht sehr, sehr viel Arbeit zu…habe ich nicht so viel Zeit zum Malen, wie ich gerne möchte. Andererseits will ich nicht jemandem im Haus wohnen, der sozusagen…das Haus instand halten…wir sollten von Rechts aus jemanden im Haus haben, der…ein Mann, oder eine Frau, die ständig putzt und alles macht, aber irgendwie ist mein Privatleben mir wichtiger.
Ende von Teil 1
Teil 2
13. August 2008
PR: This is part three of an Austrian Heritage Collection interview, with Mr. Frederick Terna, conducted by Philipp Rohrbach on August 13th [2008], at Mr. Terna’s studio in Brooklyn. Herr Terna, können Sie mir von Ihren Großeltern väterlicherseits erzählen, von Adolf Taussig, und von Jenny Taussig?
FT: Beide lebten in Prag. Adolf Taussig war in Prag geboren. Und…das genaue Jahr weiß ich nicht – wahrscheinlich 1855. Ich könnte das auch wirklich nachschauen, irgendwo habe ich die genauen Daten über ihn. Er starb neun…1855 in Prag geboren. Damals war Prag noch nicht Groß-Prag. Das heißt, es war im Wesentlichen der…Mitte der Stadt, und Juden wohnten in verschiedenen Gegenden, besonders in denen, wo sie nach der Vertreibung nach Maria Theresia, und das war 1744/45, bin mir nicht genau sicher, ob ich auch…mag [17]46 gewesen sein. [Lärm im Hintergrund.] Und die Juden eines…das geht nun schon weiter zurück in der Familie. Maria Theresia hat, als Geschenk zu ihrem Beichtvater, die Juden aus Prag an einem…am Christmas-Tag, Weihnachtstag, 1744/46? [17]45/46, ich müsste das nachschauen, aber wir können das leicht finden…vor die Tore gestellt, und weggeschickt. Gesagt: „Raus!“ Alte, Junge, Gesunde, Kranke…aus besonderen Gnaden wurden die alten und sehr kranken Leute herausgehoben, und durften weitere zwei Monate in Prag bleiben. Die Juden von Prag sind dann in die Umgebung vertrieben worden, darunter auch die Familie meines Großvaters, und die haben dann in den…heutzutage wirklich nur etliche Kilometer weg von Prag…ein Haus gefunden. Haben die österreichische…na [nein], k. und k. [kaiserlich und königlich], das existierte damals noch…die kaiserliche Regierung hat schnell herausgefunden, dass die Ökonomie von Prag zusammenklappte. Denn der gesamte Kommerz war in jüdischen Händen. Prag war im Wesentlichen eine administrative Stadt, mit einer sehr knappen und dünnen Schicht von Geschäftsleuten. Die waren meistenteils Juden. Folglich wurde Juden erlaubt…erst ein paar, dann die Hofjuden, und dann noch speziell andere Juden…durften zurück nach Prag kommen. Aber nicht in Prag selbst, sondern in die Umgebung und Karlin, heute ein Teil von Prag. Dort durften die Juden wohnen, und dort wurde mein Großvater geboren.
Dann kam das Toleranzpatent von Joseph II., 1784/85, und Juden hatten gewisse Rechte, aber sie müssen dann die Geschichte nachlesen. 1867 war es den Juden erlaubt, andere Berufe zu haben. Es ist eine komplizierte Geschichte der Prager Juden. Hat natürlich seine Parallelen in Österreich. Leicht verschiedene permissions…Bewilligungen. Diesen und jenen Beruf zu haben, hier oder dort zu wohnen, da diese oder jene Schule zu besuchen. Aber irgendwo, unter schwerem österreichisch-ungarischem Druck, der sehr…der Druck war darauf gezielt, Deutsch und deutsche Kultur zu unterstützen, gegen eine Tendenz der Tschechen, die sich in Unabhängigkeit versuchten. Nun, die Sprache meines Großvaters war Tschechisch, und Deutsch, nicht Jiddisch. Jiddisch war zu der Zeit schon fast komplettem…Absterben ist das falsche Wort, aber wurde nicht mehr gebraucht. Denn Jiddisch, als ein Dialekt des Deutschen, hatte drei Sektionen. Drei Gruppen. Die westlichen Altsetzer, dann das Mittel…das heute wesentlich Deutschland ist, und Osten. Der Osten war in slawischer Gegend, und sprach noch das Mittelhochdeutsch, das in Elsass, und in der Mitte, gesprochen wurde. Aber in einer, sozusagen, isolierten Gegend. Folglich hatten die eine andere Entwicklung.
2/00:05:50
Jiddisch, so wie heute das klassische Jiddisch, ist eine Mischung von Alt…von Mittelhochdeutsch, Slawisch und Hebräisch, mit allen möglichen lokalen Einmischungen. Prag, da es im Wesentlichen…das Jiddisch in Prag war Deutsch-basiert, aber war so nahe dem richtigen Deutsch, dass sozusagen die Unterschiede verschwanden. Folglich: das Prager Deutsch war das klassische Deutsch. Weil aber Prag selbst von der deutschsprechenden Bevölkerung entfernt war…das heißt, Böhmen war Tschechisch sprechend, die nächsten waren die Sachsen, die Bayern und die Österreicher. Prag war eine Kulturinsel der deutschen Sprache, und Prager Deutsch ist im wesentlichen Bühnendeutsch. Was ich spreche, hat so einen österreichischen Anklang, aber hat eine starke Einmischung vom Prager Deutsch. Nun, mein Großvater fing an, als junger Mann…wie alle die Juden in Böhmen…mit Geschäften, und zwar Textil. Es hat ihm nicht lang gedauert, um mit einem seiner Kollegen das aufzubauen. Das heißt, die Textilindustrie, wie alle aufkommenden Industrien, fangen an mit Textil. Selbst heute noch, in Afrika, wenn ein Land anfängt eine Industrie zu haben…Textil ist die erste Industrie. Haben ein gutes Geschäft aufgebaut, und ich…die waren verbunden mit einem Herrn Kubinsky. Aber…damals eine wichtige Person, die haben das aufgebaut, haben billiges Textil hergestellt, und waren sozusagen in Konkurrenz with englischen Textilfabriken, welche im Wesentlichen für das Empire gearbeitet hatten. Englische Textilien wurden nach Afrika, wurden nach Indien verschickt. Das heißt, die Kolonien waren Absatzgebiete für die Industrie. Mein Großvater und sein Compagnon haben sowas ähnliches gemacht, haben Baumwolle gekauft, waren…hatten etwas getan, was erst später interessant wurde, oder erkannt wurde, nämlich sozusagen vom Einkaufen der Baumwolle, zum Spinnen, zum Färben, zum Weben, zum Drucken und Verkauf. Mein Großvater war im Wesentlichen mit dem Verkauf befasst, und reiste sehr viel herum. Aber nicht, sozusagen ein lokaler Reisender, der seine Hauswaren an Geschäfte verkauft, so war das zurzeit noch auf einem anderen Niveau. So weiß ich, dass er ständig auf Reisen war: nach Rumänien, in die Türkei, nach Ostafrika, damals noch deutsches Ostafrika, Tanganjika.
Er war ein altmodischer viktorianischer Mann. Das heißt, von meinem Standpunkt aus gesehen. Mit einem steifen Kragen, immer sehr formell, und ein typischer pater familias: der alte Herr. Der alte Herr, wie ich ihn kenne…ich erinnere mich an einen 60-, 70-Jährigen…ich kann mich mit ihm nicht vergleichen, denn er war ein steifer businessman. Sehr, sehr ehrwürdig, und ein Buchfall…nicht ein Buchfall…ein Vorbild für ein Buch. Wenn man sich einen altmodischen Geschäftsmann vorstellt. Das war mein Großvater. Meine Großmutter väterlicherseits starb im…sehr, sehr jung. 1902/03, ich bin mir nicht ganz bewusst wann. Und mein Großvater heiratete wieder, und seine Frau war die Jenny. Jenny Taussig, war geborene Lederer. Ihre Familie waren Geschäftsleute, und stammten aus Tetschen, Děčín [Tetschen-Bodenbach] in Böhmen. Weiß nicht, wann die nach Prag kamen, waren Geschäftsleute. Mein Großvater war ziemlich gut erzogen, glaube ich. Aber ich war zu jung, um mit ihm über triftige Sachen zu sprechen.
2/00:11:24
Seine Religion, das ist a [eine] andere Geschichte. Er ging…wir gehörten zu einer Synagoge, Moravska. Oh, möchte…ich muss zurückdenken. Von Karlin heiratete er…übersiedelte, was heute ist der Královské Vinohrady, Königliche Weinberge, sehr, sehr elegant damals, und knapp hinter dem Museum. Wenn Sie vor dem Prager Museum stehen, vor dem heiligen…Svatý Václav, heiligen Wenzel dort, und schauen links hinauf auf den Berg…heute, ich weiß nicht wie die Straße heute heißt, Bir Holandská). Hat damals zwölf verschiedene Namen gehabt…wann auch immer eine Regimeänderung war, hat sich das geändert. Von einer Zeit hat es Stalinova geheißen, dann hat es unter den Nazis…war so ein…den Namen vergesse ich immer. Buchstäblich in die Stadt hineingeschaut. Und wie kam ich…ja: die Synagoge, Moravská ulica Synagoge, die einzige Synagoge, die in Prag zerstört wurde, am Ende des Krieges, nicht absichtlich. Das war nicht eine der Synagogen, die von den Nazis verbrannt wurde…in Prag wurden keine Synagogen verbrannt. Aber in den letzten Tagen des Krieges flog ein deutscher Flieger, ein Militärflugzeug, über die Stadt, und um schneller wegzukommen, haben die die Bomben losgelassen, die auf dem Dach der Synagoge gelandet sind, und die Synagoge ist abgebrannt. [Lacht.] Zufällig war es eben die Synagoge. Mein Großvater war wahrscheinlich ein Mitglied der Synagoge, und ich war ein frecher Lausbub. Wir mussten immer mit ihm zu großen Feiertagen…Jom Kippur und Rosch ha-Schanah…mit ihm in die Synagoge gehen. Immer großer Skandal, weil ich immer automatisch vergaß, eine Kappe mitzunehmen. [Lacht.] Und ich weiß nicht, wie alt ich war, aber ich…elf, zwölf Jahre alt, fragte ich meinen Großvater, mit welchem ich eine gute Beziehung hatte: „Glaubst du an Gott?" Sagt er: „Nein." „Aber du gehst in die Synagoge." „Ja." „Hat dein Vater an Gott geglaubt?" „Nein." „Dein Großvater?" Motche Taussig war 1806 geboren, ungefähr, ich bin mir dessen nicht ganz bewusst. Hier sind eins, zwei, drei, vier, fünf…ich bin die sechste Generationen Jude, der nicht daran glaubt, und noch zu einer Synagoge gehört. [Lacht.] Ich weiß nicht, was das soziologisch bedeutet, aber das Haus war ziemlich kulturell. Das ist eine der Sachen, die…ich spreche noch nicht von meiner Großmutter, wir kommen zu der.
2/00:15:12
Die Kultur war wahrscheinlich von Großmutter. Das war ihr Gebiet. Er war ein Geschäftsmann, und sie…Haus und Geschäft waren sozusagen verschiedenen domains. Domain ist ein englisches Wort, alright. Meine Großmutter gehörte zu verschiedenen Gruppen, sehr interessant. Sie war 1875 geboren, war sehr, sehr tätig innerhalb der Gemeinde, und hat…das war so ein…wiederum eine viktorianische, wichtige Person. Während des Krieges, das ist Weltkrieg 1914 bis [19]18, war sie irgendwie mit der Rehabilitierung von Verwundeten verbunden. Ich weiß nicht genau, was ihre Aktivität war, denn zur Zeit, als ich aufwuchs, war…wie schon in der Tschechoslowakischen Republik, und ich wusste, dass in ihrem Bettzimmer…waren etliche gerahmte diplomas …das ist das falsche Wort. Schriften, mit Medaillen, mit…medals. Und gezeichnet: Erzherzog soundso…weiß ich, ja, wirklich österreichische Bonzen. Und sie war irgendwie beschäftigt, oder wie…die hat irgendeine administrative Position dort, um diese Medaillen zu kriegen. Da diese Medaillen alle österreich-ungarisch waren. In der Tschechoslowakei machte man sich damit nicht…one did not boast.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Dann konnte ich nicht darüber sprechen, als positives, denn Österreich-Ungarn waren damals noch verpönt, das k. und k. [kaiserlich und königliche] Österreich war verpönt. Sie war musikalisch sehr begabt, wir hatten zwei …ein großes Zimmer mit zwei Klavieren, und eines war ein Bösendorfer, woher das kam, weiß ich nicht. Die Familie war nicht arm, war auch nicht reich, so im besseren Mittelstand. Schöne viktorianische Möbel, Teppiche, welche mein Großvater mitbrachte von seinen Reisen. In Ostafrika hat er dann irgendwie Geschäfte gemacht mit Persien, und dann Teppiche nach Böhmen gebracht. Ich bin mir dessen nicht ganz genau bewusst, aber wir hatten gute, wertvolle Teppiche. Ich wusste, dass sie wertvoll waren. Warum ein Teppich wertvoll ist, fragen Sie mich nicht, ich weiß das nicht. Ich weiß nur, dass sowas existiert. Eine der Sachen, an die ich mich mit viel Freude erinnere, sind musikalische Abende. Gewöhnlich am Mittwoch kamen Leute mit deren Fideln, und Flöten, und Oboen, und was auch immer da…Geigen, Cello, und man saß herum, und machte Musik. Das war noch altmodisch, und ich erinnere mich an eine Situation, wo jemand sagt: „Du nennst das eine Interpretation?" Und die andere Person sagt: „Halt‘s Maul [Sei still], setz dich nieder, du spielst!" Ich war da mit meinem Bruder, wir waren Kinder…acht Uhr war auch immer Zeit, um ins Bett zu gehen. [Lacht.] Das war die Attraktion zu sprechen, Kaffee…nicht Kaffee, Schokolade und Kakao zu trinken, und vielleicht auch etwas mehr Alkoholisches. Ich erinnere mich daran, mit viel Spaß und Freude. Ich glaube, dass meine Großmutter die Person ist, welche mir den Sinn für alte Musik gegeben hat.
2/00:20:14
Was sonst noch? Über…ja! Großmutter hatte ein optisches Gedächtnis. Sie hat nie eine Telefonnummer vergessen, und man hat…wir haben uns darüber lustig gemacht. Was ist die Telefonnummer von soundso, und sie hat das sofort gewusst. Und sie konnte auch…das habe ich selbst nicht bemerkt, aber mein Vater hat mir das gesagt, wenn sie ein neues Stück Musik bekam, gedruckt, konnte sie es spielen. Dann konnte man die Musik wegnehmen, und sie konnte das wiederholen. Das ist ein optisches Gedächtnis für Musik. Als mein Großvater starb, am Tag wo der Zweite Weltkrieg ausbrach, ersten September 1939…brilliant, gestorben gerade im richtigen Augenblick…und Großmutter brach zusammen, eine tatkräftige und energische…und jemand, der wirklich das Leben sozusagen beim Genick hatte, wurde plötzlich eine alte Dame. Nicht eine alte Dame, eine alte Frau. Und war es auch, während ich noch in Prag war. Und der Rest im…weiß ich von meinem Vater. 1942 wurden Juden nach Theresienstadt verschleppt, unter anderem auch Jenny Taussig, und irgendwo ist sie wieder aufgesprungen. In der Dresdner Kaserne, eine der wichtigen und großen Kasernen in Theresienstadt, wurde sie plötzlich die Person, welche die Übersicht hatte, über die Verteilung von was auch immer an Lebensmitteln hereinkam. Das heißt, die Leute wussten, dass sie administrativ das Geschick hatte, und außerdem auch das Vertrauen hatte. Dann später in 1942 wurden sie und mein Bruder in einen Transport gesteckt, und der ging nach Treblinka, und der ist…da sind keine Überlebenden gewesen, von dem Transport.
Großmutter hatte eine gute Erziehung…wiederum, ein Kind weiß das nicht genau. Wie weit, wie tief. Aber es ist ungewöhnlich für eine jüdische Frau, die 1875 geboren war, eine gute Erziehung erhalten zu haben. Woher das kam, weiß ich nicht. Es mag Schulen gewesen sein, es mag auch Privatunterricht gewesen sein, ich weiß das nicht. Großmutter sprach Deutsch, Tschechisch, Französisch, etwas Englisch, glaube ich. Ich weiß, dass sie gut Französisch sprach, aber einer ihrer Höhepunkte im Leben war, dass sie als Achtzehnjährige nach Frankreich, nach Paris, fuhr. Das war so wie die große Reise damals, mit einer chaperon und…da fuhr sie nach Paris. Wie viel sie da sah, und nicht sah, das weiß ich nicht. Nur die Wichtigkeit dieser Reise…so eine junge Frau fährt nach Paris, um auch Französisch zu sprechen. Politisch…von meinem Großvater weiß ich nicht genügend. Ich habe mit ihm nie darüber gesprochen, das war sozusagen ein geschlossenes Gebiet. Wie stand er politisch? Ja, eins weiß ich. Einmal fragte ich meinen Großvater: „Bist du ein Zionist?" Sagt er mir: „Warte einmal!", und geht in eine seiner Bücherregale, zieht heraus ein Buch, ein Tagebuch, das ungefähr 1910 geschrieben war, in welchem er mit sich selbst, oder innerhalb eines Tagebuches darüber diskutiert, ob er auch ein Zionist wäre. Und die Antwort war: nein, er war kein Zionist. Ich erinnere mich nicht an Details, nur eben diese eine Tatsache. Und meine Großmutter war noch kaisertreu, wenn das das richtige Wort wäre. [Trinkt etwas.]
2/00:25:26
Politik war täglich in der Familie besprochen. Nur muss ich zurückgreifen. Meine Mutter starb 1932 an einer Art Lungenentzündung, die damals noch nicht heilbar war. Selbst Sulfa-Medizin…medizinisch wurden erst in den späteren 1930er-Jahren benützt…sie starb. Mein Vater…eine Zeit lang hatten wir Leute, nannies. Wie nennt sich das auf Deutsch? Eine nanny ist eine weibliche Person, die sich um Kinder kümmert.
PR: Kindermädchen.
FT: Kinder…nein, nicht – ja, Kindermädchen! Hat irgendwie nicht funktioniert. Und die Großeltern hatten ein doppeltes Apartment, das heißt da waren zwei Apartments, die verbunden waren, es…im Wesentlichen waren zwei Küchen da. Eine Masse von Zimmern, die ich nie gezählt habe, und folglich wohnten wir…on and off. Hin und wieder in deren Wohnung. Und da war household etwa…da war ein Dienstmädchen da, und noch eine andere Person. Es war eine ziemlich große Wohnung. Und dann…selbst das funktionierte nicht so gut, denn Großvater war im Geschäft, in seinem Büro, mein Vater war auch in einem Büro, da war keine…nur Großmutter war die einzige Frau, die Entscheidungen traf im Haus. Wir wurden dann, mein Bruder und ich, bei einer Familie in…es ist falsch zu sagen, Kost und Logis…hatten bei einer anderen Familie gelebt. Das war ein Teil von deren Einkommen, nehme ich an. Die haben alle sehr, sehr nah voneinander gewohnt. Mein Vater nahm dann auch eine kleine Wohnung, alles sozusagen innerhalb von ein, zwei Blocks. Die Familie, in der ich untergebracht war…sowohl ich, als auch mein Bruder…waren gemischte Familie. Der Mann war ein Tscheche, die Frau war Schweizerin aus Zürich. Und folglich wiederum komplett zweisprachig, und sehr, sehr liebe, nette Leute, und dort bin ich aufgewachsen, von circa [19]35/36 bis [19]38/39. Dann sind wir komplett umgezogen in die Wohnung zu den Großeltern. Mein Vater hatte eine kleine Wohnung nahebei, weil er wahrscheinlich sein Privatleben haben wollte. Er hat nie geheiratet – das heißt, er hat nicht geheiratet, während er in Prag war.
Politisch, ja…Großmutter war…daran erinnere ich mich noch, dass die Frage aufkam, wie Sudetenland ein größer und größeres Problem war. Ich weiß nicht, wie viel Sie da über diese Sachen wissen…[19]37/38, während Hitler zur Macht kam…da immer den Druck ausgeübt auf die Tschechoslowakei, das Sudetenland…um das Sudetenland sozusagen ins Reich hineinzunehmen. So ein Konrad Heinlein war ein Schurke, ein Nazi. Und [19]38 wurde dann das Sudetenland besetzt, das ist München, Munich…Daladier, Chamberlain und so weiter. Politik wurde ständig im Haus besprochen. Und dazu fand ich auch…Großmutter sagte: „Wenn die Österreichisch-Ungarische Monarchie bestanden hätte, wäre das nicht möglich.“ Ich glaube, ich weiß nicht was, wie weit, wie tief das war, aber ich erinnere mich an dieses Argument. Nun, Großmutter ist…ich habe sie in guter Erinnerung, und Sie haben manche der Fotografien von ihr…und eine moralisch schwerwiegende Dame. Und respektiert, und…ein Überbleibsel der jüdischen Mittelklasse der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges. Nun, worüber soll ich selbst…was ist das nächste Thema?
2/00:31:20
PR: Noch eine kleine Nachfrage zu dem: können Sie mir sagen…haben Sie die Adresse von dem Haus von Ihren Großeltern noch im Kopf?
FT: Ja. Zwei, Španělská. Das hat zwei…das Eck, es war ein Eckhaus, Foschova damals noch. Foschova [unklar] und das war damals Nummer elf, und dann wurde der Eingang umgebaut, um so einen Laden, Kaufladen in, der Foschova zu haben, folglich war der Eingang von der Španělská…war es Španělská zwei oder Spanische Gasse zwei. Also, die Ecke Foschova und Španělská Und…
PR: Das Apartment von Ihrem Vater? Wissen Sie--
FT: --das war in der Nähe, und ich vergesse die Adresse, weil ich fast nie dort war. Die Familie, die Schweizer Familie, die waren auf Foschova 71. Nicht weit entfernt, alles innerhalb…bequeme Distanz, die zogen dann um. Wir waren näher zu den Großeltern…Wohnung. Es waren nette Leute, verhältnismäßig einfache Leute. Ich kannte den Mann, der starb, bevor wir dort einzogen. Das war wahrscheinlich ein Fall, wo jemand…der Mann, Basche war der Name. Und der starb, seine Frau war dort mit zwei Kindern und einer großen Wohnung, und da hat sie wahrscheinlich uns in die Wohnung genommen, um ein weiteres Einkommen zu haben.
PR: Was hat denn dazu geführt, dass Sie von den Großeltern weggezogen sind, in diese Wohnung?
FT: Basche? Es war wahrscheinlich nicht genug Übersicht da…eine Mutter war notwendig. Und die war nicht da. Wir gingen in die Volksschule in der Moravskágasse, Mährischen Gasse, weil dort eine deutsche Volksschule [war], eine gute Schule. Und es war da auch ein Kindergarten, vorher, an den ich mich kaum erinnere. Aber die Volksschule in der Moravskágasse war dort ein eigenes Gebäude, das an der Tschechischen Volksschule an…es war ein Teil des…mit dem eigenen Eingang. Der Direktor hieß Pfauser, der Schuldirektor. Er hat das erste Jahr unterrichtet. Und dann kam ein Mann, der ein Genius war und dessen Name ich mich gerade nicht erinnern kann. Und der ein experimentaler Lehrer…experimental im Sinn…er war qualifiziert Experimente, pädagogische Experimente, zu halten. Unsere Klasse war…die Klasse, in der ich war, waren die Kinder irgendwie außerhalb, vielleicht…oberhalb dem Durchschnitt der Kinder. Prager Deutsch sprechende Leute waren zwei Kategorien. Eines waren die früheren Angestellten der Monarchie, jüdische Kinder als zweite Gruppe, und dann auch eine kleine Gruppe von tschechischen Familien, welche deren Kinder in deutsche Schulen schicken wollten. Außerdem war unsere Schule, die Moravská ulice Schule, bekannt als gute Schule. Und dort war ich bis fünfte Klasse, und von dort ging ich in das Staatsrealgymnasium Stephansgasse. Das war ein deutsches Gymnasium. Und die Schule in der Moravskágasse war zwei Blocks, zwei Straßen entfernt. Und selbst das Stephansgymnasium war sehr nah. Und was für andere Fragen würden Sie haben? [Lacht.]
2/00:36:25
PR: Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne von Ihren Großeltern mütterlicherseits ein bisschen was in Erfahrung bringen--
FT: --mütterlicherseits…ich war in Wien geboren, da ist noch heute ein…nicht ein Krankenhaus, ein…Gesundheitssorge, Rudolfinerhaus in Döbling, dort bin ich geboren. Wir hatten ein Bild davon daheim, das zweite Fenster von links. Daran erinnere ich mich noch. Die Familie meiner Mutter habe ich in einem der notes beschrieben, welche ich Ihnen eine Kopie gegeben habe. Meine Erinnerungen als Kind sind wie eines kleinen Kindes…sind etwas schwach. Ich erinnere mich an die Friedlgasse, das war Friedlgasse 49, wie viel wir dort gewohnt hatten, wie viel Platz wir hatten. Ich weiß das nicht mehr. Und ich erinnere mich an ein Spielzeug, ein Feuerwehrwagen, rot, mit viel…Lärm und thing, und wo immer gesagt wurde, spät am Abend, die Feuerwehr muss unter die Kredenz [Tisch] gehen, um Ruhe zu haben. „Jetzt ist Schlafzeit für dich." [Lacht.] Aber wir waren…auch schon damals war Döbling fast ein Vorort. Ich erinnere mich an keines der Geschäfte, welche ich diesmal gesehen habe. Es war sozusagen ein Residenzgebiet, und ich erinnere mich, nie einen Laden gesehen zu haben. Ich war wahrscheinlich im Laden, aber ich erinnere mich gar nicht daran.
Die Familie Herzog…ich war verhätschelt wie ein typischer…mit drei Onkel, und dazu drei Tanten, wird man verzogen. Ich habe wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit gehabt, als ein Durchschnittskind, das innerhalb einer Familie eines der vielen Kinder wäre. Ich war buchstäblich verhätschelt. Ich glaube, dass mein positives Gefühl zu Wien auf das zurückzuführen wäre. Weil das eine Zeit war, wo ich mich sehr, sehr wohlfühlte und… Aber als zwei, drei, vier, fünf Jahre Alter ist man nicht sehr kritisch. Aber wenn ich heute sage, verhätschelt…ich bin sicher, dass ich es war. [Lacht.] Irgendwoher kommt das, und ich führe es daraufhin zurück. Das Fühlen des Zuhauses in Österreich, das ist was ganz Neues für mich. Das geht nun zurück in die Kindheit. Als ich in Wien ankam…irgendwo fand ich es angenehm. Warum? Ich glaube darauf zurückzuführen, dass ich eben diese Erinnerung, diese positive Erinnerung, an Wien hatte. Und späterhin, unter [Engelbert] Dollfuß gingen Sachen schief. Aber davon wusste ich wirklich sehr, sehr wenig. Ich war mir dessen nicht bewusst, es hat mich nicht beeinflusst, und es kam erst später, als wir in Prag waren, dass ich etwas gelernt habe, über Österreich. Das Beschießen des Karl-Marx-Hofes ist etwas, das ich in Wien keine Ahnung…aber es war auch bevor ich nach…während ich noch in Wien war. [Hustet.] Das kam – mit dem Schießen – nachdem wir schon in Prag waren.
2/00:41:03
Alle drei Tanten, alle drei Onkel, waren sehr, sehr nett und haben den Krieg überlebt. Ein Wunder. Selbst Großmutter Herzog hat den Krieg überlebt. Und ich habe darüber geschrieben, es… Politisch waren sie wahrscheinlich alle Sozialisten. Wahrscheinlich. Wie sehr, weiß ich nicht. Ich habe das mit einem der Onkel nach dem Krieg besprochen. Zweien sogar, nicht dreien, but zwei Onkeln…zwei von den Dreien. Und irgendwie waren die: „Ja, wir waren Sozialisten!" Irgendwie waren sie beschämt darüber, dass sie sich politisch deklariert hatten. Wie sehr das…wie tief das wäre, weiß ich nicht. Ich weiß, dass sie alle sehr konservativ wurden, nach dem Krieg.
PR: Was hat denn Ihr Großvater Otto Herzog beruflich gemacht?
FT: Otto Herzog war ein Getreidehändler, und scheinbar erfolgreich. Starb noch unter der Monarchie. Und eine Familie, die guten Mittelstand hatte, hat nach dem damaligen Gesetz…alles Guthaben musste von einem männlichen…suche das Wort…Vertreter ist das falsche Wort…Administrator gehalten werden. Und nach damaligem Gesetz mussten alle Werte in österreichische Staatspapiere angelegt werden. Und nach 1918 ging die Monarchie zugrunde, folglich auch alle deren Verpflichtungen, und die Familien waren über Nacht verarmt. Finanziell verarmt. Da war ein großer…der Bruch vom verhältnismäßigem Mittelstand, gutem Mittelstand, zur Notdurft, ging über Nacht. Ich habe Otto Herzog tatsächlich nie kennengelernt. Er hatte auch Halbedelsteine gehandelt, ich weiß keine Details. Wenn ich, danach immer, Fragen stellte über Otto Herzog klingt das…plötzlich war Nebel. Habe ich nichts erfahren können. Nun wussten die wahrscheinlich selbst nicht viel, denn die Onkel und Tanten waren alle junge Leute damals. Meine Mutter war 1898 geboren. Wenn er starb, am Anfang des Krieges, war sie noch ein junger Teenager. Und wie Sie wissen, hat man Kindern in Europa wenig finanzielle Information gegeben. Das schließt mich natürlich auch ein. Als der Krieg zu Ende kam, [19]45, hatte ich keine Ahnung, was die Familie besaß, was an Grundstücken, finanziellen Instrumenten, keine Ahnung. Folglich weiß ich sehr wenig über Otto Herzog. Er ist ein Geheimnis für mich, und er…das Gefühl, ein Geheimnis für die ganze Welt.
2/00:45:04
PR: Und Ihre Großmutter, Anna?
FT: Anna Herzog, ja. Anna Herzog stammt aus einer einfachen Familie, aus Joachimsthal. [Lärm im Hintergrund.] Die hatten sich im Karlsbad kennengelernt, und geheiratet, und zogen nach Wien zurück. Irgendwie blieben dann noch Verbindungen mit Karlsbad. Ich weiß nur, dass da Familien waren. Anna Herzog war eine praktische, energische Person. Sechs Kinder aufzubringen, nachdem die Familie alles verloren hatte, brauchte einen kind of Energie, die man heute wahrscheinlich auch noch findet, aber seltener. Mit eiserner Faust hat sie die Familie zusammengehalten. Und eines der Probleme, die innerhalb der Familie waren…es bestand eine Grundregel…die ich erst später, viel später, nach dem Krieg, nach diesem Welt War Two, erkannt habe…eine Grundregel: die Familie hängt zusammen. Niemand…einer für alle, alle für einen. Meine Mutter hatte eine Grundsünde begangen. Sie hatte einen Mann aus Prag geheiratet, und fuhr weg. Das war sozusagen das…die erste Regel gebrochen. Und meine Großmutter hat ihr nie vergeben. Ich weiß, dass sie sich, seitdem wir nach Prag, oder die Familie nach Prag übersiedelte…bis zum Tod meiner Mutter, hat die Großmutter mit ihr nicht gesprochen, keine Briefe, nichts. Sozusagen abgeschnitten. Als ich Großmutter Herzog nach dem Krieg traf, wundert…so, nun springe ich nach 1947. Ich war damals in Paris. Einer der Onkel hatte sich…alle Onkel hatten den Krieg überlebt, in Holland überlebt, als Unterseeboote, und hatte ein Geschäft angefangen. Und [19]47, als die mich fanden, und ich die Familie fand, fuhr ich nach Utrecht – damals lebte der Onkel Alfons in Utrecht. Und Großmutter Herzog war dort, eine meiner Tanten – Lilli –, und zwei der Onkel. Der in Utrecht lebte, und einer der damals noch in Holland lebte. Der ist dann, eventuell, nach Westfahlen, nach Münster, gefahren, oder umgesiedelt. Und Großmutter Herzog war damals 80 Jahre alt und nicht ganz beisammen. Ich weiß nicht, wann sie geboren war, aber…sie musste 187[…]…in den [18]70er-Jahren geboren sein. Das ist jetzt nur eine Abschätzung, ich habe keinen Beweis. Ich könnte es wahrscheinlich finden, irgendwo sind da noch Dokumente in Wien, über die…wo steht, dass der geboren an…Otto Herzog und Anna Rachel…Geburtsdaten. Sie war schon eine alte Dame, damals. Eine alte Dame, eine alte Frau, wirklich schon etwas senil, nicht ganz beisammen, und hatte eine junge Frau, jemand der sozusagen sie von…alle 24 Stunden lang beobachtete. Und die Energie der Anna Herzog beeindruckt mich sehr. Das ist geschickt, gern zu haben, sechs Kinder aufzuwachsen. Jedes der Kinder ist erfolgreich gewesen. Eine der negativen Seiten war, dass die drei Söhne nicht geheiratet hatten, solange sie noch…erst nach dem Zweiten Weltkrieg haben die geheiratet. Das heißt, die hat die unter so einer Fuchtel gehalten, dass die sich…keine Frau konnte irgendwie das Wohlwollen der Großmutter erreichen. Ein Thema für Schriftsteller.
2/00:50:38
Und wenn Sie der Geschichte nachgehen, innerhalb der notes, werden Sie über jeden der Onkel Details finden. Alfons, der irgendwann plötzlich katholisch wurde, und in der Nacht im Krieg hat man…wie ich ihn dann besucht hatte, ich hatte ihn von Paris besucht, mit meiner ersten Frau Stella. Damals war er noch nicht religiös, aber ich weiß nicht, was ihm da passiert war. Er…ich hatte dafür das Verständnis verloren. Und ich versuche heute noch herauszufinden, was war die Motivierung. Nämlich: Alle drei Töchter waren sehr jüdisch verbunden. Zwei von ihnen fuhren nach Palästina, damals noch Palästina, meine Mutter in Prag starb 1932…aber meine Mutter versuchte mir Hebräisch zu unterrichten. Das heißt, das geschriebene Hebräisch zu unterrichten. Die waren religiös – technisch zumindest – informiert. Wie weit die informiert waren, weiß ich nicht. Die drei Söhne…einer von denen…zwei davon, wurden katholisch, und ich glaube, besonders der, der nach Neuseeland umgesiedelt ist…haben Sie die Sachen gelesen, da müssten sie nachlesen darüber. Irgendwo unterhalb der Sachen, die ich geschrieben habe, ist The Herzog Family. Dort finden Sie alle die Details. Interessante Leute. Großmutter Herzog…wollen Sie, dass ich das beende? [19]47 war sie noch in Holland, schon etwa senil. Daraufhin hat ihr die älteste Tochter Lilli gesagt, sie kann doch nicht bei dem Alfons leben, der ist unverheiratet, das passt nicht, und hat sie nach Israel genommen. Nun, in [19]48 brach…war der Krieg zwischen Arabern und Israelis. Die war da, meine Großmutter, oder die Tante war damals in Haifa, und es waren schwere Zeiten. Der älteste der Söhne, Harry – Sie werden über ihn lesen, wenn Sie es sehen –, war damals schon in Neuseeland. Und war dort ein erfolgreicher businessman, und hat gesagt: „Ich werde ganz einfach die Großmutter nach Neuseeland bringen", und hat das auch getan. Wie weit Großmutter Herzog beisammen war, seelisch, oder physisch, weiß ich nicht. Nun kam ein weiteres Problem hinzu, dass nämlich der Onkel in Holland, der damals noch nicht – oh ja, damals, er hatte gerade geheiratet, und das war [19]48. In Europa war damals schon der Marschallplan, aber das war ökonomisch nicht einfach. Harry in Neuseeland sagte, er hat sich hier sehr etabliert, und, „Wir haben alles Geld, wir haben ein großes Haus, komm her", packte sich und fährt nach Neuseeland. Folglich hat sich der holländische Onkel Alfons, mit seiner neuen Frau…sind sie übersiedelt nach Neuseeland. Der holländische Onkel, der irgendwann katholisch wurde, und mein Neuseelandonkel, der auch katholisch wurde, fingen an miteinander zu streiten. Ein großer Konflikt über Großmutter. Alfons von Holland hat die ganze Zeit sich um die Großmutter gekümmert, kannte sie. Er war es, der sie aus Wien nach Holland brachte, auch dort in Holland half, sie unterzubekommen…das ist eine andere Geschichte. [Lacht.]
2/00:55:22
Sage ja, ich kenne die…der andere, der Neuseelandonkel Harry, war so die wichtige Person, also nur ein Streit zwischen Brüdern. Großmutter Herzog starb in Neuseeland, und die liebe jüdische Dame ist wahrscheinlich an einem katholischen Friedhof irgendwo in Wellington [Neuseeland] begraben. Und ich sage: großartig, sie hat den Krieg überlebt, ihre Kinder haben überlebt, wo sie begraben ist: Who cares? [Lacht.] Während des Krieges hat Alfons die Großmutter in einem Kloster untergebracht, als Nonne. Und das habe ich auch nur, sozusagen nach dem Krieg, gehört, dass die Novissen [meint: Novizinnen, Anm. d. Red.]…die neuen Nonnen waren großer…Angst ist das falsche Wort, so zur Ehrfurcht vor der alten Nonne, die genau geschaut hatte, ob auch alle die Regeln befolgt wurden. [Lacht.] Großmutter Herzog ist in mancher Hinsicht ein Modell, in mancher Hinsicht eine tragische Figur. Aber auch eine Illustration unseres Zeitalters. Dass man Wohnorte, seelische Verbindungen, und politische Verbindungen sehr leicht umtauschen kann.
PR: Wissen Sie, wo das Kloster war? Welches Kloster das war, wo Ihre…untergebracht war?
FT: Nein. Keine Ahnung.
Ende von Teil 2
Teil 3
PR: Die nächste Person, über die ich gerne mit Ihnen reden würde, ist Ihr Vater, John Taussig.
FT: Ja, Jan. Johann. Typischer Prager Jude. Wenn sowas existiert, mein Vater war es. Die Generation von [Franz] Kafka. Und er bewegte sich in diesen Kreisen. Und wiederum…als der Krieg ausbrach, war ich noch nicht sechzehn Jahre alt. Folglich ist meine Einsicht in die Generation second-hand. Und teilweise auf Literatur begründet. Ich wusste über viele Leute…die Schriftsteller, die sozusagen ins Haus kamen, aus dem Haus gingen. Die Kaffeehausatmosphäre, welche in Wien bestand, und auch in Prag sehr bestand, mit einem Stammtisch und den üblichen Verbindungen…Geschäft wurde im Kaffeehaus gehalten. [Lacht.] Und mein Vater war Doctor juris [Doktor der Rechte]. War, an und für sich, nicht so ungewöhnlich für seine Generation, denn Juden wurden an die Universität zugelassen, und ich weiß nicht das genaue Alter. Für jemanden, der intellektuell tätig war, ein Doktorat zu haben, war nichts so Ungewöhnliches. Er war Herr Doktor, großartig. [Beide lachen.] Aber…sein Geschäft war im Versicherungswesen. Transportversicherung, und dann später in Rückversicherung. Das wird etwas kompliziert. Rückversicherung ist das Aufteilen des Risikos einer…wenn jemand, oder eine größere Einheit versichert ist, behält die Versicherungsgesellschaft nicht den Kontrakt, oder die…sondern verteilt das Risiko. Und der Platz, wo man das verteilt, war Lloyd`s in London. Meines Vaters Verbindung war im Wesentlichen Lloyd´s. Das war sein Einkommen, war nicht großartig, aber war…bequem, ohne wohlhabend, ohne reich, zu sein. Es hat uns nie an etwas gefehlt. Weder Essen, noch Kleidung, noch…Theater und Konzerte. Wir haben ein typisches Prager Mittelklasseleben geführt. Mein Vater war wahrscheinlich bei…inclination, Neigung…ein Soziologe. Und meine Erinnerung – oder die stärkste Erinnerung an meinen Vater, als ich noch viel jünger war – ist in seinem Studium, ist in einem Raum, zu sitzen mit mehreren großen, heftigen, schweren Büchern um ihn herum…schreibend. Er hat Vorträge gehalten, wahrscheinlich nicht um…weil er eben gefragt wurde vorzutragen. Hat geschrieben, alle seine Schreiben sind leider verloren gegangen, und ich wusste nur, dass er über gewisse Themen geschrieben hatte, aber ich weiß nicht einmal mehr, welche Themen es waren. Und…soziologische Probleme. Alle diese Schriften sind verschwunden.
Ich hatte ein sehr, sehr gutes Verhältnis mit meinem Vater. Er hat Sachen mit mir besprochen, die man gewöhnlich mit einem Fünfzehnjährigen nicht bespricht. Wir haben ein ganz ein gutes Verhältnis, hauptsächlich, weil er, nachdem meine Mutter starb, und wir an den verschiedenen Plätzen lebten mit der Schweizer Familie, und auch bei den Großeltern. Samstag, nachmittags, oder sonntags, war mein Vater da. Das war seine Zeit mit uns. Während des Tages war er zu beschäftigt. Und wir gingen noch lange, lange spazieren, und Sachen wurden besprochen, hauptsächlich aus der Soziologie. Was ich nicht wusste, damals, dass er mich wirklich unterrichtete während der Zeit. Ich verdanke meinem Vater, dass ich den Krieg überlebt habe – seelisch überlebt habe. Das heißt, ich war vorbereitet zu erkennen, was um mich herum vorging. Und das war natürlich… [19]41 wurde ich in Haft genommen, nachher ins KZ gebracht, und habe in [19]43 meinen Vater in Theresienstadt wiedergetroffen. Als ich in Theresienstadt ankam, war er schon dort. Ich wurde nach Auschwitz abtransportiert im Herbst [19]44, worauf auch er [19]44 im Herbst abtransportiert wurde, und hat Auschwitz nicht…starb in Auschwitz.
3/00:06:19
Leute wie Kafka sind sozusagen…bin mit denen aufgewachsen. [Lacht.] Und Kafka starb im Jänner [19]24, und ich bin im Oktober [19]23 geboren, also da war ein Altersunterschied. [Lärm im Hintergrund.] Aber mein Vater war Kafkas Generation, und ich bin sozusagen die Generation nach Kafka, von denen kaum noch jemand übrig ist. Im Haus wurde Musik gemacht, wie ich Ihnen erzählte, aber auch viel gesprochen, viel gelesen. Unsere Bibliothek war ziemlich groß. Ich konnte alles lesen, mein Vater hatte keine Regel, dass Kindersachen oder…Sachen, welche Kinder nicht lesen sollten, sollten irgendwo versteckt werden. Kam nicht in Frage. Er hat mich einmal…irgendeinmal habe ich ihn was gefragt über sexuelle Sachen, sagt er: „In der Bibliothek, finde es." Und so wie er sagte, wenn ich etwas finde, das ich nicht verstehe, lege ich das Buch zurück. Wenn ich es nicht verstehe, gut, lerne etwas. Politisch war er…auch er fing an als Sozialdemokrat, in Prag. Das weiß ich, weil wir mal – ein oder das andere Mal – bei irgendeinem Meeting waren. Ich weiß, dass das ein Meeting der deutschen Sozialdemokraten in Prag war. Ich erinnere mich an einen Mann, der…ein Gitarrenspieler, der oft Gitarre gespielt hatte. Und irgendwann kam es auf, dass ich die Internationale nicht gewusst habe. Und der Mann war sehr…sagt er: „Wie kannst du jemanden aufbringen, ohne…", also… [Lacht.] Es war eine vielfältige Gesellschaft. Deutsch und Tschechisch sprechend.
Einer der Konflikte in Böhmen…und der Konflikt geht zurück, Jahrhunderte. Die Juden in Böhmen waren im Wesentlichen Tschechisch sprechende Landjuden. Die Habsburger hatten natürlich einen unglaublichen Druck auf die Juden ausgeübt. Nicht nur, um sie zu bekehren, Katholiken zu werden – Gott verbitte es, sollten es Protestanten werden. [Beide lachen.] Sondern auch die Nationalfrage war dort hoch am Tapet. Und die Juden Prags waren gespalten, zwischen Tschechisch sprechenden und Deutsch sprechenden. Nicht, dass einer die andere Sprache nicht gewusst hätte, aber sozusagen das Gefühlsmäßige…was war die Sprache, in welcher man das tägliche Leben verbrachte? Kafkas Familie, die waren wahrscheinlich Tschechisch sprechend. Aber das hieß nicht, dass er, Kafka, nicht fließend Deutsch sprach, wie wir gut wissen. Das heißt, es war eine vollkommene, zweisprachige Kultur. Und der Druck war ständig, von Habsburgerseite her, die Juden von Prag als Stoß zu benutzen, um auch die tschechische Kultur aufzulockern, um eben…wenn möglich, Böhmen deutschsprachig zu haben.
3/00:11:02
Dazu kamen natürlich auch noch Ingredienzen des Antisemitismus. Das ist eine ganz andere Geschichte, aber irgendwie spielt die in die Nationalität[en]frage hinein. Das Nationalbewusstsein innerhalb der Monarchie – darüber muss ich Ihnen wahrscheinlich nichts erklären – ist historisch wohl bekannt. In Prag hat sich das sogar im Kleinen abgespielt. So, zum Beispiel: Ich ging in eine Deutsch sprechende Volksschule, mein Bruder in eine Tschechisch sprechende. Ohne, dass das irgendwie ein Familienkonflikt gemacht hat. Es war nämlich ganz gleichgültig. Solang die Schule gut war, welche Sprache auch man benützte, war zweitrangig. Meine Mutter, die aus Wien, sprach Kuchlböhmisch. Das heißt, eine Art low class…no, low class ist das falsches Wort dafür. Aber sozusagen das Tschechisch der einfachen Leute. Gutes Tschechisch wurde nur von Nicht-Tschechen gesprochen. Eine ganz schmale Schicht von Tschechen sprach erstklassiges Tschechisch. Darunter auch die Juden. Und ich müsste Ihnen lange erklären, dass Tschechisch sieben Fälle hat: männlich, weiblich, sächlich, lebendig, nicht lebendig, und je nach dem was…das Wort ist…mit einem weichen Suffix, und einem harten Suffix. Außerdem die sieben Klassen von Zeitwörtern, und manche von denen haben imperative Formen. Das heißt, wie wenn…zwischen ‚jetzt gehen’, oder ‚ständig gehen’, sind zwei verschiedene Worte. Chodit ist ‚gehen’, jít ist auch ‚gehen’. Aber chodím ist: I am going now…ich gehe jetzt. Jídu ist ein iteratives Wort, das heißt: ich gehe ständig. Tschechisch ist eine sehr komplizierte Sprache, und wenn man gut Tschechisch spricht, das war ein Zeichen von…ein Klassenmerkmal.
Eine der Seitenbemerkungen…im Jahr [19]91 fuhren wir nach Prag. Wir…damals waren es schon Rebecca und unser Sohn, der damals vier Jahre alt war, der sprach Tschechisch. Und die Leute fragen mich: „Wo hast du Tschechisch gelernt, du sprichst so gutes Tschechisch?" Sage ich: „Bin hier aufgewachsen." „Kann nicht sein, du sprichst 19. Jahrhundert Tschechisch!" Das heißt, mein gutes Tschechisch klang für die Tschechen archaisch. Warum? Während der Kommunisten war gutes, grammatisches Tschechisch verpönt. Es war sozusagen ein Klassenmerkmal. Wer gutes Tschechisch sprach, war sozusagen Volksfeind. Tschechisch hat sich auch jetzt wieder zurückgewendet, aber ich habe kaum Gelegenheit Tschechisch zu sprechen, ich folge den grammatischen Formen nicht mehr.
Wie kamen wir dazu? Die Nationalität, ja…die jüdische Gruppe in Prag. Erstens einmal: alle sind verschwunden. Es sind kein[e] mehr über. Was war heute in Prag…es gibt heute Juden in Prag, die sind alle aus dem Osten. Leute, die eingewandert sind aus der früheren Sowjetrepublik, oder östlichen Staaten. Eine Prager Kultur, glaube ich, existiert nicht mehr. Die Prager jüdische Kultur – zwischen den zwei Kriegen – ist nicht mehr. Mit Namen so ein…Scherbenstück, ja, da bin ich noch…ich bin noch da…noch ein bisschen beschrieben. [Lacht.] Aber als Kuriosum existiert es, und ich glaube, dass…so wie in Wien heute noch die jüdische Literatur irgendwo als historisches Argument besteht – [Arthur] Schnitzler, [Egon] Friedell und so weiter –, so ist es auch auf der tschechischen Seite…sind da auch solche Leute, aber niemand mehr da. Irgendwie gehöre ich zu beiden Gruppen. Mein Sohn würde von dem, was wir da besprechen nichts verstehen. Nicht, dass er mal nicht lernen könnte, aber im Augenblick interessiert ihn das nicht. [Trinkt etwas.]
3/00:16:27
PR: Sie haben während unserem Gespräch schon mehrmals angeschnitten, dass Sie Ihrem Vater das seelische Überleben verdanken. Und Sie haben auch, als wir das erste Mal miteinander geredet haben, von der Wichtigkeit eines guten Selbstbildes während des Kriegs gesprochen. Können Sie ein bisschen stärker ausführen, was Sie damit gemeint haben?
FT: Im Krieg…der Krieg fing über Nacht an, aber wie die Änderungen der Stellung – und jetzt spreche ich als ein Staatsbürger der Tschechoslowakei, der zufälligerweise Jude ist – war im ständigen Fluss. Das heißt, in der Tschechoslowakei, persönlich, fand ich keinen Antisemitismus…persönlich, bin mir wohl bewusst, dass Antisemitismus in der Slowakei, wo es sozusagen chronisch war…ich bin mir wohl bewusst, was in Österreich vorging. Und selbst in Österreich, wie ich irgendwo anders gesagt habe…1421 ist noch in meinem Kopf. Nicht, weil ich mich persönlich daran erinnere, aber ich wusste davon. Ich wusste von [Georg von] Schönerer, ganz gewiss über Karl Lueger, und das sitzt mir sozusagen unter der Haut, und stört mich. Wir waren uns dessen bewusst, dass ein wesentlicher Teil der politischen Situation feindlich war. Dann fragt man sich nur: Wo stehe ich? Und wie weit meines Vaters Position jüdisch war, weiß ich nicht. Ich glaube, es war nur sehr, sehr schwach, sozusagen eine dünne Schicht, die aber dort war. Wenn ich Ihnen philosophisch beschreiben sollte, war er wahrscheinlich ein später [Emanuel] Kant-Anhänger, später, viel später. Ja, von ihm hatte ich über die verschiedenen philosophischen Richtungen gehört, aber immer wieder zurückgekommen auf das Soziologische, auf die soziologische Form, in welcher sich diese Philosophien zeigen. Natürlich war Nazismus sehr, sehr hoch auf der Liste der Merkmale, und was war die Ideologie der Nazis? Und das wurde sehr, sehr vorsichtig und im Detail beschrieben. Der Rassenmumpitz innerhalb…der Unsinn beschrieben. Die Frage: warum brauchen Diktatoren eine mysteriöse Dummheit, so unbeweisbare Stellungen, um sich an der Macht zu halten? Aber fing an, in Österreich, mit Schönerer und Lueger, die wo bezichtigen, „Die Juden sind unser Unglück", und wir wissen wozu das geführt hat. Nazi-Ideologie wurde beschrieben, ohne überhaupt einen Wert darauf zu legen. Die Fragen kamen dann, und das…ich fasse hier Sachen zusammen, die sich Monate und Monate entwickelten.
3/00:21:02
Wie definiert man eine Gemeinde, die zivilisiert lebt? Das wurde immer wieder besprochen. Verschiedene Systeme angeschaut. Wir wussten natürlich über die englische Monarchie, das Gebrauchsgesetz der Engländer. Mein Vater unterrichtete mich über den Code Napoléon, das heißt auch die Grundlage der meisten europäischen Rechtswesen. Worauf wird Wert gelegt? Mein Vater war ziemlich interessiert, und unterrichtete mich in ecclésiastique Philosophie. Kirchengesetz. Wir haben das auch vorsichtig gelesen, die Edikte. Nun, wir lebten unter Pius XII., der Sachen tat, die mit Katholizismus was zu tun hatten, aber im Wesentlichen Vatikan und katholische Machtpolitik waren. Das wurde betrachtet und bewertet, und ich weiß nicht, wie sich das im Detail zeigte. Ich kann nur darüber sprechen, wie ich es heute fühle. Das ‚Was’ ist das Kennzeichen einer guten Gemeinde. Und das in paar Worten zusammenzufassen, ist etwas schwer. [Lacht.] Aber in vieler Hinsicht ist das Schwergewicht…über das Leben, die Lebendigkeit, und nicht einen Horizont, der irgendwo weit weg in der Zukunft liegt. Oder im katholischen Gebiet, oder christlichen Gebiet, das Nachleben. Das heißt Erlösung, es stimmt so. Es war bei mir jemand, der herkommt, sagt er, er wird erlöst sein, sagt er: „Zeig mir jemanden, der erlöst ist. Ich möchte gerne mit ihm sprechen, oder mit ihr sprechen." Und so…in der Hinsicht ist es jüdisch, weil es die Qualität des Lebens beschreibt, oder erfordert, und nicht eine jenseitige Ideologie. Ich kann das heute besser formulieren, als ich es während des Krieges konnte, aber irgendwo in einer dumpfen Form war es schon da. Selbst solche Sachen wie Faust wurden besprochen. Und philosophische Schriften, Poesie, Musik, all die Sachen waren eine Ingredienz, ein Teil der Stellung. Ich hatte nie das Gefühl, aufgeben zu können. Das würde heißen, ich habe die Nazi-Ideologie akzeptiert, dass ich es nicht wert bin, zu leben. Das kam mir nie in den Kopf. Ich wusste, dass es mir nie in den Kopf kommen würde.
3/00:25:05
Die Tatsache, dass ich es überlebt hatte, ist ein statistischer Zufall. Wenn jeder zehnte erschossen wurde, war ich Nummer neun. Auf dem langen…waren Viehwagons…auf der langen Viehwagonreise von Auschwitz nach Kaufering, bin ich nicht am Durst gestorben. Glück gehabt. Aber, sozusagen ein statistischer Zufall, ich schreibe das nicht meinem Geschick zu. War es Zufall, nichts Anderes. Aber, dass ich es seelisch überlebt habe, dass ich nach dem Krieg wusste, dass gewisse Sachen wesentlich und wertvoll sind. Und die sind mir bis zum heutigen Tag geblieben. Erfolg, viel Geld, Macht…zählt gar nicht. In gewisser Hinsicht negativ, dass ich mich nie bemüht habe, berühmt zu werden. Oder wohlbekannt zu werden, das zählt für mich nicht. Denn eines Tages werde ich, wie man so schön in Wien sagt: ein Mankerl machen [sterben]. Und jeder wird mich vergessen. Unterdessen versuche ich in einer Gemeinde zu leben, in der diese Ideale aufrechterhalten werden. Deswegen gehöre ich noch zu einer Synagoge. Ist eine der Wirkungsgebiete für mich. Ich gehöre auch zu gewissen Gruppen, hier in der Nachbarschaft, aber wiederum: in der Nachbarschaft! Ich versuche nicht politisch nach Washington zu fahren, um dort Reden zu halten. Ich bin vom Krieg beeinflusst, von meinem Vater beeinflusst. Aber wie Voltaire sagt, am Ende von Candide: „Hört auf zu streiten, ihr müsst im Garten arbeiten." Das würde es sozusagen zusammenfassen. [Lacht.] Könnte noch weitere Stunden darüber sprechen.
PR: Es wäre super, wenn Sie mir ein bisschen etwas über Ihren Bruder erzählen könnten.
FT: Ja. Tommy war mehr als zwei Jahre jünger als ich. Und…als kleine Kinder, waren ständig streitend, mein jüngerer Bruder…sich gegen die Eltern aufwalzt, und…wir hatten wirklich keine Verbindung. Wir gehörten zu verschiedenen Schulen, folglich waren unsere Freundeskreise…ein Altersunterschied von zwei Jahren, als Kind, ist ein großer Unterschied. Und in [19]39, wir wurden beide aus der Schule herausgeworfen. Und es war ein Minimum an Verbindung. Wir sprachen nicht miteinander über andere Sachen, als sozusagen technisch-mechanische Sachen. Mein Bruder war sehr an Fotografie interessiert. Er wurde ein guter Fotograf. Und mein Vater fand ihm einem Posten in einem Fotoatelier in der Rückstube, in der Schwarz…wie nennt man das? Black…? Ein Fotograf arbeitet im Dunkeln.
PR: Einer Dunkelkammer.
FT: Dunkelkammer. Das ist das Wort. Ja. Er war technisch sehr gut, wie sagt man da, gewandt. Und woran ich mich erinnere, mein Vater kaufte ihm eine Kamera, und ein paar Wochen später plötzlich hat er eine schöne Kamera, und mein Vater fragt: „Woher kommt das?" „Naja, habe halt ein paar Bilder genommen und habe dafür Geld bekommen." Eines Tages kommt er mit einer Leica. Leica damals war sozusagen der Höhepunkt der Technologie. Und mein Vater, sagt er: „Jetzt will ich eine Erklärung." Daraufhin brachte er eine Liste: „So und soviel habe ich verdient mit dem, dafür habe ich mir die neue Kamera gekauft, mit der habe ich mir…" Genau…woher das Geld kam und woher die Kamera kam. Das heißt er war ein guter businessman.
3/00:30:07
Als mein Vater 1941…am dritten Oktober [19]41 bin ich ins erste Lager gekommen. Mein Vater erst circa zwei, drei Monate später. Dann…eine Zeit lang war mein Bruder Tommy, und Großmutter, in Prag…und wiederum, das weiß ich nur von was mir erzählt wurde…dass Tommy sozusagen plötzlich die Person war, die sich um alles kümmerte. Essen, einkaufen, das war ziemlich schwer damals. Den Juden war alles…Speisekarten, nein, Speisekarten? Ja, Tickets waren beschränkt für Juden, wir durften nicht einkaufen, nur an gewissen Tagen, gewisse Stunden. Irgendwie hat er es geschafft, wohl immer noch Essen ins Haus zu bringen. Er war der businessman von der Familie. Und ich erinnere mich an ihn als einen fünfzehnjährigen Bengel, der alles besser weiß. [Lacht.] Aber es war, sozusagen, ein wohlwollendes einander nicht in die Wege zu gehen. Er hat seine Freunde gehabt, ich habe meine Freunde gehabt. Er hat über meine Freundinnen nur lachen können, und ich wiederum sagte: „Wie kannst du dich mit der da auf der Straße zeigen?“ Aber…waren typische junge Teenager. Und wie viel er intellektuell rege war, weiß ich nicht. Wirklich, weiß ich nicht. Die Sachen kamen nie auf. Und sozusagen…ich denke daran, wenn er es überlebt hätte, wäre er heute 82 Jahre alt.
PR: Was ich Sie in Bezug auf Ihren Vater vergessen habe zu fragen, ist, wissen Sie für welche Versicherung er gearbeitet hat?
FT: Nominell. Ich erinnere mich nur an eine, die erste Versicherung, Württembergische Transportversicherungsgesellschaft in Heilbronn. Am Neckar. Wie viel seines Geschäftes damit zusammenhängt, weiß ich nicht, aber ich erinnere mich an den Namen. [Lärm im Hintergrund.] Auch da spielte Politik hinein. Mein Vater war irgendwie untertänig – nein, das ist ein falsches Wort, also eine Filiale? Auch das falsche Wort. Es war jemand in Wien, ein Herr Klier, der das österreichisch-ungarische Gebiet hielt, und irgendwie meinem Vater sozusagen dann Böhmen und Mähren zuschrieb. Ich weiß das nicht mehr genau. Wie gesagt, die…was wir auch an finanziellen Sachen hatten, und ich habe nicht die geringste Ahnung, denn nach dem Krieg bin ich den Sachen nachgegangen. Erst war ich lange Zeit in Krankenhäusern. Als ich zurückkam aus…ich war in Mähren…in Bayern, in Krankenhäusern, erst in Bad Wörishofen, dann eine Zeit lang in Kempten, und bin dann nach Prag gebracht worden. Noch in einer Tragbare. War dann in Prag in Krankenhäusern. Und als ich versuchte, etwas herauszufinden, hatte niemand ein Interesse mir zu helfen. Und ich glaube, dass die Leute, die alles gestohlen hatten, sehr vorsichtig waren, alle Spuren zu verwischen. Später, als ich weiterhin auf legale Weise versuchte, zu Sachen zu kommen, bestand – in damals Tschechoslowakei – die Angst, dass sollten die Juden etwas zurückbekommen, dass dasselbe Gesetz dann auch für Sudetendeutsche funktionieren würde. Denn sollte man dem Juden ein Haus zurückgeben, musst du auch dem Sudetendeutschen… Also eine komplette Verneinung jedes Anspruches. Das selbst…ich weiß nicht, wie viel, was wir in Österreich hatten, keine Ahnung. Die Familie meiner ersten Frau war ziemlich wohlhabend. Aber heute dem nachzugehen…Ich kenne Leute, die sozusagen hier und dort einmal ‚aus der Wand einen Ziegel herausnehmen’ konnten. Aber der Ärger, und die Anstrengung, und das Bemühen, ist mir das nicht wert. Wenn ich paar tausend Dollar herausbekommen hätte, nun, was würde das für mich tun? Tommy, was er an Geld gemacht hat, wo ist seine…was mit seinen Kameras passiert ist, keine Ahnung. Worüber sonst würden Sie noch wissen wollen?
3/00:36:32
PR: Sie haben es einmal schon erwähnt gehabt, aber da würde ich auch noch gerne ein bisschen genauer nachfragen. Der Grund, warum sie nach Prag gezogen sind.
FT: Ich bin mir dessen nicht ganz genau bewusst. Und das hat wahrscheinlich mit dem business zu tun. Mein Vater hatte dort eine Quelle seines Einkommens. Oder die Quelle seines Einkommens. In Wien war er einer von vielen, in Prag war er sozusagen König des Berges. [Lacht.] Des Hügels, nicht des Berges. Irgendwie übersetze ich aus dem Englischen. King of the hill, I do not know.
[Übergang/Schnitt.]
PR: Sie haben mit mir über Ihre Volksschulerinnerungen gesprochen, aber über die Erinnerungen an das Deutsche Staatsrealgymnasium, in dem Sie waren--
FT: --ja. Das war ein gutes Gymnasium, es war ein Elitegymnasium. Wiederum…ich musste keine Aufnahmeprüfung machen. Irgendwie…hat sozusagen, ich weiß nicht, ob das der Direktor war, wer das auch war, mit mir ein bisschen gesprochen, und hat gesagt: „Du musst keine Aufnahmeprüfung machen." Wahrscheinlich war das verhältnismäßig geregelt, das heißt, die haben sich schon sozusagen vorsortiert, wer in das Gymnasium kam. Und die Professoren, die Leute, die unterrichtet haben, waren im Allgemeinen sehr, sehr hoch klassifiziert. Viele der Professoren waren Juden, und der Grund warum die am Stephansgymnasium unterrichteten, war, dass als die Professoren noch jung waren, konnten sie nicht an die Universität kommen. Folglich wurden wir von Leuten unterrichtet, welche im…wäre die Zeit normal gewesen, wahrscheinlich viel, viel höhere Posten eingenommen hätten. So weiß ich, dass Leute, die klassische Sprachen unterrichteten, Bücher um Bücher geschrieben hatten, über deren Fach. Solomon Lieben…nein, Solomon Ehrenfeld, der hat Lateinisch gesprochen. Der war Lateinprofessor. Gott weiß was, welche unbekannte, und heute noch unbekannte, oder mir unbekannte – noch heute unbekannte – römische Schriftsteller…entdeckt ist das falsche Wort, aber beschrieben…deren Tätigkeit war auf Universitätsniveau. Folglich glaube ich, dass unsere Lehrer sehr, sehr gut waren. Erst später hin, als die Nazis sozusagen mehr in das Schulwesen eindrangen, blieb das Niveau herunter. Besonders unter den jungen Professoren, über die wir uns lustig machten. Wir hatten viel Respekt für die alten Professoren, und der Direktor war ein Jude. [Lärm im Hintergrund.] Ich erinnere mich an einen der Geschichtsprofessoren, der gerade irgendwo aus Nazideutschland kam, der Geschichte…hat das Geschichtsbuch genommen und vorgelesen. Ein Buch, das wir…nachdem wir es erhielten, am Anfang des Jahres…hat das schon jeder gelesen. Und dann will er uns noch einmal wiederkäuen. Ich war damals schon ein naseweiser Schüler, und habe an der Seite Zeichnungen gemacht über alte Kanonen, so technische Sachen, drei Projektionen. Und einmal hat er das erwischt. Und sagt er: „Jetzt nehme ich dich zum großen Chef!" Bringt mich hinein, der…aber ich habe das Wort benutzt, vorher, bei der--
PR: --der Direktor der Schule?
FT: Der Direktor der Schule, ja. Der Direktor der Schule kannte mich, er war ein Freund meines Vaters. [Lacht.] Und der zeigt ihm das: „Ja, stellen Sie sich vor, der hat…ich trage ihm vor…der malt sich das!" Sagt der Direktor: „Ja, ja, ja, sehr, sehr schlecht. Herr Kollege, ich werde mit ihm sprechen." Professor ging weg, und Direktor schaut mich an, sagt er: „Du Trottel machst mir das Leben schwer." [Lacht.] Sage ich: „Aber er liest uns aus dem Buch vor, wozu brauche ich ihn?" Sagt er: „Ich weiß, aber das ist die Situation, tu mir den Gefallen und mal nicht mehr", und das war das Ende. [Lacht.]
3/00:42:25
Aber das Gymnasium hatte gute Professoren und schlechte. Die guten waren die Alten. Und zum Beispiel habe ich Chemie gelernt, und ich weiß heute, dass das, was er mir gelernt hat, nicht nur veraltet war, sondern falsch. Denn die meisten der technischen Professoren hatten im 19. Jahrhundert studiert. Als ich hinkam, 19[…]…was auch immer, [19]33, [19]35, waren die schon sozusagen bereit, sich zurückzusetzen. Aber deren Studien gingen 60 Jahre lang zurück. Und was deren Professoren waren, wer weiß. So bin ich wirklich untererzogen in Chemie…nicht in Physik, habe ich dann nachgeholt…aber Chemie habe ich besonders schlecht. Aber anderseits, Geschichte, Philosophie, sozusagen klassische Themen, die haben sie sehr, sehr gut unterrichtet. Heute noch kann ich einen lateinischen Text lesen. Und natürlich zweisprachig aufgewachsen. Ich kann auch heute noch Faust zitieren…nicht viel, aber doch, und dieses oder jenes, und viel mehr war… Wie ich jetzt in Wien war, hat uns jemand in die Wachau genommen, wir gingen…die haben mich dann…sehr liebe Leute haben uns hinaufgenommen zum Dürnstein. Sie wissen, wo das ist? Und ich sah die Ruine oben, und hat mich erinnert an ein Gedicht: „Wir singen und sagen vom Grafen so gern, der hier in dem Schlosse gehauset, da wo ihr Enkel des seligen Herrn, denn heute vermelden wir Sorgen. Nun hatte sich jener im heiligen Krieg durch mannigen Sieg, doch als er zuhause vom Rösselein stieg, da fand er sein Schlösselein oben, doch Diener und Habe zerstoben." Woher kommt das? Irgendein Fragment, das stecken geblieben ist, aber es war einmal dort. Bei der…Goethe, Hochzeitslied. Weiß nicht, wo er das geschrieben hat, und wann er es geschrieben hat, wusste nur, dass es von Goethe war. [Lacht.] Aber so hin und wieder, wenn Sie den richtigen Knopf drücken, kommt dann ein Zitat hervor, oder eine Erinnerung.
3/00:45:34
Wir wurden darauf gehalten, viel zu lesen, und gute Sachen zu lesen. Ich habe wahrscheinlich die meisten der Theater von Schiller das ein oder das andere Mal gelesen. Schillers Dreißigjährigen Krieg, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Aber Schriftsteller, wie [Johann] Nestroy und [Eduard] Mörike, waren sozusagen im Vordergrund des Tages. Es war mir irgendwo weit entfernt, und ich glaube, dass ein guter Teil davon die Atmosphäre des Gymnasiums war. Dass wir darauf angehalten wurden, Sachen zu lesen. Nicht nur deutsche Literatur, aber auch Lateinische, und ich habe die meisten der Sachen – Französisch erst später erlernt – im Original gelesen. Aber Thomas Mann kann ich Ihnen noch heute zitieren: „Tief ist der Funkbrunnen in der Vergangenheit, dürfte mein“…whoops, da könnt mich mein…die ist nämlich dann…sogar, weil nur das Menschenwesen… Aber all das wahrscheinlich angezündet von dem Staatsrealgymnasium. Ob mein Bruder dasselbe im tschechischen Gymnasium gelernt hätte, weiß ich nicht. Aber ich nahm viel mehr Teil an der mitteleuropäischen Kultur, als jemand, der in Prag aufgewachsen wäre. Oder jemand, der im tschechischen Prag aufgewachsen wurde. Eine Sache, von der ich gar nicht gesprochen habe, ist jüdische Information. Die kam hauptsächlich nach dem Krieg. Ich wusste Text, ich wusste über manche Geschichte, aber die Details kamen erst viel, viel später. Die Tenore des Unterrichtes war…und das glaube ich, hat mir das Leben lang angehalten…man hört nicht auf, in die Schule zu gehen. Lernen ist ein ununterbrochener Weg. Und irgendwo habe ich über Lernen im Konzentrationslager gesprochen. Das bewusste Streben, Information zu sammeln. Selbst, wenn Sachen sehr, sehr schwer waren. Das letzte Lager, Kaufering. Wir hatten noch immer einen: „Was weißt du? Sag mir, was du weißt, ich sag dir was ich weiß." Lernen hatte eine andere Nachricht. Die Nachricht war: Du lernst etwas, um es zu brauchen. Das heißt, du wirst überleben. Lernen war eine Betonung der Zivilisation, welche weitergehen wird. Englisch würde mir das viel leichter fallen, das zu sagen. Hin und wieder sage ich sowas in Englisch. Das Gymnasium war ein wichtiger Teil meiner Erziehung. Leider ging es nicht weit genug, und hörte auf in [19]38, [19]39, sobald wir herausgeworfen wurden.
3/00:50:19
PR: Können Sie mir von dem Herauswerfen erzählen?
FT: Das ist ganz einfach: Eines Tages war ein Edikt, Juden dürfen nicht in die Schule gehen. That was it. Und wir alle warteten, dass das Naziregime auch zusammenbrechen würde, dass es ganz einfach nicht lebensfähig wäre. Es war todesfähig, aber nicht lebensfähig. Und das ist vielleicht das Thema, das mein Vater mir beibrachte, das sozusagen in der Luft lag. Dass die Ideologie auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten wäre. Und, dass die Zerstörung der Ideologie sozusagen ein Teil der Ideologie wäre. Eine Selbstzerstörung. Und er hatte ja natürlich recht. Was er nicht wusste ist, dass er früher sterben würde als das Regime.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Es bedürfte keines Beweises, dass das Naziregime zusammenfallen würde. Und es war zwar ein…it was a given, habe versucht ein gutes Wort dafür zu finden. Es war ganz einfach unvermeidlich, und je länger der Krieg sich fortsetzte, desto offensichtlicher war es. Selbst in [19]41, nach dem Einmarsch nach Russland, war es offen, war nur eine Frage der Zeit – wie lange würde es dauern? Ja, wir werden noch ein anderes Land besitzen, ja wir werden noch einmal in Ägypten einmarschieren, aber man kann ganz einfach mit der Ideologie nicht ein Weltreich bilden. Wir wussten zu viel Geschichte. Die Natur eines diktatorischen system, or jedes diktatorischen Systems, hat die Qualität seine eigene Zerstörung zu enthalten. Ja, darüber könnte ich noch eine Stunde sprechen. [Lacht.]
PR: Weil Sie erwähnt haben, dass das dem Rauswurf aus der Schule sehr--
FT: --der Rauswurf aus der Schule, ja. Aber das war eines der Kennzeichen der Stupidität. Irgendwo zitiere ich Tommy Mandel. Tommy Mandel ist einer meiner Freunde, und ich mag das erwähnt haben. Wer über Mathematik…habe ich das erwähnt? Irgendwo steht das aufgeschrieben. Jemand fragt einen wichtigen Mathematiker in Deutschland, ob da auch Folgen wären, die…nicht Entlassung, sondern die Emigration aller jüdischen Mathematiker…was wird das für die deutsche Mathematik bedeuten? Sagt: „Das ist sehr, sehr wichtig.“ Wie? „Es starb den Moment.“ [meint: Es = Sie = Die Mathematik, Anm. d. R.] Wenn man alle die Wissenschaftler, welche in Oak Ridge, in Los Alamos, gearbeitet haben…waren alles Emigranten. Die großen Physiker. Und von Einstein angefangen, herunter zu Bohr, to…ganze Liste. Waren alle Leute, welche aus Deutschland herausgeworfen wurden. Ich habe für Diktatur sehr, sehr wenig übrig.
Ende von Teil 3
Teil 4
PR: Können Sie sich daran erinnern, wie Ihre Familie darauf reagiert hat, als die Nazis in Deutschland die Macht übertragen bekommen haben?
FT: Das wurde diskutiert. Das war natürlich ein großes Unglück. Ein gewisses Unverständnis war auch da, über die Borniertheit, die Dummheit, einen Schuft an die Macht zu geben. Und dieselbe Dummheit…etwas das mich stört, dass ich nicht die Einsicht habe, die Dummheit der großen Bevölkerung, jemanden zu erwählen, der unfähig ist, oder…unfähig ist vielleicht das falsche Wort…boshaft genug ist, um Situationen hervorzubringen, welche eventuell tödlich sind. Und das zählt unser Land hier mit ein. Wieso dieses Land den [George W.] Bush erwählt hat, ist sehr, sehr traurig. Und ich hoffe, dass sich das auch ändern wird, aber ist keine Garantie. Und, mehr als einmal, hatten Rebecca und ich besprochen…dann nehmen wir an, der andere Schuft kommt ans Ruder – [John] McCain. Wohin fahren wir? Wir haben nicht wohin zu gehen. Nach Israel werden wir nicht gehen, aber wohin auch? So, ähnlich…in 1933 bestand noch die Möglichkeit wegzulaufen, bis [19]38, [19]39. Eine Sache, die ich nicht erwähnt habe, ist: In unserer Wohnung war ein Gästezimmer, und von [19]33 an war ständig jemand in dem Gästezimmer. Die Leute kamen…ich weiß nicht, wo sie herausfanden, dass mein Vater ihnen helfen würde, und manche kamen mit schwarzen und blauen Flecken, und Bandagen. Leute, die in Gestapohaft waren, und weggelaufen sind. Ich erinnere mich an einen Mann sehr, den wir dann später noch viel gesprochen hatten. Er war ein Richter, in Berlin. Sein Name war Eberhart Hollich. Und als die Nazis einmarschierten, die Macht übernahmen in Berlin, ging er zu seinem Vorgesetzten, und sagte ihm: „Das Ganze ist total illegal." Später ruft ihn der in sein Büro, sagt: „Du Trottel, du hast das vor Zeugen gesagt. Ich kann das nicht verschweigen. Ich gebe dir vier Stunden, nach vier Stunden muss ich es melden, und du hast Zeit genug wegzulaufen." Hollich erschien in Prag bei meinem Vater, und ein preußischer Richter…buchstäblich, man könnte ihn direkt in die movies schicken. Starkes Rückgrat.
Und wir wussten von dem Tag an, dass die Tage sozusagen schlechter und schlechter sein würden. Wie weit das gehen würde, wusste niemand. Wir hatten nicht erwartet, dass die Nazis am Ruder bleiben würden, oder wie lange sie am Ruder bleiben würden. Aber, dass das Ruder enden wird, dass das Regime enden würde, darüber bestand gar kein Zweifel. Sind einige Beispiele, die im Augenblick zum Kopf kommen. Als die deutsche Armee in der Ukraine einmarschierte, wurden sie mit Blumen begrüßt, als…so das Kommunistische Regime loszuwerden. Sechs Wochen später war ein jeder Ukrainer Anti-Nazi. Ich sage, die haben das Geschick gehabt, sich innerhalb von sechs Wochen unpopulär zu machen. Die Ideologie hatte nichts für die durchschnittliche Person. Und bestimmt nicht für jemanden, der nicht Deutsch war. Für einen Deutschen mag das eine Zeit lang so ein erhöhtes Gefühl haben. „Wir sind die Besten und die Mächtigsten.“ Aber wie lange dauert das? Als die Nazis übernahmen, da wurde diskutiert – schließlich waren wir in Prag, wo noch komplette Freiheit bestand. Und die Lektion ist noch da. Das heißt, wir müssen was erlernen von diesen Ereignissen. Ich bin besorgt über die nächsten Wahlen, und hoffe, dass [Barack] Obama gewinnen wird. Aber Garantie nicht…da sind hunderte zu tausenden von Trotteln in Kansas, und Nebraska, die dort nicht um die Ecke denken können.
4/00:06:30
PR: Können Sie sich an andere politische Zwischenfälle, oder große Ereignisse erinnern, die auf Ihre Familie Auswirkung gehabt haben? Die diskutiert worden sind?
FT: Ich glaube, die ganze…München, [Édouard] Daladier und [Neville] Chamberlain. An dem Tag hat England alle Sympathie verloren. Wie, sozusagen, dieses engstirnige, und ja…so kurzsichtige Ja-Sagen. Es ging weiter zurück, und das weiß ich eigentlich aus persönlichen Gründen. Als die Nazis ins Rheinland einmarschierten, 1930, [19]33, oder wann auch immer das war, das war der Tag, an dem man hätte sagen sollen, das geht nicht weiter. Ihr müsst heraus. Aber, wenn man einmal nachgibt, verliert man die philosophische Grundlage. Ich denke darüber nach, welche anderen politische Sachen…wir waren natürlich sehr interessiert, was in der Welt vorgeht. Namen, die Ihnen wahrscheinlich unbekannt sind, die [Alexandre] Stavisky-Affäre in Frankreich, vor dem Krieg. Ein Skandal, ein typischer französischer, politischer Skandal. Ja, das war sehr, sehr interessant damals. Andererseits, wir hatten eine längere historische Perspektive, das heißt, die Dreyfus-Affäre hatte noch nicht seinen Lauf gehabt. Bestanden noch immer Reste da. Das heißt, die rechtsstehende, katholische Partei in Frankreich hatte viel zu viel Macht. Die Stellung der Kirche während des Krieges…das hat vielleicht mit meiner histoire zu tun. Wenn Pius XII. ganz einfach ein bisschen Rückgrat gehabt hätte, und gesagt hätte: „Wer auch immer den Nazis folgt, ist bei Definition aus der Kirche ausgetreten.“ Das hätte in Süddeutschland das…oder was auch immer südlich von Main, Rhein, gewesen wäre…hätte plötzlich das katholische Deutschland in ein Problem gesetzt. Hätte solche Leute wie Kardinal [Theodor] Innitzer wahrscheinlich untergraben. Warum er das nicht gemacht hat? Weil die Macht der Kirche wichtiger war, als die moralische Stellung. Moralität und Politik können nicht leicht voneinander getrennt werden. Eins geht nicht, ohne das andere. Das Bewusstsein bestand auch damals. Ob es auch so formuliert wäre, weiß ich nicht. Während des Krieges wussten wir, dass der Papst jederzeit die Macht hatte, den Krieg zu beenden. Aber er wollte nicht. Die Macht der Kirche war ihm wichtiger, als die Möglichkeit den Kommunisten folgende Hand zu reichen. Selbst, wenn ich von Diktatur spreche, schließe ich auch die Kommunisten drin ein, denn das System ist ebenso zum Tode verurteilt. Auf die Dauer ist er nicht haltbar. Es wird dann zu einer persönlichen Diktatur, so wie wir es jetzt in China sehen, wo eine kleine Gruppe von Leuten, die an der Spitze der Geheimpolizei und des Polizeisystems die Macht haben. Aber moralisch haben sie es nicht.
4/00:11:20
PR: Sie haben gesagt, dass Sie über den Karl-Marx-Hof, und die Beschießung des Karl-Marx-Hofes, erst in Prag gehört haben. Ist das in Ihrer Familie diskutiert worden?
FT: Oh, bestimmt, aber ich bin mir…weiß nicht mein Alter damals. Wann war Karl-Marx-Hof, [19]34? Ja, da war ich elf Jahre alt…ins Bewusstsein ist das erst viel später eingedrungen. Aber, dass es da war, darüber bestand kein Zweifel. Wir waren sehr besorgt um die Familien in Wien. Was macht man jetzt? Und die ganze Geschichte Österreichs ist nicht eine sehr erquickliche. [Lacht.] Glücklicherweise habe ich keine große Verantwortung für die Entwicklung Mitteleuropas. [Lacht.]
PR: Die Besorgnis um die Familie, die hat den ‚Anschluss’ miteingeschlossen? In den…
FT: [19]38 waren die Grenzen geschlossen. Das heißt, man konnte nicht herein, man konnte nicht heraus. Und es gelang zwei…meine Mutter starb [19]32, sozusagen bestand keine Gefahr. Aber zwei der Tanten konnten nach – damals noch Palästina – flüchten. Eine legal, die andere illegal. Und die Onkel sind alle nach Holland gefahren. Irgendwo habe ich das in den Schriften, wenn Sie mir das nachlesen. Die hatten Verbindungen mit der katholischen Kirche in Holland. Die katholische Kirche, nach dem Krieg, nahm Kinder aus Wien, um nach Holland…um sie dort ein bisschen zu ernähren. Denn in Wien war Hungersnot. Und die katholischen Organisationen taten das wahrscheinlich – und das ist meine Interpretation – um ein paar Leute zum Katholizismus zu bekehren. Und folglich wurden die von denen angehaucht, zwei der Onkel, die mit Hilfe der katholischen Organisationen in Holland untertauchen konnten. Der dritte Onkel, Harry, der nach England entflohen war, und dann von England nach Australien und Neuseeland gebracht wurde. Und die sind alle noch rechtzeitig weggekommen. Und von meiner Mutter Familie ist niemand, außer meinem Bruder, ums Leben gekommen.
4/00:15:07
PR: Haben Sie über das hinaus, was Sie mir jetzt erzählt haben, Erinnerungen an den ‚Anschluss’, oder an Diskussionen um den ‚Anschluss’ herum?
FT: Der ,Anschluss‘ war [19]38. Es war ständig diskutierte Geschichte mit…wir wussten, was vorging und so, was hauptsächlich besprochen wurde. Was ist denn eigentlich die politische Situation für heute, morgen? Wir wussten die Geschichte über [Kurt] Schuschnigg, und, dass er den Nazis sozusagen die Bewilligung gab, einzumarschieren. Die Details waren unbekannt, das hörten wir erst spät nach dem Krieg. Die Ereignisse selbst wurden hauptsächlich von Berichten der Nazis mitgeteilt. Folglich wussten wir, dass wir nicht ein genaues Bild hatten, ob wir…ich war ein Teenager, ob…damals bestand noch nicht die Gewohnheit englisches Radio zu hören. Wenn man es überhaupt…BBC existierte wahrscheinlich, ich weiß nicht. Aber Nachrichten waren entweder telegrafisch, hin und wieder vielleicht einmal telefonisch. Das heißt, das Zeitungswesen war ziemlich begrenzt. Details wusste ich nicht. Ich weiß auch nicht, was meine Familie wusste, oder nicht wusste.
PR: Ist Nachricht über das Novemberpogrom, über die Reichskristallnacht, gemacht--
FT: --das war natürlich große, große Nachricht. Und wiederum, weiß ich nicht, wie die Nachrichten…woher die Nachrichten kamen. Denn ja, Schweizer Zeitungen waren noch nicht verboten. Englische Zeitungen kamen noch ins Land. Ich weiß nicht, wo die tschechische Presse verbunden war, was deren Verbindungen wären. Finde natürlich alle Zeitungen…die erlaubt waren, hat man gelesen. Schwedische…nein, deutsche Presse natürlich nichtexistierend, als neutrale Information. Aber Schweizer Zeitungen, die nicht notwendigerweise freundlich waren. Ich habe für die Schweizer sehr gemischte Gefühle. Aber italienische Zeitungen waren natürlich vom faschistischen Propagandaministerium, was auch immer wieder Sachen beeinflusst. Corriere della Serra, ich weiß nicht, was die schrieben. Aber wir wussten davon. Wir wussten natürlich von Leuten, die entflohen waren – die Flüchtlinge, die ins Land kamen.
PR: Das Münchner Abkommen, das haben Sie ja schon erwähnt gehabt.
FT: Ja. Das war ein wichtiger…das war sozusagen Stunde zu Stunde. [Hustet.] Vergeben Sie. Ich erinnere mich an die Atmosphäre in Prag. Weil…[Hustet.] Unsere Nachrichten waren wahrscheinlich im Radio. Vom Radio hauptsächlich. Und das war wahrscheinlich Prager…tschechisches Radio. Ich erinnere mich nicht an Details, außer zu wissen, dass das Zusammenkommen in München…und das war der Fall, und dann bestand große Angst in Böhmen, dass das Land besetzt sein würde. Und es passierte auch. [Lärm im Hintergrund.] Für uns, als Familie, war es die Frage: Wohin können wir entfliehen? Und mein Vater war in dem…zu der Zeit, mein Großvater war schon ziemlich alt. Die Frage, was tut man jetzt? Es wäre sehr einfach gewesen, für meinen Vater, wegzulaufen. Er hatte sich selbst und zwei Söhne, wäre wahrscheinlich kein solches Problem gewesen. Mit dem kleinen Unterschied, was passiert mit den alten Leuten? Er war der pater familias, sozusagen der Älteste im clan…was auch immer die erweiterte Familie ist. Er hat sich um alle Sachen kümmern müssen. Kümmern wollen, wahrscheinlich. Da waren Verwandte rechts und links, an deren Namen ich mich gar nicht erinnern kann. Eine Verwandte auf meines Großvaters Seite, meiner Großmutters Seite. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an die Namen. Aber es waren alte Leute, 70-, 80-Jährige, die auf einer Pensionssituation waren, Geld hatten oder nicht hatten, Hilfe brauchten im Haus, und… Für ihn wegzulaufen, wäre einfach gewesen. Aber er hat gesagt: „Ich kann das nicht machen." Denn niemand wusste, was noch passieren würde. So sind die Sachen steckengeblieben.
4/00:21:41
Natürlich, mit dem was wir heute wissen, oder nach dem Krieg wussten: Man hätte weglaufen sollen. Aber verständlicherweise tat er es nicht. Jedes Ereignis hatte eine doppelte Signatur. Sowohl, was bedeutet das politisch – landespolitisch, weltpolitisch –, aber auch persönlich: Was tue ich jetzt? Und da kam natürlich sinngemäß…persönliche Entscheidungen wurden vor politischen Entscheidungen getroffen. Selbst in [19]38 war es sehr, sehr schwer aus dem Land herauszukommen, oder ein Land zu finden, das einen hineinlassen würde. Zum Beispiel, Australien ließ niemanden hinein. Neuseeland geschlossen, total. Kanada: sehr schwer. Vereinigte Staaten: ein Problem. Die österreichische Quota hatte ungefähr 1.800 Personen. 1.800 slots. Die Hälfte dieser Leute, welche Verwandte in den Vereinigten Staaten haben. Dann kamen noch Leute in die Quote, welche religiöse…das heißt Pfarren, Rabbiner, und so weiter wurden…kamen als Präferenz. Das Endresultat ist, dass die offene Quota, die für die zur Ursprungperson da war, circa 200-300 im Jahr war. Mach was für mich. [Lacht.] Die Migrationsgesetze hier – damals und auch heute noch – sind miserabel. Südamerika, kein Land wo die jemanden hineinlassen, es sei denn, dass die Leute viel Geld hätten. Wenn jemand genug Geld hatte, um die notwendigen Behörden zu bestechen, dann konnte man ein Einreisevisum erhalten. Aber was gewöhnlich passiert, wenn man das Geld zusammengebracht, dem Mann auch das Geld gegeben, dann war eine Revolution, und eine neue Garnitur Leute kommt herein. [Lacht.] Also fängt man wieder von vorne an. Selbst nach dem Krieg war es sehr, sehr schwer von einem Land ins andere zu kommen. Ich hatte [19]46 in Prag…und natürlich springe ich jetzt vor in der Zeit…ich wollte weggehen. Ich wollte nicht, dass die Kommunisten es noch übernehmen. Ich sage ja, ich habe eine Diktatur in meinem Leben gehabt, das ist alles, was ich brauche. Aber um wegzufahren brauchte ich eine Bewilligung des Militärs, eine Polizeibewilligung…da spreche ich nun von Tschechoslowakei, bevor die Kommunisten zur Macht kamen…eine Ausreisebewilligung, dann brauchte man ein Transitvisum durch die Amerikanische Zone, ein Transitvisum durch die Französische Zone, und dann ein Einreisevisum nach Frankreich, auf was auch immer der Grund gewesen wäre. Ich hatte damals…ich weiß nicht mehr, wie einen richtigen…einen echten passport bekommen. Damals durfte noch Mann und Frau auf derselben passport reisen, und erzählte die Geschichte jemandem, der Nichtjude war, der die Familie kannte. Fragte, „Wie komme ich da heraus?“ Und sagte er: „Hast du einen passport?" „Ja." „Gib ihn mir." Eine Woche später höre ich von ihm, sagt er: „Komm, kriegst einen passport. Sind alle Stempel drin." Sage ich: „Wie hast du das bekommen?" „Ah, Kinderspiel. Wir haben das während des Krieges alle Zeit gemacht, den Stempel gefälscht."
4/00:26:25
Bin mit diesen gefälschten Stempeln aus dem Land gefahren, offiziell mit einem Business-Visum nach Frankreich, um bijouterie zu verkaufen. Bijouterie ist in der…Glaswaren, welche für Knöpfe und, sozusagen, Schmuck verkauft werden. Das war einmal eine große Industrie in Nordböhmen. Und da bin ich…Karten zusammengemacht, von Leuten die Knöpfe und Sachen bekommen, um sozusagen eine Kollektion zu haben. [Lacht.] Nach Frankreich durch…habe das Geld zusammengebracht, bin in Paris zur Polizei gegangen und habe gesagt: „Ich bin hier. Aber alles ist falsch." Und habe, durch verschiedene Organisationen, dann eine Verlängerung bekommen, und das Problem wurde gelöst. Aber selbst damals brauchte man allmögliche Bewilligungen. Zum Beispiel [19]47, als wir nach Holland fahren wollten, musste ich eine französische re-entry permit haben, ein Transitvisum durch Belgien, ein Hollandvisum, das sehr, sehr streng war, das ist nur für so und soviel Tage, und nicht erneuert werden konnte. [19]47 war es noch sehr, sehr schwer in Europa herumzufahren. Es hat wirklich…ab dem Marshallplan hat das erst geändert. [Trinkt etwas.]
PR: Um jetzt noch einmal ganz kurz auf Ihre Erinnerungen an Prag zurückzukommen: Wir haben auch ganz kurz den Einmarsch der Deutschen Truppen erwähnt. Was sind denn Ihre Erinnerungen an diesen Einmarsch?
FT: Es war…war es im März? Plötzlich war…damals hatte ich…offiziell arbeitete ich in einer Möbelfabrik. Der Vater hat mich dort, sozusagen als Lehrling, untergebracht. Und während des Tages…es war ein Wintertag, regnerisch, Schnee…und irgendwie hörte ich, die Nazis sind hereinmarschiert. Und das waren hauptsächlich Motorradtruppen, also Wagen, Lastwagen mit Soldaten, und Flugzeuge, ständig kreisend. Am 15. März [19]39 bestand die tschechische Regierung nur im Namen, und total unverteidigbar, dass solange die Tschechoslowakische Republik bestand, wäre es vielleicht möglich gewesen, Böhmen zu verteidigen. Ob es auch funktioniert hätte, das weiß ich nicht. Aber technisch war es möglich. Aber nachdem Sudetenland besetzt war, war es komplett unmöglich. Die Atmosphäre war deprimierend. Die Fabrik hat zugeschlossen, bin nachhause gegangen, und musste…die Straßenbahnen fuhren nicht mehr…musste zu Fuß nachhause gehen. Und da war die Situation, wir wussten, was passiert war…was passieren würde, wussten wir nicht. Wir hatten eine Ahnung darüber, von den Juden, welche aus Sudetenland fliehen mussten. Die Brutalität der Nazis war so…wir wussten von solchen Sachen, aber nichts was man machen konnte. Das heißt, eine politische Situation, über die man…wo persönliche Entscheidungen nicht mehr möglich waren.
4/00:31:15
PR: Haben Sie, vor dem Einmarsch der Nazis, Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
FT: Vor 1938 ganz und gar nicht. Ja, hin und wieder hörte man eine…sozusagen eine Bemerkung über Juden. Aber nichts…wir nannten das damals, sozusagen, den normalen Antisemitismus, der dort immer existierte. Wahrscheinlich Jahrhunderte von Kirchenpropaganda…bestimmt. Aber es war nicht ein Rassenantisemitismus, es war ein religiöser Antisemitismus. Der Rassenantisemitismus kam erst mit den Nazis, als wesentlicher Bestandteil. Wir wussten von der Slowakei [unklar], und ich weiß nicht, wie viel Sie von slowakischer Geschichte wissen. Die Slowakei, als Bestandteil der Tschechoslowakischen Republik, bestand seit 1918/19, ungefähr. Vorher war es ein Teil des Königreichs Ungarn, das k. und k. [kaiserlich und königlich]. Geografie kommt nun in das Bild. Die Flachländer waren im Wesentlichen ungarisch. Die Berggegenden waren slawisch. Und die Städte waren entweder Bergbauerstädte, dann waren sie gewöhnlich deutsch, oder kleine Städte, und die waren jüdisch. Städtls. Preßburg als Hauptstadt, unter Österreich-Ungarn hatte drei Elemente. Ein deutsches Drittel, ein ungarisches Drittel, und ein jüdisches Drittel. Slowaken, die existieren in Preßburg nicht. So, die politische Einheit der Slowakei ist eine komplette…ist eine Entwicklung des frühen 20. Jahrhunderts. Das Selbstbewusstsein der Slowaken als Einheit kommt sogar noch später. Und man kann dort nur denken, als nationalen Dünkel…sich einen Dialekt als Nationalität zu erklären, ist mehr als dumm. Die Tschechoslowakei brauchte die Slowakei, wahrscheinlich um gewisses politisches Gewicht zu haben. Das eine, das die nicht wollten ist, dass es ungarisch wäre. Und selbst in Ungarn war der Nationalitätsstreit sehr, sehr stark. Ich weiß nicht, ob Ihnen der ungarische Slogan nem, nem, soha, no, no, never…nein, nein, niemals…das bestand für die Aufteilung Ungarns nach 1918. Wobei Siebenbürgen nach Rumänien abgetreten wurde, und der nördliche Teil an die Slowakei.
4/00:35:10
Das Slowakische Problem ist ziemlich kurz, aber die Slowakei war immer orientiert nach dem Südosten. Das heißt, Slowakische Volkslieder heute…noch heute…weil da, wo ich jung war, das Volkslied war: „Mein Liebchen wurde von den Türken gefangen, und ich werde meinen Säbel schärfen, und sie befreien gehen.“ Das heißt, die Slowakei war ein Teil der Garnison, welcher Anteil türkisch war. Und sehr, sehr katholisch. Das heißt, die Slowakei hatte nie eine Reformation, oder…außer den Bergbaustädten, die im Allgemeinen schwäbisch waren, nicht notwendigerweise protestantisch…die katholische Kirche hatte eine unglaubliche Macht dort. Und solche Leute, wie zum Beispiel Monsignore [Jozef] Tiso – das ist ein Kirchenpotentat – war der leitende Politiker. Selbst in unserer Familie wurde…sozusagen, nicht beschimpfen würden wir es, aber sich lustig machen würden über…sage ich: „Du bist ein Slowak [Slowake]." Ich weiß genau, wie ich über die Slowaken denke. Die Slowakei hatte einen starken Anteil jüdischer Politik, das heißt deren Politiker…die hatten sozusagen ein Blatt aus der österreichischen Politik genommen, dass sie mit diesem sehr gut die politische Plattform wäre. Aber der…jetzt sprechen wir über 20. Jahrhundert in der Slowakei. [Lärm im Hintergrund.] Ich war davon nicht direkt betroffen.
PR: Wir haben auch einmal ganz kurz über die Namensänderung – Taussig in Terna – gesprochen. In dem Zusammenhang dann auch – das haben Sie das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben, erwähnt – über einen Fehler mit dem Mittelnamen, der aber nur in tschechoslowakischen Dokumenten auftaucht. [Lärm im Hintergrund.]
FT: Ja, Michail. Bedrich Michail. Ich weiß nicht, woher das kam. Meine tschechischen Dokumente, die mein Vater…es war sehr kompliziert das Ganze. Und warum er den Namen Terna benützt hatte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, um es leichter für uns zu machen, sich daran zu erinnern. Tschechisch ist Friedrich Bedrich. Und der Mittelname im Deutsch, meinem Geburtszeugnis ist Friedrich Arthur Taussig. Mein Vater wollte wahrscheinlich, um den Arthur herumzugehen, einen…ich bin mir dessen nicht sicher, weiß auch nicht warum. Aber ich weiß nur, dass die tschechischen Dokumente zuerst Michail erwähnen.
PR: Und wann hat Ihr Vater den Namen umändern lassen, und warum in etwa?
FT: Das genaue Datum weiß ich nicht, aber er hat das gemacht, und das hat er dann rückgängig dokumentiert. Es war 1940, oder…ich weiß nicht. Aber er hat es…wir hatten noch alle die Verbindungen gehabt, und um so hinzustellen, als ob es [19]38 passiert wäre, bin mir aber auch nicht ganz sicher darüber.
4/00:39:55
PR: Meine letzte Frage für heute wäre: könnten Sie mir etwas über Ihre Erinnerungen an den Ausbruch des Krieges erzählen? Des Zweiten Weltkrieges.
FT: Ja, [19]39, also mein Großvater war im Sterben zu der Zeit. Im September, wir waren aus der Schule herausgeworfen worden…die Sachen hatten die jüdischen…oder die antijüdischen Edikte waren die Sachen, welche im Vordergrund standen. Der Anfang des Krieges war sehr negativ, denn Russland war neutral. Das heißt, Hitler und Stalin hatten einen Pakt gemacht. Folglich sind die Nazis in Frankreich einmarschiert. Belgien, Holland, später in Skandinavien. Wir waren…es war eine deprimierende Situation. Und die Frage war: Wie, oder was, macht man? Und was würde es für uns persönlich bedeuten? Aber die Nazis hatten eine volle Organisation, um die Juden zu unterdrücken. Obwohl die Politik gegen die Mechanik der Unterdrückung, sozusagen in der Luft lag, Details wurden ausgeschrieben während der Operation. Wie weit waren Juden erlaubt, dieses oder jenes zu tun, dieses oder jenes zu besitzen? Die vollkommene Vernichtung der Juden wurde erst in der Wannseekonferenz bestimmt, von der wir natürlich nichts wussten. Und das war im Jänner 1942. Da war ich schon in einem Lager. Die Wiener Gestapo, die sich da besonders hervorgetan [hat], mit deren Brutalität, Borniertheit. Aber wer wusste das damals?
PR: Die Zeit knapp vor dem Kriegsausbruch, beziehungsweise an den Tag des Kriegsausbruchs selber…können Sie sich noch erinnern? Gibt es irgendwas erinnerungstechnisch, was Sie--
FT: --es war sozusagen in der Luft. Das war eine Frage, wann würde es passieren, nicht ob es passieren würde. Und was die Konsequenzen sein würden, wusste niemand. Dass die Maginot-Linie sozusagen umgangen wurde, und nicht standhalten wurde, das wusste niemand. Im Englischen sagt man to role with a punch. Und das ist was man getan hat, das ist die Situation. Was tun wir jetzt? Wir wussten nicht, wie gering unsere Möglichkeiten wären. Sonst war auch für andere Leute eine… Wir haben uns besonders stark besoffen, weil wir den antijüdischen Gesetzen unterlegen waren. Während jemand, der in Frankreich war, auch nicht besonders gut dran…
Ende von Teil 4
Teil 5
20. August 2008
PR: This is part four of an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on 20th August 2008, at Mr. Terna’s studio. Herr Terna, um fortzusetzen, wo wir das letzte Mal aufgehört haben: Wir haben uns das letzte Mal unter anderem auch über Ihren Rausschmiss aus der Schule unterhalten. Und Sie haben mir erzählt, dass Sie im Geheimen unterrichtet worden sind.
FT: Geheim ist nicht genau das Wort für…die Situation, nach der Besetzung von Prag, war in ständiger Änderung. Von einem Tag zum Anderen haben sich die Sachen geändert. Unterrichtet…zuerst war es ein bisschen informal, das heißt, mein Vater hat Unterricht für mich arrangiert, in verschiedenen Gebieten. Mathematik, Philosophie, etwas Sprachunterricht, und das hatte sich…während der Besetzung wurden die antijüdischen Gesetze ständig verschärft. Und die rundherum…innerhalb Prags, wir waren unter der direkten Fuchtel der Gestapo von Wien. Wir waren sozusagen eine Filiale von Wien. Die meisten der Gestapo-Leute kamen aus Wien oder Österreich. Und die hatten es natürlich besonders scharf darauf bedacht, alle Ausdrücke der jüdischen Gemeinde zu unterdrücken. Folglich durfte man nicht unterrichten, und ich bin mir nicht sicher, wie weit die Ideologie der Nazis damals…und ich spreche jetzt von [19]39 und [19]40. Ende [19]39, [19]40, was in deren Kopf vorging, außer, dass sie bissige und boshafte Leute waren. Räuber, darauf bedacht, soviel als nur möglich an sich zu reißen. Vielleicht auch unter der Ideologie, dass das Nazisystem davon profitieren sollte, doch schließe ich nicht aus, dass da auch nicht geheim…nicht geheim, sondern privat, Sucht war.
Nun, unterrichten. Wir durften nicht mehr unterrichtet werden, das war nicht offiziell erklärt. Aber die Gestapo hat nie ein offizielles Edikt geschrieben, für irgendetwas. Zum Beispiel Radios: Wurde nicht geschrieben, „Ihr müsst eure Radios abgeben.“ Das hat man langsam innerhalb der Gemeinde verbreitet. So und so wurde er erschossen, oder verhaftet, oder dies oder jenes, weil er ein Radio hatte, oder Verbindungen hatte. Man hörte diese Sachen sozusagen im Geheimen. Natürlich war die jüdische Gemeinde sehr unter der Aufsicht der Nazis. Taten Sachen, oder gaben Informationen, hauptsächlich unter deren Direktion. Hin und wieder aber privat. Während die Offiziellen…die Handlanger der Nazis waren…privat waren sie es nicht. Wir wussten, dass es gefährlich war, zu unterrichten. So hatten wir gehört, der Soundso wurde verhaftet, weil er jemanden dieses, oder jenes…eine Klasse hatte von drei Leuten. Man war mehr und mehr vorsichtig. Privatgespräche waren schwer zu unterdrücken. Mein Vater hatte Bekannte, und das war sozusagen von Person-zu-Person-Unterricht. Ein Chemiker…nicht Chemiker, ein Apotheker…das ist nicht das richtige Wort…Pharmazeut? Pharmacologist, was ist das deutsche Wort dafür? Hat mich über Chemie unterrichtet. Ein Ingenieur hat mir mathematische Probleme gegeben, und mich unterrichtet. Mit verschiedenen Leuten hat man über verschiedene Sachen gesprochen. Es war eine Art Unterricht von Person zu Person. Außerdem, da mein Vater nicht arbeiten durfte, war auch er da, um mit mir zu sprechen. Bücher waren noch nicht verboten. Ich konnte sehr, sehr viel lesen, und tat es auch. [Lärm im Hintergrund.]
5/00:05:27
Das war die Erziehung, bevor ich mit falschen Papieren untertauchte. Soll ich darüber weitersprechen, oder--
PR: --auf das würde ich gleich gerne kommen. Der Unterricht – um da jetzt noch mit einer Frage abzuschließen: Wo hat sich der abgespielt?
FT: Gewöhnlich in einem Heim…nicht einem Heim, in einer Wohnung, auf der Straße, wo auch immer man sprechen konnte, ohne Angst zu haben, dass jemand das überhören würde. Damals…obwohl Juden, mehrere Familien, zusammengepfercht wurden in eine Wohnung, war immer wieder ein Zimmer da, wo man zwei Sessel zusammenstellen konnte, und sprechen konnte. Papier war erhältlich, Bücher waren da, so war es nicht…rein technisch nicht ein Problem. War nur eine Frage es zu tun, dass nie…die Absicht des Unterrichtens nicht offensichtlich war. Waren eben…ein älterer Herr spricht mit einem Jüngeren…mit einer jüngeren Person.
PR: Was auch bedeutet, dass der Unterricht dann einzeln gehalten worden ist?
FT: Ja. In meinem Fall wurde ich besonders, nach…ich war in keiner Klasse nach der Besetzung. Keine offizielle Klasse. Ich kann nicht beweisen, dass ich in die Volksschule gegangen bin. Ich habe absolut keinen Beweis. Hat mir ja auch hier nichts geholfen. Ich konnte, zum Beispiel, hier nicht unterrichten, weil ich nichts beweisen kann. Wie Sie gehört haben…ich habe was gelernt, hier und dort, aber beweisen kann ich gar nichts. Und heute verlangt man Schulzeugnis. „Was ist Ihr…grade?“ Wie heißt das auf Deutsch? Grad? Nein. Aber sowas. „Was sind Ihre Nummern?“ Das hat mich nicht gestört. Späterhin war das Lernen ganz anders. Und immer wieder informell. Im Jahre 19[…]…die Daten sind mir leicht schummrig, das heißt, ich bin etwas nebelhaft. Irgendwann 1940 war ich untergetaucht, mit falschen Papieren. Und auf einem landwirtschaftlichem Gut…das den Lobkowitzes gehörte – wir haben darüber gesprochen. Der Pächter hat mich dann angestellt als…im tschechischen Wort war poskok: jemand, der für einen herumspringt. War sozusagen ein Assistent. Habe sehr, sehr viel über Landwirtschaft gelernt, und weiß auch heute noch sehr viel – alles in Tschechisch. Wenn Sie mich fragen, was das im Deutschen war, ein paar Grundbe[griffe]…ich weiß, was eine Kuh ist, und was Weizen ist, aber nicht viel mehr. Während in Tschechisch feine Details noch im Kopf sind. Und habe natürlich nicht aufgehört, zu denken. Ich war dort auf dem Gut bis spät in [19]40, [19]41, und wurde dann von dem Landjäger…betrogen ist das falsche Wort…aufgedeckt. War dann in Prag kurze Zeit, und das war auch noch eine Zeit, wo von Person zu Person Unterricht stattfand. Aber knapp, und das weiß ich wiederrum nicht genau, das Datum…wurde ich von der Gestapo verhaftet. Und das ist eine der Zeitspannen, die mir im Kopf fehlen. Da habe ich mit Psychiatern darüber gesprochen, die habe ich unterdrückt. Bin beide Male schwer verprügelt worden, und herausgelassen worden aus einer Gestapohaft. Damals war ich noch siebzehn Jahre alt, ein dummer Siebzehnjähriger. Und die wussten nicht was mit mir anzufangen, und haben mich dann einfach herausgeworfen.
5/00:10:39
Kurz danach wurde ich ins erste Lager gebracht, da war ich noch nicht achtzehn Jahre alt, am dritten Oktober 1941, nach Linden, bei Deutsch-Brod. Und dort ging die Erziehung weiter. Oder der Unterricht weiter. Das Lager war ein…ich sage – quote unquote – gutes Lager. Niemand wurde erschlagen dort. Das tat man woanders. Waren circa 300, ungefähr, frühere Universitätsstudenten, alle jüdische Studenten, die von der jüdischen Gemeinde sozusagen…ich glaube, die Gestapo hat von der Gemeinde die Liste bekommen. Was in den Köpfen der Gemeinde vorging, weiß ich nicht. Nur rückblickend denke ich, die wollten uns von jeder Schwierigkeit abhalten. Denn das Lager hatte noch keinen schlechten Namen. Und sozusagen abgeschoben, und, obwohl unter SS-Aufsicht, nicht gefährdet, und auch nicht gefährlich für die Gemeinde. Denn irgendwelche heißen Köpfe – hotheads, ich übersetze das aus dem Englischen – würden vielleicht was anstellen, das für die Gemeinde gefährlich wäre. Folglich haben die uns ganz einfach dorthin abgeschoben. In dem Lager waren wir uns dessen bewusst, dass unsere Erziehung aufgehört hatte. Und es hat nicht lange gedauert, bevor wir untereinander sprachen, und sagten: „Sag mir, was du weißt, ich sage dir, was ich weiß.“ Das war nicht allgemein, aber ein wesentlicher Teil der Gemeinde war so. Wir hatten nicht erwartet, dort lange zu bleiben. Wir erwarteten, dass der Krieg bald zu Ende gehen würde, und wir gehen alle wieder nach Hause. Die Geschichte war verschieden, das heißt…aber wir hatten keine Bücher, die wurden hineingeschmuggelt. Die Bücher wurden aufgeteilt, das heißt, jeder hatte ein paar Seiten, und am Abend hat man…während des Tages waren die versteckt, und am Abend, wenn wir zusammen kamen, haben wir die wieder herausgehoben, und dieses Buch wieder zusammengestellt. Und wenn das bei jemandem gefunden wäre, sagt er: „Was ist das? Wo…was ist das?“ Würde ich sagen: „Das ist Toilettenpapier, das habe ich irgendwo gefunden.“ Wenn man zwei Seiten…ein paar Seiten aus einem Buch findet, das ist…noch sozusagen erlaubbar, das konnte man sagen. Ich habe viel gelernt in dem Lager. Mathematik, Geschichte, besonders Französisch, Literatur. Wir hatten eine gute Sammlung von französischer poetry. Theaterstücke, kompletten Faust, erster und zweiter Teil. [Lacht.] Und…ich denke gerade nach, was es ist, das ich dort erlernt habe. Ich kann das nicht im Detail sagen, aber ich hatte ein ziemliches Wissen – selbst – über Soziologie, über Geschichte und Geografie. Das waren sozusagen meine Gebiete, in welchen ich unterrichten konnte. Und tat das auch in einer recht kleinen Gruppe…vier, fünf Leute.
5/00:14:54
Einer der Formen, in welchen man unterrichten konnte, war Landarbeit. Nehmen wir an…nicht nehmen wir an, so passierte es…Kartoffelfelder von Unkraut zu reinigen, muss man mit einer…auf Knien praktisch, mit einer…nicht einer Schaufel…ich weiß nicht, wie das heute heißt, und wie das auf Deutsch hieß…das war ein Stück Eisen, so ein flaches Eisen, mit dem man das Unkraut wegkratzen konnte. [Lärm im Hintergrund.] Die Person, der am meisten…die Geschickteste war, oder der unterrichtet hat, war rechts und links von zwei Leuten, die gut arbeiteten. Und die anderen waren sozusagen so arrangiert, dass sie den hören konnten. Und der würde sprechen. Während er sprach, brauchte der Hilfe, um auch seine Arbeit zu tun. Das war eine Form, in welcher man miteinander sprach, und Unterricht hatte. Die Aufsicht waren gewöhnlich tschechische Landarbeiter. Da irgendwo stand ein SS-Mann in der Distanz. Aber nicht notwendigerweise. Wir waren immer, sozusagen am Horizont, aber nicht nebenan. Das heißt, man war sehr vorsichtig mit solchen Sachen.
Da war zum Beispiel ein Mann, Karel Wehrmann…Karl Wehrmann, ein tschechischer Singer, und irgendwie haben wir das arrangiert, dass er, und eine Gruppe, Futter für Vieh sammelte. Das war silage, ich weiß nicht, ob das ein deutsches Wort ist…um Klee, welcher im Untergrund gesammelt wurde…dann wurden molasses [Melasse], das heißt ein Nebenprodukt von Zucker herstellen, darüber gegossen, und das Ganze wurde zugedeckt mit Erde. Und war dann…wenn es kalt wurde, oder fror, war das Zusatzfutter für Kühe. Das musste dann im Winter aufgedeckt werden, das heißt, die Erdschicht war natürlich solid gefroren, also musste man das mit viel Mühe, und Hämmern, und Keilen, öffnen. Das war eine Gruppe von acht Leuten – neun Leuten. Karl Wehrmann, und acht Leute, die er selbst gewählt hat. Erster Tenor, zweiter Tenor, erster Bass und zweiter Bass, und…Wehrmann war ein guter Musikant, das heißt, ein Musiker. Nach dem Krieg war er einer der großen Bassisten an der Prager Staatsoper. Und das ist eine wichtige Person. Wie er das unter den Kommunisten weitergeführt hat, weiß ich nicht. Aber er hat eine großartige Stimme, und sehr musikalisch begabt, und hat uns, sozusagen aus dem Kopf, die Musik aufgeschrieben, und wir sangen dort. Es war ein sehr wichtiger Teil unserer kulturellen Entwicklung. Volkslieder, biblische Sachen und Psalmen, zur…an einen Kanon, an den ich mich gut erinnere: „An den Wassern Babylons saßen wir und weinten, als wir gedachten, dein gedachten, oh Zion. Unsere Harfen hingen wir an die Weiden, die dort drüben sind.“ Das ist ein direktes Zitat aus Psalm Nummer 137, glaube ich. Bin mir auch nicht ganz sicher, ich glaube es ist 137. Wir können es übrigens auch nachsehen. [Lacht.] Und…das ging bis zum März [19]43, denn da im März [19]43 wurde das ganze Lager aufgehoben. Das heißt, selbst innerhalb des Nazisystems war das Lager illegal. Und, sozusagen die Prager, damals noch Wiener Gestapo, oder Wiener-Prager Gestapo, hatte ein Gut beschlagnahmt, das einem gewissen Herrn Krauss gehört hatte – einem Juden –, und benützten dieses Lager um ihrer privaten Lebensversorgung nachzuhelfen. Das heißt, wenn jeder Lebensmittelkarten hatte, die SS hatte…oder die Prager Gestapo hatte deren eigenes Gut, auf welchem sie mit Milch, Eier, weiß ich was sonst noch, versorgte. Und irgendwo kam das zu [Adolf] Eichmanns Wissen, und eines Tages marschierte er hin, von hinten ins Lager, und das Lager wurde aufgelöst. Der SS-Kommandant – der Lederer hieß, und aus Klosterneuburg stammte – und seine Helfer wurden alle an die Ostfront geschickt. Und dann wurden wir von Theresienstadt, no, von Lípa – dem Lager – nach Prag gebracht, da war ein Transport. Transport CV, und ich war Nummer 608. Und wir wurden dann nach Theresienstadt gebracht, das war irgendwann im März 1943.
5/00:21:46
PR: Zunächst hätte ich noch eine Frage zur Organisation des Unterrichts, in dem Lager…bei Ihnen selber. Sie haben ja schon erwähnt, wie das abgelaufen ist. Das hat es untertags gegeben, und am Abend?
FT: Well, am Tag würden wir in der Arbeit…sofern das eben möglich war. Und am Abend war ein…das Lager war ein kleines Lager, triple bunk…ich weiß nicht, wie das auf Deutsch heißt…dreistöckig? Nein. Drei Bettstätten, drei Strohsäcke, übereinander. Und zusammengepfercht, man hatte sehr wenig Platz. Aber es war ein Essensraum, und da waren Tische, und es war sehr knapp, aber man…offiziell saß man mit seiner Gruppe, aber informell hat sich das aufgelöst, und Leute, die ähnliche Interessen hatten, saßen dann zusammen. Ja, und eine der Gruppen, eine der wesentlichen Gruppen, die man spotthalber Schongeisti nannte, das ist Deutsch übersetzt ins Tschechische, Schöngeister. Das war sozusagen eine philosophische Gruppe. Und wir haben ständig…ununterbrochen wurden Sachen diskutiert. Und, weiß nicht, was die Zeit, Stunden waren. Nach der Arbeit waren alle sehr, sehr müde, aber im Winter hörte die Arbeit mit der Dunkelheit auf. Das heißt um drei, vier Uhr war schon kein Licht mehr draußen, folglich war man zurück im Lager. Besonders während des Winters war mehr Zeit, als im Sommer, wo die Arbeit…solange noch Licht da war, wurde draußen gearbeitet. Und dann war man natürlich sehr, sehr müde. Außerdem war die Lebensmittelversorgung miserabel. Das heißt, wir hatten gerade genug zu essen, um nicht zu sterben, um nicht zu verhungern, aber nicht mehr. Das ist eine der großen…das war absichtlich natürlich…nicht, dass da nicht das Essen da wäre, und selbst Kartoffeln waren da, aber wir hatten sie nie bekommen. Genug zu essen haben, war ein Problem. Am Anfang in den ersten Monaten vielleicht, erhielten wir sogar Post…Briefe. Das hörte sehr schnell auf, und…
Ich war im Lager in [19]43, im Oktober [19]43. In [19]41, im selben Jahr im Herbst, fingen Transporte aus Prag an, nach Theresienstadt, und manche…der erste Transport ging nach Łódź. Die Übersicht, die Aufsicht, der SS verschärfte sich, beschränkte uns mehr und mehr. Das war eine der Ingredienzen, mit denen man einfach rechnen musste, dass es von Tag zu Tag schwerer, und komplizierter wurde. Essen war eine Sache, die immer sehr, sehr begrenzt war, wahrscheinlich um uns auch schwach genug zu halten, um nicht rebellion – Aufstand – zu planen. Andererseits aber genug zu essen, um auch arbeitsfähig zu sein. Eine der Sachen, die ich nicht erwähnt habe: Das Lager selbst war von einem Stacheldraht umgeben – das war ganz zwecklos. Denn, wenn wir weglaufen wollten, das wäre das Einfachste in der Welt gewesen. Ich habe immer gesagt, ich sage heute, und habe auch vorher gesagt: Wenn wir ein Stück Kreide genommen hätten, und eine Linie gemacht hätten um das Lager herum, das wäre genauso effektiv gewesen, denn wir wussten, dass die Gestapo wusste, wo unsere Familien waren. Wenn jemand weglaufen wollte, alles was der Mann zu tun hatte, war ganz einfach wegzulaufen. Aber was würde dann mit der Familie? Was würde der Familie passieren? Folglich war eine Art von Selbstdisziplin im Lager, nicht Sachen zu machen, welche entweder das Lager, oder die eigene Familie in Gefahr brächte. Ja, irgendwo haben Sie eine Frage gehabt, die ich nicht beantwortet habe. [Lacht.]
5/00:26:50
PR: Können Sie sich an die Ankunft im Lager erinnern? An den Tag der Ankunft selber?
FT: Im ersten Lager?
PR: Im ersten Lager, in Linden.
FT: Ja. Ich hatte die Erfahrung von Sommerlagern, folglich die Mechanik war dieselbe. „Das ist dein Platz, hier hast du ein Regal, um deine Sachen hinzugeben“, und wir hatten unsere eigenen Decken, und… Ich wusste, dass da ein neues Regime anfangen würde, und habe versucht mal herauszufinden, was ist erlaubt, was ist nicht erlaubt, wo geht man auf die Toiletten, wo kann man sich waschen – das war ein großes Problem, sich zu waschen. Und, was ist die routine, wo wird gearbeitet und wann? Wir sind angekommen, am nächsten Tag war Apell, wo wir gezählt wurden, und wieder gezählt wurden, und das dritte Mal gezählt wurden, alle 300…das hat eine Stunde gedauert. [Lacht.] Unterdessen wurde man von einem SS-Mann angebrüllt, die übliche Brutalität. Nicht…am Anfang hauptsächlich wörtlich. Das heißt, wir wurden nie angesprochen, nur angebrüllt. Nie anders angesprochen als ‚Sauhund’, ‚Schweinehund’, ‚Saujude’. Schimpfwörter waren sozusagen die Anspruchsform. Irgendwie hatten wir das nicht anders erwartet, denn es waren primitive Flegel, die wahrscheinlich nirgendswo anders ein Leben verdienen konnten, außer als SS-Männer von der tiefsten Stufe. Es waren gewöhnlich…sehr, sehr primitive Leute. Sowohl in deren professionellen Gebiet, als auch seelisch. Dumm, borniert und wahrscheinlich mehr als froh, sich da über die Studenten und Intellektuellen aufzuschwingen. Der erste Tag war…ganz einfach angekommen, am nächsten Morgen war man am Kartoffelfeld. Und für jemanden, der nicht daran gewohnt ist, gebückt zu arbeiten, war das schwer. Die Muskeln haben dann wehgetan. [Lacht.]
5/00:30:01
PR: Sind Sie in der Zeit des Aufenthalts, in diesem Lager, über das wir jetzt gerade sprechen, auch zu anderen Arbeitsdiensten herangezogen worden, als zur Landarbeit?
FT: Nicht nur Landarbeit, sondern auch Straßenbau, Konstruktionsarbeit, was auch immer an das Gut gehörte…wurde man herangezogen, Säcke tragen mit Getreide, von der Dreschmaschine hinauf auf die Speicher. Und dann, wenn der Weizen schon aufgespeichert war, musste man jeden…ich weiß nicht wie oft…es umschaufeln, damit die Luft rankommt, um es zu verhindern, dass…jetzt suche ich das deutsche Wort…[unklar] sondern ganz einfach was passiert, wenn man Weizen sitzen lässt, fängt das an…die Feuchtigkeit bringt allerhand Sachen hervor. Das zum Beispiel. Im Winter Straßen schneefrei zu halten, das war eine der wichtigen Winterbeschäftigungen. Es war in den Bergen, in der Böhmisch-Mährischen Höhe, hin und wieder schwerer Schneefall, und dann noch geschaufelt, um die Straßen freizuhalten.
Persönliche Hygiene war sehr, sehr kompliziert. Es war nicht genug Wasser da. Die hatten einen Brunnen gebaut, aber vergessen, dass der Brunnen auch einen Zufluss haben musste, der nicht da war. Es war ein…nicht ein Gebäude, ein Schuppen da, den wir das Badehaus nannten. Es war so eine Zementmauer mit Wasserhähnen, aber nicht genug Wasser. [Lärm im Hintergrund.] Sich rein zu halten war ein Problem. Und wir hatten Flöhe, nichts anderes, aber Flöhe hatten wir großer Hand. Wir haben keine Läuse, aber Flöhe. Und auch keine Seife. Seife war etwas das sehr bewirtschaftet war, folglich den Juden Seife zu geben, das war natürlich die letzte Gruppe, welche noch Seife bekommen könnte. Im Sommer konnte man Sand benützen, um die Hände rein zu halten. Es war schwer, sich rein zu halten. Es war auch immer im Sommer besonders…schwer regnet, das war willkommene Gelegenheit, um sich auch…einmal eine Dusche zu nehmen. Denke gerade nach…sich rein…war späterhin nicht, das…sich rein zu halten war ein großes Problem. Und selbst solche Sachen, wie sich zu rasieren, waren keine…nicht Seife da. Keine Rasiermesser…wir sahen alle sehr verwahrlost aus. Außer dann, nach kurzer Zeit, was auch immer wir an Kleidung hatten, fiel herunter, war schmutzig und zerrissen. Wir schauten einander an, als Landstreicher. Wir sahen so aus, weil…verbrannt von der Sonne, und schmutzig, und…verwahrlostem Äußerem. Das einzige, das frisch war, war der Judenstern. Der musste präzise, und gut, angenäht werden.
5/00:34:49
PR: Sie haben diese Gruppe der Schöngeister erwähnt. Haben Sie auch Erinnerungen an andere Gruppierungen, die sich unter den Häftlingen herausgebildet haben?
FT: Nicht besonders, weil das war meine Gruppe dort. Die anderen Leute waren…intellektuell…eine Gruppe war ziemlich politisch, linkspolitisch. Die sprachen viel über Politik. Waren ein oder zwei Kommunisten darunter, oder Leute, die sich als Kommunisten erklärten. Mit denen sprach man nicht viel, aber besonders in [19]41 fingen…als Russland und Deutschland…wenn der Pakt zusammenbrach, zwischen Stalin und Hitler, und dann die Nazis in Russland einmarschierten, waren die Russen natürlich die Helden, welche sozusagen auf unserer Seite waren. Aber Kommunismus war nicht besonders populär, und ich besonders, und das geht nun persönlich, hatte das mit meinem Vater besprochen, und der sah das als eine andere Diktatur an. Und fragte sich…ich habe das sozusagen von ihm erlernt, und das als generelle Kategorie of Diktatur gesehen. Wer waren die Anderen? Es waren auch zwei oder drei Gruppen, die ziemlich nationalistisch, tschechisch, waren. Und mit denen hatte ich auch nicht so viel Verbindung. Und dann natürlich der Mehrteil der Häftlinge, die kannte man, aber ich habe mit denen nicht viel gesprochen. Das heißt, es war nicht eine soziale Verbindung, oder eine geistige Verbindung. Interessanterweise keine religiöse Gruppe, da war alles Juden…nicht eine Gruppe, die irgendwie eine religiöse Richtung gehabt hätte. Es waren ein paar Musikanten darunter, Leute die an Musik interessiert waren. Aber es hat…ich weiß nicht, es waren sozusagen…selbst innerhalb der Schöngeister, gab es Gruppen, die sich mehr für das Theater interessierten, andere, die sich mehr für Wissenschaften interessierten. Und es waren immer wieder Gruppen von vier, fünf Leuten, die mehr miteinander sprachen.
PR: Hat es, Ihrer Erinnerung gemäß – in diesen verschiedenen Gruppen –, Gruppen gegeben die miteinander viel, beziehungsweise wenig, gar nichts zu tun haben wollten, weil sich eine Gruppe ganz klar abgegrenzt gesehen hat von der anderen?
FT: Nein, nein, das war nicht eine scharfe Abgrenzung, es war sozusagen ein…ich suche das deutsche Wort, ein overlap, eine Ü--
PR: --Überschneidung.
FT: Ja, zwischen den Gruppen. Man hat zu dieser Gruppe gehört, zu jener Gruppe gehört. Die Leute, die über poetry, Poesie viel sprachen, wo ich auch interessiert war. Es war nicht eine feste Angelegenheit das…und nicht über andere Sachen sprachen. Ja, es war sozusagen…man versuchte überall teilzunehmen, manchmal mit mehr Intensität, als mit anderen. War eine Theatergruppe da, Leute die sich sehr an Theater interessierten. Und all die Sachen wurden ständig besprochen, was wäre auch die richtige Art dieses, oder jenes Theaterstück zu inszenieren. Das war eine kulturell rege Gruppe, ohne auch die Mittel zu haben, diese zu verwirklichen. Das heißt, nichts wäre uns lieber gewesen, als ganz einfach eine Bühne zu bauen, und den Shakespeare zu spielen. Aber das ging natürlich nicht.
PR: Sie sind zu dieser Gruppe dazu gestoßen, und…
FT: Irgendwie hat sich diese Gruppe von alleine geformt. Es war sozusagen eine Affinität…man hat sich sozusagen gegenseitig beschnüffelt, und herausgefunden wer einem zusagt. Das war mehr oder weniger automatisch, das war eine natürliche Schichtung in einer großen Gruppe, und dann gibt es manche Leute, die einen mehr verstanden, als andere. Und da waren auch eine Nummer von Leuten, die ganz uninteressant waren, und ganz einfach man nicht beachtete und ignorierte. Das mag natürlich von beiden Seiten gesehen sein, wir waren…wir, die Schöngeister, waren sozusagen…die anderen Gruppen sahen auf uns herunter, als komische Leute.
5/00:41:05
PR: Das haben Sie mitbekommen, dass die das tun, oder das haben Sie gehört?
FT: Es war sozusagen in der Luft, es war da…man hatte darüber nicht sprechen müssen. Politik war natürlich eine der Sachen, die allen gemeinsam waren. Das wurde ständig wieder behandelt: die politische Situation, die militärische Situation. Wir waren ziemlich gut informiert, über was vorging, und während unsere Information immer etwas zurücklag, dass wir…wenn irgendwo eine deutsche Armee vorwärtsging, das hat man sofort gehört. Aber wenn sie geschlagen wurden, das dauerte eine Weile, bevor man das erfuhr. Und…zum Beispiel, und dann…nun greife ich vor. In Theresienstadt, wenn man hörte, dass Paris erfolgreich verteidigt wurde, wusste man, die Alliierten waren schon vor, oder in, Paris. [Lacht.] Das ist versehentlich, es war auch in Lípa.
PR: Wie haben Sie das erste Mal von dem Unterricht, der dort abgelaufen ist, Wind gekriegt?
FT: Das war sozusagen automatisch. Weil man nicht sehr…diese Gruppen formten sich fast automatisch. Ich glaube, dass ich – und heute blicke ich zurück zu der Zeit – irgendwie instrumental war in dem, dass ich das sozusagen im…das war mein Thema. Sage mir, was du weißt und erkläre mir…und wie macht man dieses, und warum geschah jenes. Fragen…konstant Fragen gestellt. Und ich erinnere mich sogar an das letzte Lager, Kaufering, was ein miserables Lager war, und doch, als man zurückkam aus der Arbeit, immer wieder gesprochen wurde. Und vorgetragen wurde, und jemand hat was erzählt, oder hat dann zugehört. Wir waren in diesen Erdbaracken, das war nichts Anderes…Sie haben Bilder davon gesehen. Da waren sozusagen ein ausgeschaufelter Steg, eine Rinne und ein Dach darauf, dass man lag…dann rechts und links von diesen versunkenen Gehsteigen. Und trotzdem es ein schreckliches Lager war, immer will jemand…sprach über etwas, und das intellektuelle Leben aufrecht zu erhalten, war außerordentlich wichtig. Man fand immer wieder Leute, die interessiert waren an dem, was vorging, oder eine analysis von diesem oder jenem. Oder ganz einfach über irgendwas Interessantes zu sprechen.
5/00:44:45
PR: Wenn wir jetzt auf die Zeit zu sprechen kommen, bevor Sie in Ihr erstes Lager gekommen sind, bevor Sie nach Lípa gekommen sind: Sie haben ja erzählt, dass Sie am Gut dieses Grafen Lobkowitz gearbeitet haben. Wie sind Sie zu diesem Gut gekommen?
FT: Mein Vater kannte jemanden, den Pächter. Das war alles. Der wusste, dass ich falsche Papiere hatte. Sonst niemand.
PR: Und diese falschen Papiere, die hat Ihr Vater für Sie…
FT: Irgendwie, ja. Ich weiß nicht genau, wie die in meine Hände kamen.
PR: Hat das mit den Papieren zu tun gehabt, wo sich auch der Fehler in Ihrem Mittelnamen eingeschlichen hat, oder war das davor? Weil wir uns das letzte Mal--
FT: --ja, ja, ich denke darüber nach. Wo kam das Michail hinein? Ich weiß nicht mehr genau.
PR: Aber wissen Sie, warum Ihr Vater sich darum bemüht hat, falsche Papiere für Sie zu kriegen?
FT: Niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Wir erwarteten jeden Tag, dass das Naziregime zusammenbrechen würde. Und was auch immer richtig erschien, in dem Augenblick, das war getan. [Lärm im Hintergrund.] Natürlich, niemand sah die Zukunft, und man musste die Situation erwägen, so wie sie in dem Augenblick bestand. Was da genau…was in meines Vaters Kopf vorgeht, kann ich natürlich nicht wissen. Auch er sprach mit anderen Worten, und mit anderen Leuten. Und machte Entscheidungen aufgrund seiner Information. Ich war damals siebzehn Jahre alt. Es war nicht einfach, die Gedanken des Erwachsenen zu ver[stehen].
PR: Sie haben mir schon – in einem der Gespräche, die wir davor miteinander geführt haben – erzählt, dass Sie dann plötzlich eine Benachrichtigung bekommen haben, dass Sie nach Prag müssen. Können Sie mir über diese…
FT: Ich weiß nur, dass jemand kam, von meinem Vater, und sagt: „Zurück nach Prag, sofort! Nicht in einer Stunde, jetzt!“ Und ich habe das nicht eine Sekunde lang befragt. Ich wusste, dass etwas vorging, und ich nicht genau wusste, was vorging. Und ich weiß nicht einmal, wieso mein Vater es wusste. Er hatte Verbindungen, von denen ich nichts weiß. Und habe mich auf das Fahrrad gesetzt, und nach…zurückgefahren. Das war alles.
PR: Und auf die Art und Weise sind Sie dann auch das erste Mal in Gestapohaft--
FT: --knapp danach, nicht sofort. Ich weiß nicht, wie…ich weiß die genauen Daten nicht mehr. Aber es war alles [19]41, und die genauen Daten kann ich mich nicht erinnern. Das war [19]41, Frühjahr, Sommer. Nein, ich musste zurückgefahren sein, während noch Landarbeit war, also muss es Frühjahr gewesen sein.
PR: Sie haben mir bereits von diesen zwei Verhören erzählt, die es gegeben hat, von Seite der Gestapo, und, dass es da natürlich auch massive Erinnerungslücken gibt, beziehungsweise--
FT: --ja. Ich bin bei beiden Gelegenheiten verprügelt worden, und fand mich dann in meiner Zelle. Und wie ich dorthin kam, weiß ich nicht. Und das zweite Mal, ich weiß nicht mehr, ich erinnere mich nicht mehr genau, wie ich dann herauskam. Denn wenige Juden gingen aus dem Gebäude lebendig heraus. Bin ganz einfach herausgeworfen…wurde vor die Tür gestellt. Das war alles.
5/00:50:00
PR: Was hat sich in der Zeit…hat die letzte Gestapo-Verhaftung direkt dazu geführt, dass Sie ins--
FT: --das weiß ich natürlich nicht. Das letzte war: entlassen, und irgendwann September, Oktober war das, nein…wahrscheinlich August, September, war ich zuhause, und dann einberufen mit so einem Stückl [Stück] Papier: „Erscheinen Sie dann und dann, mit so und so vielen Sachen.“ Da war eine Liste, was ich brauche, Decken und warme Wäsche, zwei Paar Schuhe, in einer Villa in Devize [Gegend in Prag] um so und so viel Uhr, und dort war ich. Das war alles. Es war ja irgendwie…die Formulierung war: „Die jüdische Gemeinde teilt Ihnen mit, dass Sie aufgrund von Anordnungen von…Behörden…“ Das war ungefähr die Formulierung. Und Details, wie solche Entscheidungen getroffen wurden, bei wem, das weiß ich natürlich alles nicht.
PR: Als Sie sich dann dort einzufinden hatten, und dann weiter nach Linden überstellt worden sind, was ist denn in der Zwischenzeit mit Ihrem Bruder und Ihrem Vater geschehen?
FT: Die waren in Prag. Ist eigentlich das letzte Mal, dass ich meinen Bruder sah, als ich mich auf die Straßenbahn gesetzt habe, und dann mit meinem Gepäck da hinauffuhr, nach Devize, einer der Gebiete in Prag. Es waren alle zuhause und wiederrum, man wusste nicht, was die Zukunft bringen würde. Ich hatte nicht erwartet – niemand hatte erwartet –, dass der Krieg bis 1945 dauern würde. Und wenn das Attentat an Hitler funktioniert hätte, wäre der Krieg im April [19]44, oder wann auch immer das stattfand…nein, ich kann mich nicht erinnern an das Datum. Wann auch immer das Attentat war, es könnte, oder wäre eine Möglichkeit gewesen, den Krieg zu beenden. So eine Begebenheit war sozusagen einer der möglichen Lösungen. Wir wussten natürlich nicht, was passieren würde.
Eine der Ingredienzen…was ist das gute deutsche Wort dafür? Eine der Bestandteile…nein. Mit etwas kochen, mit was geht denn das…Ingredienz ist nicht das deutsche Wort.
PR: Zutaten.
FT: Zutaten, ja. Gut, danke. […] Sie waren nie…sozusagen, ins Gewicht, in die Entscheidung miteinschloss, ist der Zufall, dass das Unerwartete begeben ist. Das immer möglich war. Und innerhalb des ganzen Systems bestand immer wieder die Frage: wieso kam es, dass so eine Rasselbande von Mördern und schlechten Leuten an das Ruder ging, und auch am Ruder blieb? Und wo sind die guten Leute? Warum bleiben die still? Das ist dieselbe Frage, die jede Diktatur stellt. Warum erlaubt eine Bevölkerung einem Diktator zu übernehmen? Heutzutage, ein halbes Dutzend von solchen Leuten sitzen als Präsidenten oder Vizepräsidenten, oder was auch immer, dort und… Es ist eine der Sachen, die mich auch heute noch sehr befasst: Was ist in der menschlichen Seele? Ist erlaubt einen anderen zu unterdrücken, jemanden anderen zu ermorden? Heute ist es…Kaukasus, gestern war es in Darfur…ich habe keine Antwort, es stört mich keine Antwort zu haben, und ich denke viel darüber nach, und ich glaube, dass soziologisch irgendwo eine Lösung bestände. Wahrscheinlich, und ich bin mir dessen gar nicht sicher, ist eine biologische Ingredienz…eine biologische Zutat…
5/00:56:14 [Übergang/Schnitt.]
Ich befasse mich damit, und ich weiß nicht, wo eine Antwort zu finden. Ich glaube, dass das eines der Themen ist, die immer wieder hervorkommen würden, wenn Diktaturen besprochen werden. Wieso kommt es, dass sich Leute über jemanden anderen überschwingen, oder übermächtigen? Und natürlich bestand immer wieder die Frage: wo sind die guten Leute und warum haben die keine Macht? Ich habe natürlich gute Antworten dafür, die sehr einfach sind. Jeder ist verantwortlich für jeden anderen.
PR: Bevor wir jetzt nochmal auf die Zeit der Verhaftungen, und an ihre ersten Erinnerungen an die Ankunft im Lager zu sprechen gekommen sind, waren wir beim Abriss, bei der Auflösung, des Lagers stehen geblieben.
FT: Das Lager war illegal innerhalb des Nazisystems. Und wahrscheinlich hat das hier irgendwo ein Bonze entdeckt, und war böse…es mögen auch persönliche Streits innerhalb der Gestapo gewesen sein. Irgendwie alle Gruppen…waren da persönliche Machtberichte, und jemand, der sozusagen über seine Grenze hinausging, wurde dann zurechtgewiesen. Ich weiß das nicht. Ich weiß nur, das Lager wurde aufgelöst, so wie es bestand, und wurde dann, nachdem wir nach Theresienstadt geschoben wurden…und das wusste ich erst nach dem Krieg natürlich…hat man in dieses Lager ‚Mischlinge’ gebracht. Das sind Leute, Männer, die an Nicht-Jüdinnen verheiratet waren. Und es war eine Art Arbeitslager dann. Ich weiß nicht…die legale Form, wie das bestand. Ich habe nach dem Krieg, in [19]91, drei, vier Leute in Prag getroffen, welche dann nach März 1943 in Lípa waren. Eine arme Gruppe, traurige Gruppe. Traurig, denn während des Krieges waren die unter Nazi-Fuchtel verhaftet, und kurz nach Ende des Krieges – das ist nach [19]48 – nahmen die Kommunisten über. Das heißt, diese Leute haben im Wesentlichen deren ganzes Leben in Diktaturen verbracht. Und waren seelisch zerstört, dumpf und irgendwie eine Hülle ohne einen Inhalt. Für mich war das sehr, sehr traurig, das zu sehen. Ich dachte, das hätte meine Zukunft sein können, wenn ich nicht [19]46 rechtzeitig weggelaufen wäre. Eine armselige Gruppe.
Ende von Teil 5
Teil 6
3. September 2008
PR: This is part five of an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on September 3rd 2008, in Mr. Terna’s studio. Bei unserem letzten Treffen haben wir uns über Lípa unterhalten, und sind dann bei der Auflösung des Lagers stehengeblieben, und haben gemeint, dass wir uns heute über Theresienstadt…die Fahrt dorthin.
FT: Theresienstadt, ja. Die Fahrt dorthin war…nicht nach Theresienstadt direkt, sondern zurück nach Prag. Zum Sammelplatz. Das war damals ein Teil des Ausstellungsgebiets, wo technische, und…ich weiß nicht einmal, wie das zu beschreiben…es war ein Ausstellungsgebäude, die hin und wieder benützt wurden, wenn da, zum Beispiel, technische, landwirtschaftliche Apparate, oder landwirtschaftliche Geräte ausgestellt wurden. Oder Kleider, was auch immer. Und heute existiert das nicht mehr, ist ein Hotel dort. Ich weiß das, weil, wie wir [19]91 in Prag waren, war da sozusagen ein Denkmal, an dem Ort. Wir wurden vom Zug…von Lípa nach Prag gebracht. Und ich erinnere mich nicht, wie wir von dort zu dem Sammelplatz kamen. Kann mich nicht erinnern. Aber als wir dort ankamen, und das war im März…[19]43, kamen Leute mit Gepäck an, und dann wurde ein Transport nach Theresienstadt zusammengestellt. Die technischen Details würden wahrscheinlich andere Leute besser wissen. Persönlich war ich das erste Mal unter anderen Leuten, außer Lípaner. Lípaner, das war unter uns…wir haben ja hauptsächlich Tschechisch gesprochen, lípani. Und da waren wir in Räumen, wo Strohsäcke waren, und irgendwas, Essen war…wir kamen gerade zu dem Punkt, wo Leute nach Theresienstadt verschickt wurden. Ich weiß nicht, wie lange wir dort waren. Ich glaube, es war über Nacht, wenn so lang. Aber an eins erinnere ich mich, dass in dem Ausstellungsgebiet war ein…nicht ein Raum, es war außerhalb, im Offenen, eine…wie man das sagt, Trauf. Wenn man…eine tiefe Rinne…es ist ein Wort, das mir fehlt. Wenn Sie Schweine füttern…wie nennt man das?
PR: Einen Trog?
FT: Trog. Das ist es. Ein langer Trog. It is the word für Englisch. Und da waren Wasserhähne. Und wir kamen dort aus Lípa, und das Erste was wir taten, ist ausziehen und sich waschen. Denn in Lípa war nie genug Wasser da, um sich zu waschen. [Lacht.] Die anderen Leute sind herumgestanden, und waren amüsiert, wie diese sonnenverbrannten Affen sich da im März, wo es noch ziemlich kalt war, herumwaschen, und quietschvergnügt soviel Wasser zu haben. Das ist einer der Eindrücke, die mir bleiben. Von dort wurden wir direkt an Waggons gebracht – es waren damals noch sozusagen elementare Personenwagen, waren nicht Lastwagen –, und von dort nach Boruszowice gebracht, denn damals bestand noch keine direkte Verbindung mit Theresienstadt. Von Boruszowice war es etliche Distanz ins Ghetto. Und SS, tschechische Landpolizei, wurden ausgeladen in Boruszowice, und dann wurden wir nach Theresienstadt marschiert. Jeder hatte nur sein Gepäck. Nur so und so viele Kilos waren erlaubt, ich erinnere mich nicht genau, wie viele erlaubt waren, aber es bestand dieselbe Anzahl von Kilos für Kinder, Alte, wer auch immer. Und da waren alte Leute in dem Transport. So erinnere ich mich, dass wir Lípaner – und ich auch – einen Rucksack hatten, dann einen anderen Rucksack der vorne hing, und in jeder Hand einen Koffer, und in meinem Fall auch ein kleiner Bub, der mir auf den Schultern saß. [Lacht.] Ein richtiger Packesel. Aber wir konnten es schaffen. Für alte Leute war…ich weiß nicht, wie weit es war, von Boruszowice nach Theresienstadt. Zwei Kilometer, drei Kilometer, ich bin mir sicher, dass das irgendwo genau beschrieben wurde.
6/00:06:22
Von dort in Theresienstadt angekommen, wurden wir nicht in das Ghetto selbst eingeführt, sondern in eine Schleuse. Und die Schleuse bestand darin, dass jeder dort registriert wurde, und nominell war eine Inspektion da. Ich wurde nicht inspiziert, aber da war sozusagen strenge…order. Was erlaubt war, was nicht erlaubt war. Und die Leute waren im Allgemeinen wahrscheinlich…beobachtet. Und ich war im Transport CV608. Das ist meine Transportnummer in Theresienstadt. Und das ist die Nummer, unter welcher man in Theresienstadt funktionierte. Der Name ist ziemlich unwichtig gewesen, aber das war sozusagen die Nummer, mit der man Essenskarten bekam, und alles andere. Die Schleuse hat nicht lange gedauert, ich glaube, innerhalb eines Tages waren wir alle außerhalb der Schleuse, und wurden einen Wohnplatz oder ein Bett…haben eine Adresse bekommen. Ich war in der Hannoverkaserne, und ich kann mich nicht genau an die Nummer erinnern. Es waren drei, vier Räume, die verbunden waren, und zwar, wenn man durch den Haupteingang hereinging, nach rechts, das erste Tor an der Ostwand. Und da ging man durch einen Raum, einen zweiten Raum, einen dritten Raum, und das war wo mein Wohnplatz war. Das waren triple bunks, dreistöckige Schlafstellen, und da ich jung war, bekam ich eine in der oberen, denn alte Leute konnten nicht gut hinaufklettern. Da war ein Zimmerältester, ich weiß nicht, wie er seinen Titel bekam, ein älterer Mann, und…was passierte dann? Wir…das Wichtigste ist natürlich, dass ich meinen Vater in Theresienstadt traf. Aber ich beschreibe jetzt nur die technischen Sachen. Der Zimmerälteste war…wann auch immer Lebensmittel direkt an Leute verteilt wurden, wurde es sozusagen zum Zimmerältesten gebracht, und der hat das dann wieder weiterverteilt. Das mag sehr wenig sein: Brot, Kunsthonig, das waren im Wesentlichen die Sachen, die verteilt wurden, vom Zimmerältesten. Ich spreche nun vom März 1943. Aber eine Allgemeinbemerkung: Was auch immer jemand über Theresienstadt sagt, muss ganz genau festgenagelt werden, wann. Denn Theresienstadt änderte sich von Woche zu Woche, wenn nicht von Tag zu Tag. Was präzise als statement…was ist das deutsche Wort für statement? Was eine richtige Aussage war im März [19]43, war falsch im Juli [19]43. Es hat sich ständig geändert. Und die Änderungen, teilweise durch Transporte, teilweise durch Schikanerie der Nazis, teilweise auch die Dummheit der Selbstadministration…immer hat sich etwas geändert.
6/00:11:33
Man hat mich der Hundertschaft zugeteilt – ich spreche jetzt von Arbeit. Die meisten Leute hatten irgendeine Arbeit, waren entweder in der Landwirtschaft, oder in einer Werkstätte, oder sonst irgendwo beschäftigt. Alle diese Beschäftigungen waren irgendwie mit der Nazi-Industrie verbunden. Die Hundertschaft war – innerhalb des Ghettos selbst – eine Arbeitsgruppe, um sich um die Sachen zu kümmern, die eine Gemeinde braucht. Nämlich Kanalisation, Reparatur eines Daches, Abflussgraben zu schaufeln. Ich war innerhalb dieser Gruppe. Das hat mir sehr zugesagt, denn wir mussten oft in der Nacht etwas tun. Zum Beispiel wurden…ich erinnere mich an eine der Situationen, wo Lastwagen mit Möbel ankamen. Nicht für uns, nicht für die jüdischen…nicht für das Ghetto, sondern für die Wachmannschaften, und Administrative der Nazis. In Theresienstadt selbst, denn die Festungsstadt war nicht komplett in jüdischen Händen, oder sozusagen noch nicht komplett ein Ghetto, sondern ein Teil war abgeschlossen…oder ein Teil war Naziadministration. Das hat sich dann später sehr geändert am…weiß nicht, ob ich mich erinnere, wo die Gestapo deren…weiß nicht welche…viele Dokumente aus Berlin nach Theresienstadt gebracht wurden. Berlin wurde…wegen bombardieren waren viele dieser Dokumente gefährdet, dort. Wie gesagt, Theresienstadt ändert sich ständig. So änderten sich auch die Grenzen des Ghettos, innerhalb Theresienstadt. Zum Beispiel, das ist einer der Plätze, die sogenannte Sudetenkaserne war zuerst eine der größten…nicht Qualität, sondern Besatzung…Häftlinge waren mehr in Theresienstadt, Sudetenkaserne, als irgendwo anders. Eines Tages wurden die alle herausgeworfen, oder wieder zurück ins Ghetto gebracht, und dort untergebracht, denn die Nazis brachten im Büro…files, was auch immer in dem Büro war. Nun…Möbel.
6/00:15:03
Da kam ein Lastwagen unter SS, war ein SS-Lenker, und wir mussten die abladen. Einer kam, wir haben die abgeladen, und bis zu einem gewissen Punkt gebracht. Alles das war während der Nacht, folglich mussten wir einen Erweis haben, um auch nach acht Uhr am Abend außerhalb…in der Straße zu sein. Natürlich haben wir das missbraucht, so oft wie es nur möglich war. Haben gestohlen, was man nur stehlen konnte. Und besonders Stellagen – Regale. Und da war ein Platz, wo die Lastwagen sich sehr langsam drehen konnten, da waren wir mit…und natürlich die Stellagen am Ende des Lastwagens…und wenn er langsam herumfuhr, und das abgeladen. Jemand anderes hat es sofort geschnappt, und weggetragen. [Lacht.] Und alles das natürlich in der Nacht und Verdunkelung…damals, Verdunkelung war sehr wichtig. Gott behüte, wenn wir irgendwo ein bisschen Licht sehen. Und das war Hundertschaft, wir haben alles Mögliche getan. Dächer repariert, hin und wieder mal einen Raum ausgetüncht, mit Kalk verlassen, putzen, Kanalisationsarbeit, aber einfache Sachen. Das war im Wesentlichen, was ich in Theresienstadt tat. Ich habe eine Zeit lang auch für Freizeitgestaltung gearbeitet. Und František Zelenka, ein Architekt der ein Bühnenbildner war, hat mich viel unterrichtet. Aber meine Stunden waren nicht präzise. Ich musste dann in der Früh erscheinen, habe natürlich jede gute Möglichkeit genützt, nicht zu erscheinen, oder wenn wir auch einen Job hatten, habe ich gesagt, das wird zwei Tage dauern, und haben dann zwei Stunden gemacht, und haben die andere Zeit für alles andere benützt. Das ist sozusagen ein Gesamtbild Theresienstadt, und natürlich hunderte von Begebenheiten und Erinnerungen, die ich gar nicht erwähne.
Das Wichtigste war, mein Vater war in Theresienstadt. Als ich aus der Schleuse herauskam, da war er. Wieso war er dort? Mein Vater war in der zweiten Kolonne, die nach Theresienstadt fuhr. Die erste war AK1, und die andere war AK2. Das waren Leute, die von Prag nach Theresienstadt gebracht wurden, um das Ghetto aufzubauen. Wieso mein Vater hineinkam, weiß ich nicht. Aber er hatte die Nummer 1000 – AK2-1000. Er war einer der Ältesten, sozusagen der alte Herr unter denen. Denn die meisten der AK-Transporte waren jüngere Leute. Die bekamen [wurden] dann, später, die Aristokratie von Theresienstadt, und haben alle guten Posten, administrativ, bekommen. Es war so eine selbst erwählte Aristokratie. Mein Vater – aus Gründen die ich mir nicht ganz sicher bin – wurde eines Tages nach Klammljoch verschickt, um im Kohlenbergwerk zu arbeiten. Es scheint, dass…zu irgendeinem Moment fehlte es an Kohlen…ich suche nur das deutsche Wort. Wenn man im Kohlenschacht arbeitet, was ist das? Wie heißt das Wort dafür? Bergbau? Nein. Wenn man Kohle gräbt, geht ein Schacht herunter, und dann Seitenschächte. Was ist das Wort für den Arbeiter? Bergarbeiter, ja. Warum mein Vater dorthin kam, weiß ich nicht. Er wollte wahrscheinlich von Theresienstadt weg. Nur mal weg, vielleicht kann er weglaufen, oder irgendwo entfliehen.
6/00:20:52
Jetzt müssen Sie sich meinen Vater vorstellen: In 1944 war er schon an die 50 Jahre alt, ein typischer Prager Intellektueller, mit Brillen und…sozusagen war ihm auf das Gesicht geschrieben, dass er nicht ein Bergarbeiter wäre. Und folglich hat man ihm Arbeit zugestellt, die war oben am Berg, wo er oben, außerhalb des Schachtes, arbeiten würde. Hat aber an einem Punkt Tuberkulosis bekommen, und wurde zurück nach Theresienstadt gebracht. Als ich ihn in Theresienstadt traf, war er schon im Krankenhaus, und es war nicht eine Kaserne…ein Teil der Kaserne war abgeschlossen, zum Teil, um TB, Tuberkulosis-Kranke zu behandeln. Und wahrscheinlich war der Grund…warum die Selbstadministration das tat, ist um den Rest der Bevölkerung zu schützen. Denn TB war damals, wenn sie schwer war, tödlich. Und mein Vater kam dann…und das weiß ich nur von anderen Leuten, teilweise auch von ihm, da er ein AK2 war, das hatte schon ein gewisses Gewicht damals. [Lacht.] War in einem Raum, wo keine Betten waren, die eines über dem anderen waren…also alles am Boden. Und da waren, in einem verhältnismäßig kleinen Raum, an die zehn verschiedenen Pritschen und Strohsäcke, nicht sehr viel Platz, gerade genug, um einen Strohsack hineinzulegen. Über dem Bett stand ein kleines Brett, wo man seine Sachen hingeben konnte. Und mein Vater hat es erreicht, dass er bestimmen würde, wer mit ihm im Zimmer wäre. Und der Raum war ein…er hat sich Leute ausgesucht, die kongenial waren, das heißt Professoren, Philosophen, Spezialisten in diesem und jenem Fach – eine intellektuelle Gruppe. Und alles was die taten, war zu diskutieren. Und ich fand diese Gruppe außerordentlich interessant, habe unglaublich viel von denen gelernt. Ich hatte die Möglichkeit – nicht die Möglichkeit, sondern die Bewilligung – auch in das Zimmer zu gehen. Ich war mir bewusst, dass das etwas gefährlich war, unter all den TB-Kranken zu sein. Habe das sozusagen aus dem Kopf geschlagen. Es war wichtiger bei meinem Vater zu sein, und folglich war ich fast jeden Tag dort. [Hustet.]
Ich kann Ihnen nicht sagen, welches Thema nicht behandelt wurde. Alles, was da an Philosophie bestand, von Herodot…Gott, mein Gedächtnis schwindet schon. Der alte griechische erste…führende Philosophen, dort. Nein, Herodot war ein Historiker, aber…Heriklates? Nein. Well, macht ja nichts. Aber bis letztes Jahr, bis zu…[Jean-Paul] Sartre war noch nicht bekannt, aber ungefähr alles andere wurde besprochen, und natürlich politisiert – ständig. Was ist die politische Situation, was kann man erwarten? Und natürlich, die Information im Ghetto war ziemlich schwer. Das heißt, früher oder später erfuhr man genau was vorging, aber nicht im Augenblick, wo es vorging. Eine meiner Aufgaben war, den Oberkommando des Heeres-Bericht…das war sozusagen offizielle Meldung. Auch das war nicht leicht zu finden. [Hustet.]
6/00:25:58
Natürlich war es der englische Rundfunk…das hat niemand zugegeben, je ein fremdes Radio zuzuhören. Und ich hatte das Geschick immer wieder herauszufinden…jemand hat irgendwo eine Zeitung gefunden, bei einem der Wachmannschaften, oder ihn auszufragen. Und wenn wir wussten, dass Paris…und ich weiß nicht, wann das auch war…Paris ist noch deutsch, da wusste man, dass die Alliierten wahrscheinlich schon in Paris waren. In Details war keine Information da, aber im großen Bild wusste man natürlich, was vorging. Und die Frage war immer: Wie lange wird das auch dauern, wann wird der Krieg zu Ende sein? Und ich glaube, dass niemand, von dem ich je hörte, den Moment bezweifelte, dass das Naziregime zusammenbrechen würde. Wie lange es dauert, das war der große Unterschied. Wir haben natürlich alle recht gehabt. Was wir nicht gewusst hatten war, dass die vorher umgebracht würden werden. Bevor noch die Nazis zusammenbrechen würden. Zu jeder Zeit wussten wir, dass das Regime zugrunde gehen würde. Und das bestand auch nach Theresienstadt…Auschwitz und Kaufering, späterhin.
Eines der Details, an die ich mich gerne erinnere. Was macht man mit Deutschland nach dem Krieg? Und da waren zehn Leute, dort waren zehn verschiedene Ansichten. [Lacht.] Einer der Vorschläge war, dass man Deutschland aufteilen würde, mit denselben Grenzen wie nach 1648, der Frieden in Münster, in Westfalen. Deutschland aufgeteilt in 300 verschiedene Prinzipalitäten. Jemand anderer hatte…Deutschland in zehn Regionen aufzuteilen, alle möglichen wilden Pläne. Einer der Pläne, der mir am meisten zugesagt hatte, war jemand, der vorgeschlagen hatte, Deutschland bleibt in seinen alten Grenzen, mit einer Bedingung, die absolut strengstens beachtet werden musste: kein Metallgegenstand darf in Deutschland bleiben. Das fand ich spaßhaft, aber sehr interessant. Und ich habe dort, in der Gruppe…habe ich viel Soziologie erlernt, Philosophie, und… Es war ein Seminar auf einem hohen Niveau. Das waren alle sehr, sehr intelligente Leute. Wenn jemand starb, wurde jemand anderer erlaubt diese Gruppe mitzunehmen. Oh, etwas…einer der Leute war ein feuriger Kommunist. Und mein Vater hat das so gesagt: Jeder von euch – die zehn Leute – wird ein Land vertreten. Du sprichst für Frankreich, und du sprichst für Polen, jeder hatte ein…sozusagen eine United Nations. Wie würdest du dein Land nach dem Krieg sehen? Und ein Mann war ein Kommunist – und ein wilder Kommunist –, und der sagte: „Ich muss extra Stimmen haben.“ Sagt er: „Warum?“ „Wir, Russland, haben die meisten Opfer gebracht, um diesen Krieg zu beenden. Und deshalb wollen wir extra Stimmen. Nicht nur das, sondern ich will auch die Möglichkeit haben, Nein zu sagen, wenn mir etwas nicht zusagt. Wir haben die größten Opfer.“ Das heißt, das Veto im the UN [United Nations] wurde in Theresienstadt in 1943/44 schon geschoben. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand von der Tuberkulosis-Abteilung überlebt hat, denn nachdem ich von Theresienstadt nach Auschwitz geschickt wurde, knapp danach, wurde die ganze Abteilung nach Auschwitz gebracht, und es hat keiner das überlebt. Mein Vater war darunter.
6/00:31:30
Kulturleben in Theresienstadt: unglaublich. Was es da nicht gab. Ich weiß nicht, wie das zusammenfand. Die meisten Leute in Theresienstadt, sowohl tschechische Gruppen…im Wesentlichen war Theresienstadt von tschechischen Juden bevölkert. Und die waren im Wesentlichen wieder middle class, hocherzogen. Die Person, die keine gute Erziehung hatte, war sehr jung, oder ziemlich ungewöhnlich. Aber die meisten Leute hatten eine gute Erziehung, sprachen mehrere Sprachen, waren Geschäftsleute, Professoren, Intellektuelle. Nicht sehr religiös. Was auch immer, aber das ist nur eine Randbemerkung, wir hören immer wieder von Leuten, wie religiös die Einsassen [mein: Insassen, Anm. d. R.] von Theresienstadt waren. Mumpitz. Dummheiten. Lügerei, um sich heute ein bisschen aufzublasen. Religiosität bestand nicht in Theresienstadt. Ja, da waren kleine Gruppen…auch eine Gruppe von Katholiken, die dort waren, die nach Nazivorschriften nicht Arier waren, und deswegen nach Theresienstadt gebracht wurden. Aber waren eine ganz, ganz kleine Gruppe, perzentuell [prozentuell], ich kann Ihnen nicht Nummern sagen, weil ich es nicht weiß. Aber Religion bestand nicht als ein Thema. Wer auch immer sagt: „Ja, es waren alle so gute Juden“, der lügt. Gute Juden, ja, aber religiöse Juden, nein. In dem Raum, wo mein Vater war, wenn jemand das religiöse Thema aufgebracht hätte, und ich glaube, niemand hat das getan, man hätte ihm gesagt: „Hör zu, du gehörst in ein anderes Zimmer.“ Wäre lächerlich gewesen. Aber ich glaube nicht, dass jemand…dass der Gedanke eben aufgekommen wäre.
Theresienstadt hat selbst…das war so eine Art Selbstorganisation. Leute sprachen über deren Expertise. Und sprachen über Themen, wo sie eben sehr informiert waren. Und heute sind darüber ganze Bücher…die eine Liste wiedergeben von wichtigen Leuten, die gesprochen haben. Und ich habe natürlich zugehört, wann auch immer ich konnte. Nun war das gewöhnlich spät, weil man nicht auf die Straße gehen konnte. Folglich war es in dieser oder jener Kaserne, und nur Leute, die – wie ich – einen Passierschein hatten, um auch auf der Straße zu sein…immer musste ich einen guten Grund haben, warum sozusagen. Aber das war nicht so gefährlich. Ich erinnere mich ganz klar an die Vorträge von Leo Baeck. Und [Emil] Utitz, und…eine meiner großen Erinnerungen ist, Leo Baeck über klassische Philosophie zu hören. Und das war eine Art, um weiter zu lernen.
6/00:35:40
Musik. Es waren keine Instrumente da, aber das heißt nicht, dass keine Musik da war. Ich habe alle die musikalischen Abende, die existierten…gewöhnlich mit einem alten Klavier, das nicht einmal alle strings…die Geige hat was? Ja. Ich habe alle die Opern, die in Theresienstadt vorgeführt wurden…alle mit dem Klavier, und erstklassigen Stimmen. Leute, die in wichtigen Opern in Europa sangen, von…was auch immer aufgeführt wurde, war ich dort. Ich habe mehrere Male das Requiem von [Giuseppe] Verdi gehört. Brundibár [von Hans Krása]…mehreren Gelegenheiten. Und da ich eben die Möglichkeit hatte, außerhalb der Kaserne zu sein. Es war auch möglich im Winter, besonders, wenn es dunkel wurde. Viele Leute, die außerhalb der Baracken arbeiteten, mussten um drei, vier Uhr am Nachmittag zurückgehen, weil ganz einfach kein Licht da war, außerhalb. Irgendwie war die Möglichkeit, kulturell aktiv zu sein, und das galt nicht nur für mich, sondern fast für alle Leute – alle jüngeren Leute. Poetry wurde geschrieben, das heißt, Poesie wurde geschrieben, Vorträge gehalten über verschiedene Literaturen. Es waren circa 3.000–4.000 verschiedene Vorträge, von denen wir heute wissen. Und natürlich habe ich nur dieses oder jenes gehört, oder gesehen. Theater, vorgeführt, auf Dachböden mit kaum…keine…um einen Bühnenbild zu machen, das stand natürlich nicht. Aber ich erinnere mich an Zelinka, der sehr, sehr geschickt war, hat ein Stück von [Nikolai Wassiljewitsch] Gogol inszeniert, und anstatt Gegenstände zu haben auf einem Tisch – das notwendig war –, hat er ein flaches Stück Papiermaché genommen, gemalt, mit einem Stiel dahinter, und ein Loch in einem Tisch. Und da war ein Topf, da waren Leuchter, und alles natürlich eindimensional. [Lärm im Hintergrund.] Aber who cares? [Lacht.] Es hat großartig gearbeitet.
So erinnere ich mich, zum Beispiel, ein Gogol von…Gustav Schorsch hat das inszeniert, ein Schauspieler, der auch umgekommen…die sind alle umgekommen, nach dem Krieg, Zelinka… Theresienstadt – für mich – war nicht negativ…naja, die Unterdrückung sehr negativ, aber intellektuell, nein. Und die Anregung, die Theresienstadt gebracht hat, funktioniert auch heute noch. Ich kannte [Bedřich] Fritta. Fritta war der vorsitzende Kopf, Direktor, der Zeichenstube. Die Zeichenstube wurde von den Nazis etabliert, um Sachen für die Naziadministration zu machen. Zeichnen, Listen, grafische Darstellungen. Und natürlich waren alle diese Nazibonzen wie besessen über Dokumentation, und viele dieser Sachen existieren auch heute noch. Illustrationen, die Leute in der Zeichenstube machten. Eine der Seiten – der positiven Seiten – der Zeichenstube war, dass sie Papier hatten. Zeichenpapier. Und Fritta hatte ganz geheimerweise was gezeichnet, während der Nacht, und leider fanden die Nazis heraus…irgendwer hat was herausgeschmuggelt, und seine Handschrift war sozusagen offensichtlich. Und er wurde ermordet, er hat es nicht überlebt. Aber seine Sachen haben es überlebt, und sind heute eine der wichtigen Dokumentationen über Leben in Theresienstadt. Was Fritta, [Otto] Ungar, [Ferdinand] Bloch, dann andere… Wenn Sie Bücher haben über Kunst in Theresienstadt, da sind die Sachen gut beschrieben.
6/00:41:49
Nun, interesting…Fritta ist eine Abkürzung für Fritz Taussig. Und mein erster Name war Fritz Taussig. Fritta war ein weiter Verwandter, die Taussigs waren hunderte in Prag. Und hat sozusagen mein…ich habe gezeichnet in Theresienstadt, aber war ein Anfänger. Und habe es zum Fritta getragen, und habe gesagt…so sehr schüchtern…ob er es auch ansehen würde. Und hat meine Schachtel genommen…da ein Papier nachmachen, und hat gesagt: „Schrecklich. Unglaublich. Unverantwortlich!“ Und ich bin natürlich kleiner und kleiner geworden, und hat gesagt: „Fritz, wenn man das bei dir findet, bist du tot.“ Das ist was ihm passiert ist. Und meine Sachen habe ich, bevor ich nach Auschwitz abtransportiert wurde, jemandem andern gegeben, das heißt, meiner ersten Frau, und ihr gesagt, „Ich kann das nicht mit mir nehmen“, und die hat das…auch sie wurde dann abtransportiert, hat das jemand anderen gegeben, das bestand noch weiter. Alle meine Zeichnungen sind verschwunden. Ich habe, nach dem Krieg, versucht sie zu finden, habe aber nur drei Anfängerzeichnungen gefunden, in Israel, im Kibbuz Givat Haim Ichud. In [19]82 fuhr ich mit Rebecca nach Israel, und ging zum Kibbuz Givat Haim Ichud, habe gesagt: so und so, ich habe meine Zeichnungen vermisst, habt ihr irgendeine Ahnung, wo ich was suchen könnte. Sagen die: „Ja, wir haben ein paar Sachen hier, die wir nicht identifizieren können.“ Und darunter waren drei meiner Sachen, ganz Anfängerarbeiten. War es gute Kunst? Gott weiß. Aber es war, sozusagen, Dokumentation am Platz gemacht. Skizzen von Leuten, die herumstanden. Leute, die innerhalb…interiors, Interieure von Gestellen, wo Leute wohnten…Häuser. Eine gute Dokumentation gewesen. Könnte noch eine Stunde lang über Theresienstadt sprechen, ich wüsste nicht wo anzufangen. [Lacht.]
6/00:44:32
Ich denke gerade darüber nach, ob noch jemand da ist, den ich in Theresienstadt kannte. Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin einer der wenigen, die noch da sind. Und für alte Leute war Theresienstadt ein Todesurteil. Junge Leute, wie ich…ich war damals zwanzig Jahre – [19]43 war ich zwanzig Jahre alt. Physisch gut beisammen, seelisch von meinem Vater erstklassig vorbereitet. Aber wie jemand in einem Alterstransport ankam, plötzlich kommen 1.000 alte Leute an, was macht man mit denen jetzt? Ghetto ist vollgepfercht, kein Platz. Die Dachböden waren noch da. Folglich hat man die hinauf auf den Dachboden gebracht, und eine Kaserne hat nicht gewöhnliche Stiegen, und bestimmt keine Aufzüge. Es waren Joseph II. Gebäude, spätes 18. Jahrhundert. Waren Stiegen, die ziemlich steil waren, denn die Kasernen waren hauptsächlich Stapelplätze für Waffen. Ich weiß nicht, was man damals auch gestapelt hatte, aber Kanonenkugeln waren im Erdgeschoss, aber Säbel, und weiß ich was sonst, waren weiter oben. Aber alle mussten hinaufgetragen werden…um noch schwere Säcke zu tragen, will man steile Stiegen haben, das heißt, dass die Stufe ziemlich seicht wäre, aber die Erhöhung…ich weiß nicht einmal, wie das zu nennen. Von Stiege zu Stiege, der Abstieg war mehr als normal, aber die Distanz von Stiege zu Stiege. Denn das macht es einfach, schwere Gewichte auf der Schulter zu tragen. Nun muss ich daran denken, da ist eine alte Person – 60 plus, 65 plus, nicht sehr gesund – oben am Dach, es ist kalter Winter, Frost, er ist angezogen in der Nacht, und muss auf die Toilette gehen. Wo sind die Toiletten? Im Untergeschoss. Der musste da vier lange Stiegen heruntergehen, und wieder zurückgehen. Für eine alte Person, wenn jemand krank ist, war das fast unmöglich. Und viele der alten Leute hatten ein gutes Leben geführt. „Ich brauche es nicht mehr, goodbye.“ Und starben sehr, sehr schnell. Aber wirklich nur die physisch ziemlich beisammen waren, überlebten Theresienstadt – physisch –, aber seelisch war es total erschütternd. Deren Welt war zusammengebrochen. Selbst wenn sie es überlebt hätten, die Welt war nicht mehr da. Und so war Theresienstadt für alte Leute sehr, sehr schwer.
Ein Teil der Baracken…in einer der Baracken, die in die Mauern eingebaut waren…ich weiß nicht, wie viel Sie von Theresienstadt wissen…innerhalb der Schanzen waren Räume, die auch benutzt wurden. Ein Teil waren ein Narrenhaus, für Geisteskranke. Aber sehr, sehr traurig, wenn alle die alten Leute dort zusammen…keine Pflege, kein nichts. Theresienstadt hatte seine positiven Seiten – für mich –, denn das Physische störte mich nicht so, wie andere Leute. Meine Welt war auch nicht zusammengebrochen. Meine Welt bestand noch nicht. Und ja, was ich nicht hatte, war teenage. Die Zeit, wo andere Leute, heutzutage, von fünfzehn Jahren ab, in der Welt herumfahren und Bier trinken…ich weiß nicht was man noch so macht…das existierte für mich nicht. Zu Jazzkonzerten zu gehen. Ich sehe nur, was unser Sohn macht. Kommt um drei Uhr in der Früh nachhause, schläft sich…ich weiß nicht, ob er einen Rausch abschläft…aber schläft bis zum nächsten Morgen, um drei Uhr am Nachmittag. All das bestand für mich natürlich nicht. Und folglich, für jüngere Leute bestand deren Welt noch nicht. Für jemand, der verheiratet war, war es schon verschieden, denn, wenn da kleine Kinder waren, das war ein großes Problem. Da waren Kinderheime, und die Verwaltung, die Theresienstadt-Verwaltung, hatte eine limitierte Menge von Essen. Jetzt ist die Frage: Wie verteilt man das? [Kurze Bemerkung zum Lärm im Hintergrund.]
6/00:50:55
Ich wüsste nicht, wie ich es machen würde. Natürlich gibt man den Kindern mehr als den anderen. Leute, die schwere Arbeit machen, sollten mehr zu essen bekommen, und ältere Leute weniger. Ist das gerecht? Ich bin mir dessen gar nicht bewusst, dass ist sozusagen zero sum, das Wort bestand damals noch nicht. Wie teilt man eine beschränkte Menge – eine sehr beschränkte Menge – Essen ein, wer bekommt was? Ein Problem. Und Erziehung für Kinder bestand fast gar nicht. Bis zum dreizehnten Lebensjahr, bis zum zwölften, waren Kinder im Kinderheim…Jugendheimen, und erhielten eine gewisse Anzahl an Erziehung. Da waren einige sehr – Gott, mir fehlen schon die deutschen Worte – devoted…Leute, Lehrer, die unglaublich viel unterrichteten mit denen, ohne wirklich die Mittel zu haben zu unterrichten. Und mit dreizehn Jahren wurde jedes Kind sozusagen als Erwachsener behandelt, musste arbeiten. Und wiederrum hat man die Frage: Wer kann was machen? In Werkstätten wurde nicht viel unterrichtet. Ich weiß nicht genug über Werkstätten, da ich in dem Gebiet nicht viel zu tun hatte. Für Erwachsene war das natürlich ein Zusammenbruch derer Gemeinde. Es ist schwer sich das heute vorzustellen, wenn man aus einem normalen Bürgerstand herauskommt, plötzlich in ein Lager geworfen zu werden. Das erfordert eine große seelische Anwendung. Und innerhalb der Bevölkerung in Theresienstadt bestand ziemliche seelische Kraft. Ich glaube, dass das ein Selbstbewusstsein war. Wir brauchen nicht die Information, welche die Nazis haben. Denn für einen Nazi waren wir ein Untermensch, für uns war es verkehrt herum. Und die meisten der SS-Leute, die eben die Macht hatten, waren Flegel. Brutale Lumpen – wahrscheinlich würden wir das heute Lumpenproletariat nennen –, die plötzlich Macht hatten, und natürlich mit großem Vergnügen einen Intellektuellen verprügeln. Wir wurden nie angesprochen von Nazis, es wurde nur gebrüllt. Wir wurden nie – wir als Person – angesprochen, sondern, „Du Saujude!“, „Du Schweinehund!“…und ich sage das immer im normalen Ton, das war ein gebrüllter Ton. Und…für die meisten Leute hat das keinen großen Eindruck getan. Was die Nazis wahrscheinlich gerne gesehen hätten, wäre, dass man vor ihnen auf den Knien rutscht, und sie anbetet. Und das ist natürlich nicht passiert.
6/00:55:19
Die seelischen Kräfte innerhalb der Gemeinde waren da. Das heißt, gegenseitig waren wir sehr freundlich, und sagten, „Bitte“, und „Dankeschön“, oder „Guten Morgen“. Und es war eine zivile Bevölkerung mit alle den Beobachtungen der äußeren Formen, die wir gewohnt waren. Innerhalb Theresienstadts, mit all dem zusammengepferchten Lebensstil, hätte man sich vorstellen können, dass so etwas wie ein Zuchthauskoller [meint: Lagerkoller, Anm. d. R.] passieren würde. Bestand aber nicht. Das heißt, es bestand keine persönliche Gewalttat unter den Einsassen [meint: Insassen, Anm. d. R.]. Ja, hin und wieder hat einmal irgendjemand was gestohlen, gewöhnlich ein Kind, irgendetwas Kleines weggenommen. Aber ernstliche Konflikte, innerhalb der Gruppe, bestanden nicht. Philosophische ja, aber die nie ausarteten, in persönlicher Gewalt.
[Übergang/Schnitt.]
Wie ich vorher erwähnt hatte: Theresienstadt war nicht eine Situation, sondern wir waren jede Woche in einer anderen Situation. Und auch andere Themen kamen zur Oberfläche. Ich versuche mich da irgendwie zeitlich zurechtzufinden. Und was einer der Stichtage…Stichtage sind, wenn Transporte wegfuhren. War immer groß…wer wird auch in den Transport hereinkommen? Wir – das heißt, die gesamte Bevölkerung – wussten natürlich nicht, wohin die Transporte gingen. Man hörte dieses oder jenes, aber man…es war die Idee einer Umsiedlung, das heißt, dass ganz einfach die Nazis alle Juden nach Polen bringen, und wohin wir auch verschleppt werden würden. Was wir nicht wussten – was ich nicht wusste –, ist, dass Transporte in Todeslager gingen. Das wussten wir nicht. Bis zu meiner Ankunft in Auschwitz wusste ich wirklich nicht. War es irgendwie im Unterbewussten unterdrückt? Ich glaube nicht. Sondern wir wussten eines nicht, die Entscheidung von der Sie heute natürlich wissen: im Januar, in Wannseekonferenz, dass, sozusagen als Endziel wäre, so viele Juden umzubringen, als auch möglich. Irgendwie war das nicht logisch. Denn als mehr und mehr Leute notwendig waren, um den Kriegsbetrieb aufrecht zu erhalten: Warum arbeitskräftige Leute umzubringen? Das ist ganz einfach eine Dummheit. Objektiv gesehen…allerdings wurde das über…die Wichtigkeit der Nazis war doch Juden umzubringen. Folglich war es ihnen wichtiger, Juden umzubringen, als Arbeitskräfte zu haben. Es war nur später in [19]44, dass irgendwie die Einsicht bestand, da sind ja Leute da, die noch was arbeiten können, und vielleicht können wir die noch drei, vier Monate lang arbeiten lassen, bevor wir sie umbringen. Das war der Grund, warum wir in Auschwitz ankamen, und nicht sofort vergast wurden. Arbeitsfähige Leute wurden am Leben gehalten, und dann in andere Lager gebracht. Vor dem bestanden wenige Arbeitslager innerhalb Deutschlands. Aber spät in [19]44 war das deutsche Machtgebiet schon wesentlich beschränkt.
6/01:01:06
Folglich waren Arbeitskräfte notwendig, innerhalb des Landes. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir nach Kaufering verschleppt wurden. Obwohl Kaufering eines der schwersten Lager war, in welchem ich war. Es waren sozusagen drei, vier Monate Arbeitskraft. Also bestand selbst unter den Nazis noch die Idee: Da sind noch Leute da, die arbeiten könnten. Das bestand in unserem Kopf, auch in [19]44, warum wir glaubten, überleben zu würden. Denn warum Leute umbringen? Die Ideologie ist für mich, auch noch heute, nicht fassbar. Dass…als der Krieg zu Ende ging, Leute auf Todesmärsche zu schicken. Warum bestand die Lebenskraft…das ist das falsche Wort…der Drang Leute umzubringen? Um keine Zeugen zu haben? Das scheint nicht sehr logisch zu sein. Aber ich habe keine Erklärung dafür. [Lärm im Hintergrund.]
Die Anfänge meiner Kunst gehen weit zurück. Die gehen zurück vor eine Zeit…bevor ich noch die erste Zeichnung machte, war ich mir dann viel, viel später bewusst, dass ich als Zeichner oder Maler dachte. Das fing an im Gymnasium. Früh…war ich zwölf Jahre alt? Weiß nicht wie alt, da mussten wir mit Kohle und Kalk…chalk, nicht Kalk, sondern Kreide, auf einem grauen Papier Gläser malen. Genau die Ellipsen, wenn man einen Topf – oder sagen wir eine Vase – anschaut, wenn man es auf eigener Höhe sieht, dann ist das wie eine Linie. Aber wenn man herunterlooked ist ein Oval. Perspektive, um das Auge zu trainieren. Nun habe ich eine der wenigen Gelegenheiten, wenn ich einen Fünfer bekam…ein Fünfer war schlecht, das war schon…durchgefallen. Was ich getan hatte war, wo ich Licht sah, habe ich Kreide genommen und wo ich Schatten sah, habe ich Kohle genommen, Zeichenkohle. Habe sozusagen das wiedergegeben, was ich auch sah. Ich habe aber nicht darauf aufgepasst, die richtigen Ellipsen zu zeichnen. Und der Herr Professor hat gesagt: „Ganz schlecht!“ Nun weiß ich heute, dass ich natürlich das Richtige getan habe. Ich habe gemalt, gezeichnet, was ich sah, anstatt zu zeichnen was im Kopf vom Professor war. Eine andere Gelegenheit, das war im ersten Lager in Lípa, in Linden…wo irgendwo…ich weiß nicht, wir waren außerhalb des Lagers, und standen da in der Mitte der Böhmisch-Mährischen Höhe, und schauten herunter. Und da war ein Weg, der sich so durch das Tal wandte und auf der anderen Seite hochging. Da habe ich mir gedacht, der Weg geht ganz falsch, der sollte mehr so herumgedreht sein. Das heißt, ich habe was getan, was Künstler oft tun: corriger la nature. Das heißt, ich habe eine Landschaft gesehen, aber Sachen herumgeschoben, innerhalb der Landschaft. Und dessen war ich mir damals nicht bewusst…was ich tat.
6/01:05:35
Die erste Arbeit, die ich tat, war in Theresienstadt. Wir waren eine Gruppe, die einen Graben ausschaufeln musste, und ein Unwetter kam herunter. Es regnete so schnell, dass der Graben sofort mit Wasser voll war. Hatte keinen Sinn, da weiter zu graben. Und da standen wir unter einem Dach, so ein Halbdach um sich vor dem Regen zu schützen…und da standen wir dort, und ich hatte ein kleines Stückerl [Stück] Papier in meiner…irgendwo, und einen Stumpfen von einem Bleistift, und in der Gegend vor mir waren Pappeln. Und da habe ich ganz einfach die Pappeln gemalt. Und als ich fertig war, ich dachte: „Das schaut nicht schlecht aus.“ Das war der Anfang. Von dem Tag an habe ich nicht aufgehört zu zeichnen. Und war im Wesentlichen selbst unterrichtet. Ich habe was von Zelinka gelernt, über eine Methode, ink…Tusche zu benützen mit einem Stückchen…ich benütze das auch heute noch, so ein dowel – ein dünner Stab. Und den habe ich sozusagen ständig… [Lärm im Hintergrund.]
Tusche war…Farben gab es natürlich nicht. Ich habe dann späterhin Farben gefunden, weil ich an einer Gruppe teilnahm, welche bei der Verschönerungsarbeit Häuser von außen bemalen musste. Da waren auch Ziegel mit Farbe da, und Pigmente. Und die habe ich natürlich fleißig gestohlen, und hatte manche Farben. Die habe ich auch benützt, um die Zeichnungen zu machen, welche heute in Givat Haim sind. Um Wasserfarben herzustellen, braucht man Pigmente, und eine Art Kleister. Tusche, ja. Zeichnungen…Fritta hat mir hin und wieder ein paar Stücke Papier gegeben – gutes Papier gegeben. Und dann versucht man – quote unquote – zu organisieren. Das heißt, man findet irgendwo ein Papier, und sagt: „Kann ich das Papier haben?“ Gutes Papier zu finden war schwer. Billiges Papier war immer wo zu finden. Einmal hatte ich keine Tusche mehr, und ging zu einem scribe, einem Schreiber, einem religiösen Schreiber in Theresienstadt. Und man hat bestanden auf diese Leute. [Lärm im Hintergrund.] Und ich sage: „Wie macht man Tusche?“ Ich wusste, dass die Rabbiner ihre eigene Farbe herstellten. Und daraufhin hat er gesagt: „Oh ja, da werden wir mal was zusammen kochen“, und fand einen der Kessel in Theresienstadt, welche nicht mit Dampf beheizt wurden, sondern mit Kohle oder Holz, und fand Karbon, und der hat das abgekratzt, und dieses oder jenes hineingemischt, und der Portier hat mir ein kleines Fläschchen gegeben, und gesagt: „Das ist deine neue Tusche.“ Er hat aber dazugesagt: „Sei vorsichtig, keine religiösen Traktate zu schreiben, denn die Tusche ist nicht koscher.“ Er fand das sehr lustig damals, obwohl ich finde es heute noch lustig…do not write the… Kunst fing an in Theresienstadt. Natürlich im Augenblick, wo wir nach Auschwitz kamen, war das Ganze sinnlos, und selbst in Kaufering bestand nicht… Nach der Befreiung war ich dann – ich werde darüber auch noch später sprechen – hospitalisiert. Irgendjemand kam, war sehr nett zu mir, und hat mir Zeichenmaterialien, Kunstmaterial, gegeben. Wasserfarben oder ein paar Pinsel. Und das war der Anfang ernst zu arbeiten. Das heißt, nur sozusagen am Anfang der Künstlerei, habe ich mich nie als Künstler betrachtet, sondern eben nur sehr interessiert daran. Wie ich dann nach dem Krieg…bin ich sozusagen…drifted into it. Wie sagt man das? Langsam in die Kunst hineingekommen. Etwas Anderes, das ich über Kunst sagen könnte…noch Bände…aber hat nichts mit Theresienstadt zu tun. Oder Auschwitz. Zwischen Auschwitz und Kaufering habe ich nichts machen können. Alles, was wir hatten damals, war ein Löffel, und wenn man glücklich war eine puschkin…eine Konservenbüchse, oder das Äquivalent einer Konservenbüchse.
6/01:11:40
PR: Sie haben ja auch von diesen lectures erzählt, an denen Sie teilgenommen haben. Leo Baeck und [Emil] Utitz, und… Können Sie mir über diese Geschichten ein bisschen mehr erzählen?
FT: Es war so viel da…wo auch immer ich was anhören konnte, ging ich hin. Und das mag hin und wieder über Themen sein, an denen ich nicht besonders, im Augenblick…auf die ich mich nicht konzentrierte. Ich erinnere mich an Leute, die über Poesie geschrieben haben. Französische Poesie des 19. Jahrhunderts, nur ich erinnere mich nur sehr wenig an diese Sachen. Ich hatte zwei Leute, mit denen ich ziemlich befreundet war. Einer war Georg Kafka, and George Jelinek. Jelinek war ein tschechischer Poet, und hat großartige Sachen geschrieben, mit viel Wissen und Verständnis für verschiedene Versformen…klassische französische Versformen…welche er benutzte, um tschechische Poesie zu schreiben. Und Georg Kafka…weiß nicht, ob er mit Franz Kafka irgendwie verwandt war, alle Kafkas wahrscheinlich in Prag irgendwie verwandt…hat viel Poesie auswendig gekannt, manches auch aufgeschrieben vom Gedächtnis. Und…ich weiß, dass sehr, sehr viel [Rainer Maria] Rilke von Kafka kam, denn natürlich hatten wir keine Bücher…oder wir hatten…ich hatte nicht Zugang zu dem Bücherreich. Obwohl in Theresienstadt eine Bibliothek bestand. Ein Teil des Theresienstädter Lebens war aufzuschreiben, was man wusste. Mein Vater schrieb dieses oder jenes über Soziologie, und Politik – die Sachen sind alle verschwunden. Und wurden besprochen, wurden kritisiert, erweitert – es war immer ein Kreis da, der interessiert war. Und da ich sowohl an der tschechischen, als auch an der deutschen Kultur teilnehmen konnte, oder wollte, hatte ich Gebiete, welche anderen nicht ganz zugänglich waren. In einem der Räume – es war in einem Raum-Gang in Theresienstadt – waren etliche Wiener. Einer war ein Professor der Kunst, Professor Berger oder…ich vergesse seinen Vornamen. Er hat sehr schöne, klassische, 19.-Jahrhundert-Zeichnungen gemacht. Ob etwas von dem den Krieg überlebt hat, habe ich keine Ahnung. Und habe mit dem über Kunst gesprochen. Es gab…kein piktorielles Material bestand, so wurde verhältnismäßig wenig über Kunst gesprochen. Man musste ja, um Bilder zu zeigen…um Kunst zu erklären, brauchte man gewisses Bildermaterial.
6/01:16:13
Einer der Leute in Theresienstadt…ah, jetzt versuche ich den Namen hervorzubringen…Hans Günther Adler. Hans Günther Adler hat nach dem Krieg in Deutschland gelebt, und schrieb…ich vergesse immer den genauen Titel seines Buches. Über die Zwangsgemeinschaft Theresienstadt. Ich habe versucht, das Buch zu finden, es ist nicht mehr im Druck. Ich habe irgendwo gelesen, dass es wiederum gedruckt würde. Und Adler war eine der Personen, mit denen ich ziemlich viel sprach, und er war eine der Quellen meines Unterrichtes. Das heißt, ganz einfach ein one-on-one Unterricht. Als ich Adler einige meiner Zeichnungen zeigte, sagt er: „Du hast da etwas getan, von dem du nichts weißt.“ Das heißt, ich habe eine Art Landschaft gemalt, die wie er sagte: „Geh zurück auf soundso, und soundso. Und du hast natürlich dieses Mannes Arbeit nie gesehen.“ Adler war nicht viel älter, aber alt genug, um schon damals Doktor der Philosophie…ich weiß nicht, oder Doktor des Rechts. Und so bestanden Quellen des Unterrichtes. Nun denke ich daran, diese Quellen bestanden nicht nur für mich. Natürlich musste man daran interessiert sein, um Quellen zu suchen. Von Adler bekam ich Kunstkritik über meine Zeichnungen. Und von Zelinka bekam ich technischen Unterricht, wie auch meine Zeichnungen zu organisieren.
Als ich zurückkam, habe ich, nach dem Krieg…und ich weiß nicht, ob ich das nicht… Da wir über Kunst sprechen, noch im Hospital nach der Befreiung in Bad Wörishofen. Bad Wörishofen ist in Schwaben. Und die berühmte Vater Kneipp. Die Kneippkur, das war Bad Wörishofen. Darüber ein anderes Mal sprechen, aber als mir jemand Sachen und Zeichenmaterialien gab, machte ich Zeichnungen über Auschwitz, und Sachen, die mir sozusagen im Gedächtnis waren. Und Zeichnungen über Kaufering, das heißt, die Erdhütten, in denen wir lebten. Oder: lebten ist zu schwer zu sagen, untergebracht waren. [Lacht.] Und als ich mir das eines Tages anschaute: „Ich bin noch immer im Lager.“ Und habe aufgehört, diese Sachen zu malen, und habe Landschaften gemalt, die ich – vom Fenster aus – sah. Und nach einer Weile konnte ich auch schon ein bisschen herumgehen, um von anderen Fenstern was zu malen. Und habe aufgehört mit dem Thema Konzentrationslager. Nicht viel später habe ich mir die Zeichnungen angeschaut, und habe gesehen, die sind voll von Mauern und Zäunen, und ich habe ganz einfach diese Themen umgeschaltet, aber sind noch immer dort. Und das hat mir gesagt: „Das Lager wird nicht weggehen.“ Muss es eben akzeptieren, und damit leben. Und das was wir heute noch hier sehen ist akzeptieren; es bestand, es war einmal, und ich versuche das Beste piktoriell zu tun, das ich eben kann. Das ist zur Ergänzung dessen, wie ich anfing zu malen.
6/01:21:20
PR: Wir haben ja während unserem Gespräch auch ganz kurz das System der Lagerverwaltung dort angesprochen. Können Sie mir etwas über Ihre Erfahrungen mit diesem Lagerverwaltungssystem erzählen?
FT: Es war ein…eins wussten wir, denn was auch immer das System war, es wurde sozusagen uns auf die Schulter gesetzt…ist das das Wort dafür? Nein…imposed on von den Nazis. Die hatten die Lager…Judenältesten ernannt, und wahrscheinlich auch seine Helfer, oder Assistenten, und dann bestand eine ganze Bürokratie. Die ganze Bürokratie bestand darauf, die Aufträge der Nazis zu erfüllen. War natürlich ein großes Problem. Einerseits sich selbst am Leben zu halten – das verstanden wir –, andererseits auch soviel wie möglich für die Einsassen [meint: Insassen, Anm. d. Red.] zu tun. Und es war sozusagen eine no-win-situation. Denn entweder tun wir genau, was die Nazis wollen, oder beschädigen die Bevölkerung, oder die Einsassen [meint: Insassen, Anm. d. Red.], oder wenn wir nicht genau tun, was die Nazis wollen, werden wir umgebracht. Was auch regelmäßig stattfand. Innerhalb dieser Situation, die irgendwie im Hintergrund stand, und von der man wusste: Wenn jemand nicht genau befolgte, was die Nazis wollten, haben sie ihn ganz einfach abgeschleppt und umgebracht. Es war ein moralisches Problem für jemanden, von dem gesagt wird: „Du“, die Nazis sagen das, „Du, soundso, wirst jetzt das und das tun.“ Man hatte zwei Möglichkeiten: Ja, genau das zu tun, was erforderlich ist, oder zu sagen: „Nein, ich tue es nicht“, und das war sozusagen eine Form von Selbstmord. Das wird natürlich den Lagerältesten heute noch vorgeworfen, die hätten Selbstmord begehen sollen. Anderseits, wenn sie es nicht getan hätten…wenn sie Selbstmord getan hätten, wäre jemand anderer eingesetzt. Und dasselbe Dilemma würde fortbestehen. Es ist eine unhaltbare Situation. Glücklicherweise hatte ich nie die Notwendigkeit, auf so einem hohen Niveau zu funktionieren, es war immer nur eine Frage von kleiner Bürokratie, wo jemand plötzlich die Macht hatte, einen…Schubladen? Nein, wie?
PR: Schubkarren?
FT: Schubkarren, ja…zu erlauben, oder nicht zu erlauben. Es war nicht…oder, wenn ich eine neue Schaufel brauchte, musste ich zu jemandem gehen, und sagte: „Meine Schaufel ist kaputt.“ Der musste mir dann eine neue Schaufel verschaffen. Wenn er nett war, hat er sie gebracht. Wenn nicht, hat er mir Schwierigkeiten gegeben. [Lacht.] Ich hatte nie die Notwendigkeit, mit der Bürokratie selbst mich zu befassen. Aber jeder war sich dessen bewusst, wie die Situation war. Das, was auch immer offiziell erfordert wurde, bestand nicht, weil der und der es wollte, sondern weil von den Nazis geschoben wurde. Ich weiß nicht, wie man sich in so einer Situation benehmen sollte. Meine Antwort war – und ich glaube das war die Antwort meines Vaters –, nie sich in eine Situation bringen zu lassen, wo diese Alternative notwendig war. Dass…wenn man eine unbekannte Nummer ist, wird einem niemand sagen: „Tu das oder tu jenes“, oder… Aber wenn man sozusagen nur eine Nummer ist…ich glaube, das ist eine der Situationen, die in allen großen militärischen Organisationen kommt. Weil wenn man fragt: „Wir suchen eine Person, die Schreibmaschinen benutzen kann.“ Wenn man sich meldet, sagt er: „Gut, wir brauchen dich zum Klo…um die Toiletten zu putzen.“ Unbekannt zu sein, und sich nicht zu melden.
6/01:27:10
PR: Sie haben Ihren Vater erwähnt, aber Ihren Bruder…
FT: Das letzte Mal, als ich meinen Bruder sah, war am 3. Oktober 1941, als ich nach Lípa – Linden – abgeschoben wurde. Das war es. Nach dem habe ich ihn nicht gesehen, nicht gehört, und er wurde dann im Februar, irgendwann früh im [19]42, nach Theresienstadt gebracht, und von dort nach Treblinka abtransportiert. Das ist so ungefähr alles, soweit Kriegszeit in Frage käme. Ich habe natürlich manche Geschichten über meinen Bruder, aber die sind vor 1941.
PR: Wann haben Sie Ihren Vater das letzte Mal gesehen?
FT: Am Abtransport von Theresienstadt nach Auschwitz, das war…wann auch immer der Transport…ich habe die Transportnummer noch, man könnte das genau nachsehen. Irgendwann im Oktober [19]44.
PR: Das war sein Transport?
FT: Mein Transport. Denn erst wurde ich abtransportiert, und er dann nachher.
PR: Können wir vielleicht abschließend für die heutige Sitzung noch über diese Abtransportgeschichte, wie das bei Ihnen verlaufen ist, woran Sie sich erinnern können, reden?
FT: Man hat einen kleinen Zettel bekommen: „Stell dich ein, dort und dort.“ Und ich kann nicht genau…es war die Dresdner Kaserne im Hof, zu dem und dem Tag, mit so und so viel Gepäck, und im Transport…und das war alles. Der Transport wurde mit Viehwaggons, viel zu viele Leute in dem Waggon…und vollgepfercht. Und in meinem Waggon lauter Männer. Und wir waren circa drei, vier Tage von Terezín bis Auschwitz. Wir wussten natürlich nicht, wohin wir fuhren, aber man wusste die Direktion. Wir fuhren erst nördlich, wahrscheinlich durch die…wo die Elbe die Sudeten durchbricht, in der Richtung von Dresden. Und irgendwo dort nach dem Osten. Das ist alles, was wir in dem Augenblick wussten. Kein Wasser, keine Toiletten, kein…es war eine ziemlich schlechte Situation. Und kein Essen. Und wir hatten damals noch alle unsere Sachen, denn das Gepäck, das wir mit hatten…die meisten Leute hatten etwas zum Essen mit, so hatte ich. Und würden nicht verhungern, aber Wasser war nicht da. Bis wir dann in Auschwitz ankamen. Eine der schweren Reisen, an die ich mich nicht gern erinnere.
Ende von Teil 6
Teil 7
10. September 2008
PR: This is part six of an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on September 10th 2008, at Mr. Terna’s studio. Herr Terna, wir haben uns das letzte Mal über Ihre Abfahrt von Theresienstadt nach Auschwitz unterhalten. Hier sind wir stehengeblieben, können wir hier fortsetzen?
FT: Ja. Es war eine schwere Reise, und gepfercht, zu viele Leute ohne Essen, ohne Wasser, ohne Toiletten. Alles verhältnismäßig junge Leute. An dem Punkt waren die…Transport mit älteren Leuten schon weggefahren, aber ich weiß nicht, wer die Transportlisten zusammengestellt hatte. Wir waren meistenteils arbeitsfähige Leute, zumindest in dem Teil, wo ich mich befand. Und…wir wussten natürlich nicht, wohin wir fuhren, außer, dass wir wussten…wir fuhren nach dem Norden, voraussichtlich durch die Berge…ich weiß nicht, wie man das im Deutschen sagt, habe das schon vergessen. Wo die Elbe durch die Sudeten durchbricht. Und…nach Sachsen, und irgendwo voraussichtlich vor Dresden, oder in Dresden…es war auch teilweise schon Nacht, so wussten wir nicht genau, wo und wann wir waren…nach dem Osten abgedreht. Wir wussten…der Zug fuhr, nachdem wir nördlich fuhren, fuhren wir östlich – wohin wussten wir nicht, natürlich. Und kamen dann in polnisches Gebiet. Das wussten wir, weil schon die Wachmannschaft auf die Leute, die entlang der Bahn arbeiteten…hin und wieder fuhr der Zug ganz langsam. Und da waren die SS-Leute, die als Wachmannschaft mitfuhren, und ich weiß nicht, ob die da auch einen extra Waggon hatten. Aber ich wusste, dass die Lastwagen…hatten alle diese Bremsenmänner, die hatten einen eigenen Sitz. Dort waren wahrscheinlich die Wachmannschaften, mögen auch einen eigenen Waggon gehabt haben. Und die schrien auf die polnischen Bahnarbeiter und schimpften, offensichtlich ‚Saupolak’, und solche Sachen. [Lacht.] Und so wussten wir, dass wir im polnischsprechenden Gebiet waren. Offiziell war das dann schon, weiß ich nicht mehr, ein Teil Deutschlands, das wurde…der Teil Polens war schon politisch ziemlich administrativ deutsch, aber es waren überall Polen. Das heißt, es war nicht mehr Schlesien, nicht mehr deutsches Schlesien.
Während wir in der allgemeinen Gegend waren, plötzlich kommen etliche SS-Leute in den Wagen herein, denn sie konnten…von vorne und von hinten waren da Türen. Ich weiß nicht, wie die Türen funktionierten, wahrscheinlich waren das Lastwaggons, die umgebaut wurden, um auch Personen zu fahren. Ich weiß nicht, wie die hereinkamen. „Wer hat das Papier herausgeworfen?“ Niemand wusste, was…worüber. Jemand hat ein Papier herausgeworfen. Und es scheint, dass die besonders darauf achteten, dass niemand einen Brief hinterließ, oder einen Brief herauswarf. Es scheint, dass jemand da irgendein Stückl [Stück] Papier irgendwie herauswarf, aus dem Wagen. Wie er das tat, weiß ich nicht. Ein großes Geschrei im Waggon. „Wenn ich nicht sofort höre, wer das herausgeworfen hat, lege ich den ganzen Waggon um!“ Und wir sprachen…der Mann, der Tschechisch…einer sagte dem Mann, der das herausgeworfen hat: „Hör zu, was wird er großartig…er wird dir ein paar Ohrfeigen geben.“ Sagt er: „Ja, ich habe das gemacht.“ Daraufhin hat der Mann die Pistole genommen und ihn erschossen. Und dann jemanden, der da herumstand auch erschossen. Und da wusste ich, dass die Möglichkeit bestand, dass der ganze Waggon erschossen würde. Aber scheinbar war das genug für die, es…das hat mich, und den ganzen Waggon, natürlich gedämpft. Wir wussten, dass wir in keine gute Zukunft fuhren.
7/00:05:59
Kamen dann auch an, vorher wurden die Türen geöffnet, alles heraus, alles Gepäck liegenlassen, was ihr auch dort habt. Und ich habe dann einen Wasserschlauch gesehen, bisschen Essen hat er in Taschen gesteckt, und war dann auf dem Platz, von dem wir heute gute Nachrichten haben. Rechts und links Stacheldrähte, und Lichter, Massen von SS-Leuten, Hunde – und nun eine Allgemeinbemerkung: Nichts ereignete sich ohne großes Geschrei und viel Lärm. Wir waren auf der Rampe, und Männer eine Seite, Frauen die andere Seite – waren fast keine Frauen in unserem Transport, hauptsächlich Männer –, und langsam vorwärtsgegangen. Wir wussten natürlich nicht, was vorging. Und dann sahen wir rechts und links Häftlinge in Streifenpyjamas. Außerdem kamen Leute heraus aus…waren da Häftlinge, wahrscheinlich old timers, die schon etliche Zeit dort waren, und haben gesagt: „Schnell, schnell, schnell, und alles liegen lassen!“ Irgendwie hatten wir das Gefühl, dass irgendwas passieren würde. Und da die Leute sowohl auf beiden Seiten des Stacheldrahtes…Häftlinge in Pyjamas, gestreiften Pyjamas, wussten wir, dass wir unsere Kleider…was wir auch tragen würden, würde verloren gegangen sein. In dem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich nichts mehr haben würde, nachher. Was ich auch an Essen hatte, war eine Konserve oder so was, die noch irgendwie aus Theresienstadt mitging. Und meine Uhr, meine Handuhr…die haben alles über den Zaun geworfen, zu den Häftlingen. Und kamen dann zu – was wir heute wissen – [Josef] Mengele. Welcher von denen der Mengele war, weiß Gott wer. Ich wusste, dass wir sozusagen aufgeteilt wurden. Was mit denen passieren würde, die auf die Seite gingen statt auf jene Seite, das wussten wir natürlich nicht. Hat nicht lange gedauert, bevor uns bewusst war, dass da Krematorien waren, und, dass wir, die kleine Gruppe, die da herausgezogen wurde…wir haben dann einige der Leute…das war ein großer Zug, es waren circa 1.500 Leute…marschierten auf der anderen Seite hinter dem Stacheldraht. Leute die irgendwie…gerade sozusagen durch diese Prozedur gegangen waren, und schrien auf uns: „Boty, boty!“ – Schuhe – um zu zeigen, dass sie noch deren eigene Schuhe hatten.
7/00:10:03
Folglich wussten wir, dass alles weggehen würde, außer den Schuhen. Und was mit den anderen passiert war, damals, wussten wir natürlich nicht. Wir wurden in einen Raum gebracht, wo man uns die Haare geschnitten hat, ein Duschen, wirklich so ein Brausen, und herausgeworfen aus diesem Raum, und Kleider wurden…nicht verteilt, sondern zugeworfen. Ob groß, klein, ganz unwichtig. Sozusagen, wenn es dir nicht passt, tauscht es aus. Und das Ganze mit viel Geschrei, viel Schlägereien, schnell, schnell, schnell. Die Leute, unter denen wir waren, wurden dann abmarschiert, hatten dann schon unsere Pyjamas, und die Hosen, und so ein…nicht ein Mantel, sondern es war sozusagen ein Mantel, eine Kappe, eine Wollkappe, alles in gestreiften Pyjamas, mit gestreifter Häftlings…in der Uniform, ja, das ist, was es war. Und wurden abmarschiert in einen Teil von Auschwitz…wir wussten, damals wurden…langsam hat man Geografie erlernt. Wir sind jetzt in Birkenau, KZ Birkenau, und wir wurden abmarschiert in ein Lager, das, wie wir später herausfanden, das ,Zigeunerlager‘ war, das frühere ,Zigeunerlager‘ – oder noch damals unter dem Namen ,Zigeunerlager‘ bekannt. In eine der Baracken abmarschiert, und…da waren vier Etagen…ist das das richtige Wort für vier Niveaus? Nein. Wie nennt man das? Bettgestelle. Und sonst nichts. Nur Bettgestelle und Leute, vollgepfercht mit Leuten. Ältere Leute hat man natürlich unten, tiefer gelassen, aber da wir alle mehr oder weniger darauf herausgewählt wurden, dass wir auch arbeitsfähig wären. Aber während wir vor dem Mengele standen, mussten wir die Hosen herunterlassen, und sozusagen das Hemd aufziehen, um zu sehen, wahrscheinlich, ob die Leute noch…ob man auch schwere Verwundungen hatte, oder irgendwie physisch beeinflusst…nicht beeinflusst, sondern incapacitated? Handicapped…hat nicht einmal gefragt, was für Schule, was für Beruf, sondern physisch beisammen war. Glaube ich, das war das, was die Entscheidung hervorbrachte. Aber wenn jemand sehr intellektuell aussah, und sehr…sozusagen studios [studiert] war, wahrscheinlich hat sich das im Gesicht gezeigt. Wir wussten natürlich nicht, was vorging, und haben sozusagen versucht uns zu orientieren. Was geht eigentlich vor hier?
War eine sehr, sehr schnelle Umwandlung von Theresienstadt-Typ-Häftling zu Birkenau-type-Häftling. Selbst in Theresienstadt war man nicht direkt mit der SS in Verbindung. Mit Wachmannschaften kommt man ständig in Verbindung. Aber in Birkenau war es anders, da waren immer wieder Wachmannschaften herum, und auch Kapos. Kapos gab es nicht in Theresienstadt. Kapos waren eine Gruppe für sich selbst, und waren verschiedene Kategorien. Man hat das nicht gewusst, beim Ankommen.
7/00:15:31
Der Älteste, der Kapo in der Baracke, in der wir untergebracht wurden, innerhalb des Zigeunerlagers, war offensichtlich ein alter Häftling. Wir nahmen an, dass es ein Krimineller war, der sozusagen besondere Privilegien hatte. Er war nicht ein Jude, es war offensichtlich ein Deutscher, er sprach korrekt, akzentloses Deutsch – primitives Deutsch. Sprach es nicht, sondern brüllte nur, genau wie die SS. Nie wurde ein Häftling angesprochen, immer nur angebrüllt. Da war auch ein Schreiber, der auch scheinbar nicht ein Jude war, oder zumindest nicht offensichtlich. Die Juden hatten ein gelbes Dreieck, und ich erinnere mich nicht an den Schreiber. Aber der Barackenkommandant war der Barackenälteste…ich weiß nicht, Barackenkapo…hatte seine kleinen Freunde, es waren wirklich kleine Buben, Zwölf-, Fünfzehnjährige. Er war offensichtlich ein Homosexueller. Ob er auch als Homosexueller verhaftet wurde, oder nicht…ich glaube, er war ein Krimineller. Hat seine Buben gehabt, die auch in Strafuniform waren. Aber wir wussten uns nicht recht, was die Position, die Machtposition, der verschiedenen Leuten [waren]. Denn die Kinder, das waren ja noch Kinder, Zwölf-, Fünfzehnjährige…waren gut ernährt, rein und in physisch guter Verfassung. Und waren natürlich auch darin irgendwie in einer privilegierten Position. Ich weiß nicht die Machtverhältnisse innerhalb dieser Gruppe. Aber es waren gefährliche Kinder, das hat man schnell erlernt – sehr vorsichtig.
Es war nichts zu tun, während wir im Lager waren. Ich weiß nicht, wie viele Tage wir dort waren, in Auschwitz, im ,Zigeunerlager‘. Irgendwie die ganze Zeit ist etwas schummrig, und…was mir im Kopf übrig bleibt sind Bilder, visuelle Situationen. Leute in bunks, und besonders der Schmutz, und der Gestank. Denn während der Nacht konnte man nicht zu einer Latrine gehen, so waren hinter dem…an einem Ende der Gebäude waren Fässer, die ganz einfach als Toiletten dienten. Waren schnell überfüllt, überflossen, und der Gestank, und der Schmutz, und das Wasser, und…Urin…das sitzt mir noch sehr in der Nase. [Lacht.] Wie man wann aufwachte, in der Früh, kann ich mich nicht erinnern…um die Zeit. Aber alle heraus, und dann war Frühstück. Frühstück war schwarzes, heißes Wasser, das man Kaffee nannte, und wir hatten natürlich nichts zu essen, keine Essensgeräte. Da waren ein paar alte Konservenbüchsen…herumgereicht, die man sozusagen als Gruppe benützte. Aber man hat schnell gelernt, dass eine der wichtigen Besitzungen, die man brauchte, war eine puszka. Puszka ist das polnische Wort für „Büchse“. „Büchse“ im Deutschen ist auch ein Gewehr. Puszka in Polnisch ist auch ein Gewehr. Und für die Konservenbüchse. [Lärm im Hintergrund.] Und man brauchte auch einen Löffel um, was auch immer, dann nachher…das kam etwas später. Dann kam Essen, das waren gekochte Kartoffeln. Kleine, faule Kartoffeln, und…meistens Rinde, und ein bisschen Kartoffeln, und natürlich nichts, in dem man es essen konnte. Da hat man die Kappe benützt, um die Kartoffel zu bekommen. Das war alles, was zu essen war. Und einmal während des Tages wurde Brot verteilt. Das war ein Stück Kommissbrot. Ein kleines Stück. Aber da wir noch von Theresienstadt kamen, und sozusagen in vernünftiger physischer Situation waren, sind wir nicht sofort umgefallen.
7/00:21:42
Eine Sache, die wichtig war, war in der Früh: Das schwarze Wasser des Kaffee war gekocht. Folglich fanden wir es…das war das Wasser, das man brauchte, während des Tages. Natürlich war kein Waschwasser da. Aber während des Tages konnte man…innerhalb des Zigeunerlagers war ein Gebäude, das war eine Latrine, und ein langes Gebäude mit Zement, wo ein Balken war, an dem man saß und sich festhielt, um nicht hineinzufallen. Während wir dort waren, war die SS dort, und Kapos, und hin und wieder erwischten die jemand. Zum Beispiel erinnere ich mich, dass ein paar holländische Kapos kamen, mit SS, um jemanden zu finden, der scheinbar…bin mir nicht sicher, das habe ich alles nur…was einem dort gesagt wurde…jemanden verraten hatte, in Holland. Und den haben sie dann langsam, nicht schnell, sondern langsam, umgebracht. Mit Schlägen, und mit…und ich erinnere mich sehr scharf. Nicht zu stark…nicht zu schnell, so, dass er sozusagen langsam umgebracht wurde. Und psychologisch war es natürlich eine große Umwandlung. Ich war noch damals in einer Gruppe…wir haben meistens Leute aus Theresienstadt. [Lärm im Hintergrund.] Man nahm an, dass das vernünftige Leute waren, und man versuchte irgendwie zurechtzukommen: Was geht vor? [Lärm im Hintergrund.] Warum sind wir hier, anstatt – wie wir schnell lernten – ins Gas zu geschickt zu werden? Und es waren auch einige Leute aus dem Zigeunerlager, welche auch die anderen schon Muselmann nannten. Fast verhungert, die Leute, die seelisch abgedankt hatten. Und wir erkannten das sehr schnell, dass dies Leute waren, die ganz einfach seelisch keinen Widerstand leisten würden. Verkamen sehr schnell. Es waren praktisch schon eine Form von Geisteskrankheit, nehme ich an, aber die Einsicht kam erst viel, viel später. Ich weiß nicht, wie lange wir in dem Zigeunerlager waren. Es mögen drei Tage, zwei Wochen sein, ich kann mich ganz einfach nicht erinnern daran.
7/00:25:26
Daraufhin war plötzlich: „Alle antreten“, und ein Transport wird abgehen. Eine Sache, die man sehr schnell gelernt hatte war, sehr vorsichtig zu sein mit solchen Sachen, denn es mag nichts Anderes sein, als, dass die Leute einfach ins Gas abmarschiert wurden. Wir sahen aber, dass einige dieser Kinder – nicht Kinder, diese Protegés vom Barackenältesten, Barackenkapo – in der Gruppe waren, dass sie die Kapos in die Gruppe geschickt hatten. Und wir dachten, das ist kein gutes Zeichen, zwei Gründer dann eben ganz einfach loszuwerden, und eine neue Garnitur von Kindern zu finden. Anderseits mag da auch eine gewisse seelische Bindung gewesen sein, und, dass die wussten, dass das ein richtiger Transport ist, der aus Birkenau abtransportiert wurde. Ein Risiko. Aber was waren die Merkmale, die man…die Informationen, die man hatte, waren natürlich komplett unsicher. Man wusste nie, was ist Wahrheit, und was ist nur so Gespräch. Wir haben uns da…sind in der Reihe geblieben, anstatt zu versuchen, sozusagen aus dieser Reihe wegzugehen. Wiederum eine Auswahl – warte, mir fehlen schon die Worte. Vor einer Gruppe von SS-Leuten, welche gesagt haben, tauglich oder nicht. Natürlich, die ,Muselmänner‘ wurden auf eine Seite geschickt, und wir wurden dann auf die andere Seite geschickt, und auch in Waggons verladen. Das waren kleine Viehwaggons, und hereingepfercht, dass es kaum Stehplatz war. Wohin wir aber fahren würden, wussten wir natürlich nicht, wie lange wussten wir nicht. Kein Essen, kein Wasser, keine Möglichkeit einer Toilette, und der Zug fuhr ab. Wie lange der Zug dauerte, weiß ich nicht. Ungefähr drei Tage, vier Tage. Luft war ein Problem, denn die Waggons waren Viehwaggons, für, was weiß ich, sechs oder acht Pferde…aber die vergitterten Fenster, die hoch oben am Waggon waren, waren kaum genug, um zu ventilieren. Glücklicherweise war das schon Herbst, und die Temperatur war erträglich, obwohl es sehr, sehr heiß wurde innerhalb der Wagen. Wir sind nicht, sozusagen, an Hitze erstickt.
Der Zug fuhr weg, und wir warteten, wohin es auch fahren würde. Und fanden, dass wir durch Mähren durchfuhren. Irgendwo wurde durch…irgendwo bei Ostrau ist ein…das weiß ich heute…eine Mährische Pforte zwischen den Sudeten und den Karpaten, wo die Oder nach dem Norden abfließt, und die Morava nach dem Süden abfließt. Es ist eine der klassischen Invasionsrouten, die gehen zurück tausende Jahre. Fuhren durch Mähren durch, nach Österreich, das wussten wir; wir fahren nach dem Süden. Und hin und wieder standen wir in der Mitte der Gegend, ohne zu wissen, was vorging. Und eines Tages waren wir in Wien – oder nördlich von Wien. Und ich bin nicht sicher, ob das auch richtig ist. Ich glaube, dass wir den Stephansdom sahen, oder wir glaubten, dass es der Stephansdom gewesen wäre. Und auch Skelette von Metallsachen, das mag das Riesenrad gewesen sein, ich bin mir dessen nicht ganz sicher.
7/00:31:11
Aber man sah nicht genug, denn es waren nur Spalten zwischen den Brettern. Nun, versuchen Sie sich vorzustellen: Ein vollgepferchter Viehwaggon mit kaum Stehplatz, keine Toiletten, kein Essen, kein Wasser, kaum genug Luft, und Leute starben, brachen zusammen. Was auch immer am Körper funktionierte, dort…wir waren im stinkenden Waggon, stinkende Luft, und hat so lange gedauert, manche Leute starben. Wir fuhren dann entlang der Donau. Voraussichtlich Linz, wir waren nicht ganz sicher wo. Hin und wieder sahen wir Konzentrationslager. Ich glaube, wir fuhren bei verschiedensten Lagern…bei welchem wir waren, weiß ich nicht. Aber Lager waren leicht zu erkennen. Alles war verdunkelt, aber Lager hatten immer Wachlichter. [Lärm im Hintergrund.] Und Wachlichter gingen nur aus, wenn direkter Flugangriff war. Und kamen irgendwo an, Waggontüren wurden geöffnet, alle heraus, und wer auch noch…alle waren heraus. Ein paar, die tot waren, ließ man im Waggon, und wir waren in Kaufering Nummer Vier. Das wussten wir natürlich damals noch nicht. Nun in summa: Gestank, Geschrei, Brüllen, Brutalität, die nicht erklärt war. Wir wussten nicht, warum wurden Leute geschlagen…warum fing ein SS-Mann plötzlich an, mit einem Knüppel herumzugehen, um Leute zu schlagen? Ich glaube, dass das Ganze eine Politik der Nazis war, um Leute mürbe zu machen, sozusagen aus denkenden Leuten Sklaven herzustellen. Das heißt, Maschinen herzustellen. Während die selber schon Maschinen waren.
In Kaufering Vier…soll ich weitersprechen über Kaufering Vier? Kaufering Vier war eines der Außenlager von Dachau. Und eventuell – oder nicht eventuell, aber nicht viel später – wurden wir dann Sklavenarbeiter in einem Gebiet, das größere Untergrundfabriken baute. Lassen Sie mich noch ein bisschen bei Kaufering Vier bleiben. Wir waren damals nicht guter Verfassung. Ja, Kaufering Vier. Erst einmal…wie untergebracht? Es war wirklich nur ein Quadrat, nicht ein Quadrat, ein Rechteck, doppelter Stacheldraht, Wachtürme rundherum, und Erdhütten. [Trinkt etwas.] Excuse me.
7/00:35:36
Nun, Erdhütten waren Dächer, welche auf dem Boden standen. Und zwar hat man…waren zwei vertikale, schwere Balken…no, schwere Baumstämme. Querbalken…die über die Balken, und dann rechts und links kleinere Baumstämme, hin und wieder auch Bretter, um ein Dach herzustellen. In der Mitte, unterhalb der vertikalen Baumstämme…oder es war nicht nur Stamm…support. Strukturelle Form…war ein Graben geschaufelt, circa 60 Zentimeter tief, so, dass das Profil so war, dass rechts und links unterhalb des Daches flach Erdboden war, und dann unterhalb in der Mitte, war dieser Gehsteig. Nein, es war kein Gehsteig, es war eine…ich kann das zeichnen, aber…ein ausgehobener Gang. Und rechts und links, wo man schlief. Einige der Hütten hatten Bretter, nicht alle. Denn die Dächer waren nicht bedeckt mit Dachmaterial, sondern die Erde, die aus der Mitte, aus der Rinne, rausgeschaufelt wurde – aus dem Gang herausgeschaufelt wurde –, wurde auf die Dächer gegeben. So, dass da eine Schicht von erst einmal Brettern, und Zweige waren schon mehr…dünne Baumstämme, und über die kam dann diese Erdschicht. Die, ich glaube, zwanzig Zentimeter, 30 Zentimeter tief war, und auf die auch…gestampft, nicht um es locker liegen zu lassen, sondern um eine dicke Schicht zu machen. Nun war das sehr gut, wenn das Dach gefroren war, denn das machte ein solides Dach. Aber im Augenblick, wo die Körperwärme von Innen das Dach erwärmte, fing es an zu tropfen. Folglich waren die im Gebiet, wo man dann rechts und links schlief, mit dem Kopf, um sozusagen in den Winkel hinein…ist es Ihnen klar, wie das… Ja. Die Füße zu dem ausgeschaufelten Gang. In der Mitte waren ein Kamin, und ein Ofen. Ein gewöhnlicher Ofen, ein Holzofen. Nun, das war schon Winter. Die Berge, sozusagen, die…ich erinnere mich, wenn mehr…unter den Bergen ist das sozusagen ein Ab…unter den Alpen ist ein flaches Gebiet, das ist ein Material, das durch die [unklar] herunterkam, von den Alpen, war dort Flachland. Kaufering selbst war innerhalb des Lechfeldes. Das heißt, Kaufering ist ein Teil des Lechfeldes. Und das ganze Gebiet ist sogar eine geologische Form der letzten Millionen Jahren, wo die Alpen ganz einfach heruntergewaschen wurden…abwaschen…nein, das ist nicht das Wort. [Lärm im Hintergrund.] Ich suche deutsche Worte für Sachen. [Lacht.] Worte für englische Begriffe.
7/00:40:46
Die Sachen, die auf das Dach aufgeworfen wurden, waren nicht Erde, da war nur eine ganz dünne Schicht von Humus, das andere darunter waren Sand und Steine. Folglich, wann auch immer das Wetter nicht gut war, lag man unter einem Dach, welches ganz oft den Regen durchfallen ließ, als Wasser herunterkam. Folglich schlief man in Schmutz. Wir hatten damals noch alle die Pyjamas, und die Schuhe, welche uns in Auschwitz gereicht wurden, und wir wussten sehr, sehr schnell, dass Schuhe sehr, sehr wichtig sind. Irgendwie – und ich erinnere mich nicht, wie – fand ich meine eigene puszka, meine eigene Konserve, und auch einen Löffel. Und das war so ziemlich alles, was ich besaß an Lebensmitteln – nicht Lebensmitteln, an Utensilien. Wir wurden nicht sofort zur Arbeit eingesetzt. Wahrscheinlich waren sich die Leute bewusst, dass wir von Auschwitz die ganze Reise…Reise ist das falsche Wort. [Lacht.] Der Transport war nicht besonders geeignet, einen guten physischen Zustand zu bringen. Und sozusagen, um uns ausruhen zu lassen. Und innerhalb des Lagers waren…alles Leute, die irgendwie aus Auschwitz gekommen waren. Und das waren zum Teil Leute aus dem Protektorat, also Böhmen, Mähren, und auch lituanische [meint: litauische, Anm. d. R.] Juden. Wie diese Mischung zustande kam, weiß ich nicht. Die lituanischen [meint: litauische, Anm. d. R.] Juden sprachen Jiddisch untereinander, wir sprachen Deutsch und Tschechisch. Die Lagerkapos waren ungarisch. Das war schon Ende [19]44, und zu der Zeit waren schon die ersten Transporte aus Ungarn nach Auschwitz gekommen, und die Überlebenden dieser Transporte waren…irgendwie waren die innerhalb der Gruppe, welche die Lager um Kaufering herum aufbauten. Wurden dann auch Kapos in den Lagern. Eine Rasselbande, mit viel Erfahrung. Hatten die Nazis nicht nette Leute als Kapos eingesetzt, sondern Leute die sozusagen deren Brutalität bewiesen hatten.
7/00:44:55
Denke an Witze. Wir wurden eingesetzt zur Arbeit. Arbeit war…und das wurde eine…viel Zeit braucht, aber ich glaube, heute besteht ein Buch darüber, eine Dissertation, Edith Raim. R-A-I-M. Dr. Edith Raim hat eine Doktordissertation geschrieben, über die Arbeitslager von Kaufering und Mühlheim. Ich habe eine Kopie hier, ich kann Ihnen das auch zeigen. Ich habe dann die Dr. Raim getroffen, und…wo sie genau beschreibt, wie diese Sachen auch gebaut wurden. Ich kann es hier wiederholen, aber ist wahrscheinlich eine Duplikation, denn diese Dissertation sollte zugänglich sein. Ich kann Ihnen das Buch zeigen. Zwei…Bagger…wie nennt sich das, Schaufel? [Lärm im Hintergrund.] Wie nennt sich ein großes Instrument, eine Maschine, welche Schaufeln an einer Kette hat, und sozusagen eine Mulde ausschaufeln könnte? Sie müssen sich vorstellen, dass da rechts…zwei solche Mulden wurden ausgeschaufelt, und zwanzig, 30 Meter tief. Und was ausgeschaufelt wurde, wurde in der Mitte auf einen Berg geschaufelt, so, dass dann sozusagen eine lange Wurst war, die rechts und links ausgeschaufelt war, und dann einen Berg bauen. Eventuell wurde dann das…wie ich weiß, ist das auch so gebaut worden, circa sieben Stockwerke tief, als Fabrikgebäude.
[Übergang/Schnitt.]
Ende von Teil 7
Teil 8
FT: Kaufering war das schwerste Lager von allen. Denn wenn man Auschwitz, sozusagen den ersten…Birkenau, nicht Auschwitz…überlebte, dann war man im Allgemeinen nicht lange genug dort, um schwer zu leiden. Ja, aber wenn jemand in Auschwitz blieb, und das waren nur sehr, sehr wenige Leute, die starben sehr schnell. Es sei denn, dass sie einen Job hatten, so in Kanada [meint: Effektenlager des KZ Auschwitz, Anm. d. R.] oder sonst irgendwo angestellt, beschäftigt waren. Aber wenn man einmal die Ankunft überlebte, wurde man nicht sofort umgebracht, oder war man nicht in ständiger Todesgefahr. Wahrscheinlich mit Ausnahme der Mannschaften in den Krematorien, von denen wir natürlich damals gar nichts wussten. Wir wissen heute, dass die regelmäßig erschlagen wurden. Folglich, Kaufering war sozusagen, als Teilhaber, gefährlicher oder schwerer als andere Lager. Selbst in Kaufering – und das ist vielleicht eben einer der wichtigen Teile – bestand eine gewisse Zusammenkunft, nein…ein gewisses Verständnis innerhalb der Häftlinge. Dass wir zusammen in einer Situation sind, wo man nicht als Individuum funktioniert, sondern als Gruppe. Es war sozusagen…ein Gruppenbewusstsein entwickelte sich. Und wir waren meistens Juden. Nein, nicht meistens, alle waren Juden.
Der ursprüngliche Teil der Erstankömmlinge, die das Lager bauten, das waren Ungarn aus…kamen aus Ungarn. Wahrscheinlich aus Siebenbürgen, ich bin mir nicht ganz sicher darüber. Dann kamen wir, aus Protektorat Böhmen und Mähren, und eine Mischung von Leuten, die polnische…lituanischen [meint: litauischen, Anm. d. R.] Ghettos überlebten, und als letzte Gruppe kamen junge Leute aus Ungarn. Das heißt, wie Sie wissen, wie ich es weiß, Deportationen aus Ungarn fingen erst in 1944 an. Vorher wurden viele ungarische Juden in Arbeitslager geschickt, aber wurden nicht in Todeslager gebracht. Und die letzten Transporte, die in Kaufering ankamen, waren Juden, welche in den Transporten waren, welche nach Auschwitz gebracht wurden, und durch die Auswahl Auschwitz überlebten, und dann ankamen. Das waren verhältnismäßig junge Leute, die aus einem normalen – was auch immer damals als normal galt – plötzlich in ein richtiges Konzentrationslager kamen. Und die Leute waren seelisch nicht vorbereitet dafür. Eine unglaubliche Menge, prozentuell, starb sehr, sehr schnell. Und wir verstanden das nicht damals. Warum, wieso? Die hat es ganz einfach umgelegt, und gestorben. Ich glaube, dass es der seelische Hieb war, auf den sie nicht vorbereitet waren. Wir – wir, die ursprünglichen Leute – hatten zwei, drei oder mehr Jahre Konzentrationslagererfahrung, und wussten, wie seelisch mit der Situation zu leben. Unser Selbstbewusstsein wurde nicht zerstört. Unsere Ideologie wurde nicht zerstört. Viele dieser jungen ungarischen Leute, die gewöhnlich aus kleinen Städten kamen, waren noch gar nicht bereit, das zu erfassen. All diese Einsichten kamen natürlich erst langsam, waren nicht da im Augenblick. Unter den Ungarn, welche kamen, waren einfache Leute, aber auch einige Leute, oder etliche, welche eine gute Erziehung hatten. Und die überlebten es. Das heißt, irgendwie hatten die das seelische Geschick, oder die Perspektive zu sehen, was vorging. Und wurden zumindest nicht seelisch davon betroffen. Wenn jemand umgebracht wurde, kann man seelisch nicht viel dazu tun. Aber als, sozusagen philosophische Stellung, waren das schon geformte Leute, während viele dieser jungen Ungarn aus einem religiösem background kamen, und nicht wussten, was ihnen passiert war.
8/00:06:33
Während sich in Kaufering sozusagen langsam eine seelische Organisation formte…wir wussten genau, was vorging, außerhalb der Lager. Nicht präzise, aber wir wussten, dass in den ersten Monaten von [19]45…die Alliierten waren in Frankreich, waren am Rhein. Die russischen Truppen waren schon tief in östliche Gebiete, was damals Deutschland war, heutiges Polen. Wie weit, oder wie genau die Front lief, das wussten wir natürlich nicht. Aber es bestand gar kein Zweifel darüber, dass das Naziregime zusammenbrechen würde, und es nur eine Frage der Zeit war. Wir hatten keine Zweifel darüber…wäre lächerlich gewesen. Eine Sache, die wir immer wieder unter uns besprachen, war: Warum hören die den Krieg nicht auf? Es ist unvermeidlich, dass Deutschland von den Alliierten überlaufen würde, dass sie verlieren würden. Warum das nicht früher zu tun, als später? Und natürlich ist das etwas, das wir damals nicht verstanden, das auch vielleicht innerhalb Resteuropas nicht verstanden wurde. Was war die treibende Kraft der Nazis, bis zum letzten Augenblick? So eine Götterdämmerungs-Atmosphäre…eine dumme Ideologie, eine tödliche Ideologie. Was wir nicht wussten ist, dass so viele von uns das nicht überleben würden. Aber es bestand gar kein Zweifel darüber – unter uns –, dass die Befreiung nahe vor uns bestand. Persönlich konnte man nur wenig tun. Wir hatten, Kaufering hatte…was in dem Buch auch genau zu lesen ist…der durchschnittliche Nahrungsbehalt hatte 600 Kalorien. Was natürlich nur genug war, um noch ein paar Wochen, paar Monate zu leben. Und dazu kam natürlich noch zwölf Stunden arbeiten. Das waren zwei Schichten, eine Tagesschicht, eine Nachtschicht – jede zwölf Stunden. Dann marschierte man zum Arbeitsplatz, und vom Arbeitsplatz zurück.
8/00:09:58 [Übergang/Schnitt.]
Dann wurde man ununterbrochen gezählt. In Fünferreihen, man ging immer in Reihen von fünf, und die mathematischen Geschicke der Wachmannschaft waren nicht besonders hoch. Dass es zwanzig Reihen brauchte, um hundert Leute abzuzählen, das war schon an der Grenze der Intelligenz. Viele der Wachmannschaften waren nicht Deutsche, sondern Volksdeutsche, oder Leute, die aus dem Osten kamen, Ukrainer, die – was auch immer deren Motivierung war – sich als Deutsche erklärten, und dann in die Armee genommen wurden. Natürlich, die waren komplett unverlässlich, und außer um Juden zu bewachen, was einem Ukrainer ganz natural…sozusagen eingeboren war. [Lacht.] Und die Wachmannschaften waren sehr, sehr primitive Leute. Ja, unglaublich oft gezählt, immer wieder gezählt, neu gezählt. Denn dieselbe Nummer von Leuten, die hereinkam in das Arbeitsgebiet musste zurückgehen, dort wo…wenn so und so viele Lebendige, und so und so viele Tote. Es war sehr erschöpfend, denn man hatte dann mit all dem Zählen, Marschieren und Arbeiten fünf, sechs Stunden Schlaf, wenn man glücklich war. Man hat gelernt, dann während des Marsches zu schlafen. Marschieren und schlafen, zur gleichen Zeit.
Hunger war etwas, das ununterbrochen eine Belastung war. Und ich spreche jetzt ganz persönlich. Eine der Sachen…ich habe halluziniert, über Essen. Auch noch heutzutage, wenn in einer Situation zu viel Gewicht auf die Qualität des Essens kommt, fühle ich mich unbequem. Essen ist eine Notwendigkeit, Essen ist ein gesellschaftliches Zusammenkommen, aber das Essen selbst ist nicht wert, genau betrachtet…es soll gesund sein, genug davon, und sozusagen alles… Wann auch immer wir in einer Situation sind…wir waren in einer Hochzeit, letzten Freitagabend. Ich fühle mich sehr, sehr unbequem in so einer Situation. Das Essen ist da viel zu wichtig, der Wein, und die Blumen, und der laute Tanz nachher, deprimieren mich. Aber ich bin da. [Beide lachen.] Notwendig…meine Frau sagt: “Do not be morose.“ Und ich kann…während all das vorgeht, werde ich zurück ins Lager geschoben. Die Eindrücke schieben mich ins Lager zurück, ich kann nicht eins ohne das andere sehen. Arbeitskräfte…an der Arbeit…wenn Sie das Buch lesen könnten, gibt Ihnen das genaue Details…physische Arbeit. Zement zu tragen, Zementsäcke, Eisenstangen…
[Übergang/Schnitt.]
FT: Schaufeln tragen, Balken tragen, was auch immer an einer Baustelle vorgeht. Auch unter anderem, wenn man Glück hatte, war man damit beschäftigt, die Zementstäbe…sind ja nicht Stäbe…Stangen, schwere Stangen, sozusagen zusammenzuhalten mit Draht. Knoten, sonst fallt der aus…zu verbinden. Und das System bestand darin, diese Erdschicht, diese Sandschicht, welche aufgeworfen wurde von den zwei Systemen der Bagger, oder wie…das weiß ich nicht, das ist glaube ich auch ein deutsches Wort…um diesen Sandberg zu schaffen. Wurde dann als Form benützt, um eine dünne Schicht Zement aufzubauen, die dann genau geformt wurde, und die war dann auch sozusagen die Grundschicht, auf welcher der schwere Zement aufgebaut wurde. Und der war Meter und Meter dick, mit der Idee, dass selbst die schwersten Bomben nicht durchdringen würden. Nachdem die Schale, die große schwere Schale, beendet war, wurde der Sand, der diesen Berg baute, herausgenommen, oder herausgebaggert, mit kleinen Zügen, und über die Form verteilt, und so, dass dann…denn eine dieser Bauten wurde fast vollendet. So, dass es dann innerhalb der Gegend ein weiterer kleiner Berg wäre…sagen wir weitere Windung des Grundes. Und innerhalb der Fabrik…wenn das dann ausgehoben wurde, wären Stockwerke dort, und das waren Fabriken für Düsen. Messerschmidt, vergesse den immer.
8/00:17:23
Wir waren sozusagen in dem Stadium, wo die Mulde dieser Schale gebaut wurde. [Lärm im Hintergrund.] Es war Winter, schwerer Winter, der Winter [19]44/45 war ein schwerer Winter. Wir waren nicht genug bekleidet, natürlich unterernährt, und die Absicht der Nazis war wahrscheinlich uns ganz einfach auszuarbeiten, zu Tode zu schinden, und dann eine neue Schicht Leute hereinzubringen. Ich glaube, dass an einem gewissen Punkt die Nazis einsahen, dass kein Nachschub mehr da war. Dass die Leute, die dort waren, die einzigen Arbeitskräfte wären. Und das mag das Todschlagen vermindert haben. Ich bin mir nicht sicher. Die Leute, die als Aufsicht über die Arbeit waren, waren Leute von Organisation Todt [Paramilitärische Bautruppe.]. Und meistens ältere Leute, und die waren die…Vorarbeiter ist das falsche Wort. Aufsicht über die Sachen zu haben. Und selbst dort…weil wie viel Gewicht die Nazis auf das Bauen dieser Fabriken legten, weiß ich nicht. Aber immer wieder war genug Zement da, genug Eisen da, und natürlich am Anfang unbegrenzte Arbeitskräfte, die aber dann schnell verschwanden. [Lärm im Hintergrund.]
Ich glaube, dass für mich das Wichtigste…der wichtigste Teil von Kaufering war, was im Kopf vorging. Wir fragten uns nicht sehr über die technische…ob das auch technisch möglich wäre, oder nicht möglich wäre, sondern die Mechanik des Bauens war uns ziemlich uninteressant, auch elementarer. Aber wie halten wir einen seelischen Zusammenhang innerhalb der Gruppe? Ich wusste von vorher, wie wichtig es war einen Konsensus, ein Zusammenhalten der Gruppe, zu finden. Und da die meisten Leute ziemlich jung waren…eine Sache, die ich ständig betrieb…schon vorher war ich mir dessen bewusst…dass Schule weitergehen muss. Es bestand natürlich auch die jüdische Tradition: Man hört nicht auf zu lernen. Selbst am Abend, wenn wir in diesen Erdhütten zusammenkamen, wurde weitergesprochen. [Lärm im Hintergrund.] Auch wenn kein Licht da war. Das Motiv war: „Sage mir, was du weißt, ich sage dir, was ich weiß.“ Und: „Unterrichte mich in dem was du weißt.“ Ich habe das innerhalb einer kleinen Gruppe…wie viele Leute waren schon in so einer Erdhütte…versucht dieselben Leute zusammenzubringen, die ein gemeinsames Interesse hatten. Man konnte theoretisch nicht in eine andere Hütte gehen, aber das war nicht so schwer…sozusagen, um die Gruppen wieder zusammenzubringen. Denn die Kapos wussten nicht mehr, wer was war, und alle schauten gleich schmutzig und verhungert in den gestreiften Pyjamas aus. Die wussten natürlich nicht sehr genau, wer da war, und wer nicht da war.
8/00:22:00
Ich wusste damals viel über Geografie, Geschichte, und bisschen Soziologie. Und wenn ich über solche Sachen sprach, hatte ich eine Audienz – außer andere Leute hatten über andere Sachen gesprochen. Poesie, Musik, ein Theatervorsteller, der besprach wie eine Vorstellung zusammenzustellen. Es war etwas absurd, innerhalb eines Konzentrationslager unter verhungerten Häftlingen, sozusagen ein Seminar zu halten. Aber das ist, was es war. Aber es war unglaublich wichtig, denn es hielt unsere seelischen Kräfte zusammen. Ich glaube, dass wir uns dessen damals ziemlich bewusst waren, dass es nicht in unserer Kraft lag, physisch zu überleben, aber seelisch zu überleben. Wir sprachen, was auch nach dem Krieg sein würde. Immer sozusagen: „Wir werden zurück nachhause gehen.“ Für jemanden, der aus Lithuanien [meint: Litauen, Anm. d. R.] kam, war kein zuhause mehr. Theoretisch konnte ich zurück nach Prag fahren, wo ich zuletzt wohnte. Ob es auch jemand überlebt hätte, das wusste ich natürlich nicht.
Innerhalb der Lager…im Wesentlichen vier gewesen: Lípa, Theresienstadt, Auschwitz und Kaufering. Spät, im April…wir alle hatten Flecktyphus. Und wurden in einem Lager, Lager Nummer Vier, zusammengebracht. Nun die Nummern der Lager, in meinem Kopf, sind nicht unbedingt dieselben Lagernummern, wie in dem Buch. Aber ich spreche von den Lagernummern, so wie wir sie kannten. Ich war vorher im Lager Zwei, Lager Sieben, Lager Eins, und wir fingen an in Nummer Vier. Von Vier nach Zwei, nach Sieben, nach Eins und dann, als wir Flecktyphus bekamen, eben zurück im Lager Vier. Und ich glaube, dass die Nazis damals wussten, dass es notwendig wäre, Überlebende zu haben, um auch Arbeitskräfte zu haben. Folglich wurden wir nicht sofort ermordet. Und irgendwann Mitte April 1945 hörten wir schon die Kanonen, in der Nacht hörte man Artillerie. Folglich wussten wir, dass die Front nicht weit wäre. Und eines Tages – und ich weiß nicht das genaue Datum – kommt ein SS-Mann herein…mit anderen SS-Leuten, in die Hütte: „Alle raus!“ Nun waren wir…viele von uns konnten kaum mehr gehen, so geschwächt von Flecktyphus. Und der eine der Offiziere hat mein Leben gerettet. Hat mir eine Pistole unter die Rippen gehalten, und gesagt: „Auf!“ Und ich bin noch aufgestanden, und herausmarschiert. Ich habe nicht geglaubt, dass ich es tun könnte. [Lärm im Hintergrund.]
8/00:26:06
Um vorzugehen, wer auch immer nicht heraus, nicht aus dem Lager…die Nazis gingen mit Flammenwerfern durch, und haben alle Erdhütten, wo noch Leute dort waren…mit Flammenwerfern getötet. Außerhalb des Lagers waren die Stacheldrähte geschnitten, und, dass ein Geleise…nicht weit hinter dem Lager, standen Waggons und das Ganze ging vor während der Nacht. Ein Geschrei, Hunde, Schießen, Brüllen. „Schnell, schnell, schnell, alle in die Waggons hinein.“ An dem Punkt hatte ich Angst, dass man uns in den Waggons erschießen würde. Und ich fand ein Stück Metall, like that [Deutet Größe an.] Es war zufälligerweise am Boden, habe es mitgenommen, mit der Idee, dass sollten wir in die Waggons hineingepfercht werden, kann ich immer versuchen, ein Loch zu machen, um genug Luft zum Atmen zu haben. Denn ich hatte die Erinnerung an die Reise, an den Transport, von Auschwitz nach Kaufering. Und hineingepfercht wiederum, und die Waggons, das waren altmodische Lastwaggons, hatten Schiebetüren. Die Schiebetüren waren nicht auf Rädern, so wie sie heutzutage sind, sondern hatten Schiebetüren. Und während die versuchten…ich habe versucht einen Freund…ich brauchte jemanden, um aufzustehen. Habe den hineingeschoben, und bin dann nach…andere haben mich dann weiter hineingeschoben in den Waggon. Ich habe versucht am Rand zu bleiben, und während die versuchten die Türe zu schließen, habe ich das Stückl [Stückchen] Eisen da hineingeschoben, so, dass die Tür nicht ganz zugeht. Nicht um am Ende zu sein, sondern ganz einfach…waren circa zwanzig, 30 Zentimeter Platz. Großes Geschrei: „Alle heraus“, nein, „Alle bleiben drin“, wozu sind die Wachmannschaften da, und der Zug fing an…ging langsam weg. Der Zug fuhr.
Ganz kurze Zeit danach wurde der Zug von Fliegern angegriffen. Das war während der Nacht. Amerikanische Flieger sahen einen Zug von der Front weg, und haben das Logische getan, haben angegriffen, mit Kanonen. An dem Punkt nahm der Zug…verlangsamte sich etwas, ich weiß nicht warum, und ich nahm meinen Freund Tommy Mandel, warf ihn aus dem Waggon hinaus, und sprang nach ihm. Wir waren glücklicherweise auf einem…der Zug lief auf einem embankment, ich weiß nicht, wie das auf Deutsch hieß. Da es das Lechfeld war, war der Zug nicht direkt am Boden, sondern etwas auf einem Aufwurf…I do not know. Und sprang nach ihm. Das war noch Winter, war Schnee dort, folglich fielen wir beide in den Schnee.
8/00:30:17
Und während…die Flugzeuge kamen immer wieder zurück, und wir waren unter einem großen Baum. Und der Baum war im Schatten der Kanonen, oder was auch immer die da schossen. Andere sprangen auch herunter, und fielen an [einen] Rumpf, wurden verwundet, war ein Blutbad. Tommy und ich waren die einzigen zwei, die nicht verwundet waren – wahrscheinlich, vielleicht auch andere, aber ich weiß es nicht. Tommys Mantel war, wie wenn man mit einer Schere…hat man zerschnitten, ohne, dass Tommy einen Schnitt, einen Kratzer gehabt hätte. Dann bestand die Frage: Was tun wir jetzt? Und ich wusste damals – ich weiß nicht, ob ich es auch früher erwähnt hatte –, wann auch immer man irgendwo ankommt, versucht man die Geografie zu lernen. Wo bin ich? Was ist die Gegend? Was ist die geografische Situation? Und ich wusste, dass an der einen Seite ein Wald war. Ich wusste nicht, wie tief der Wald war, aber es war Winter. Das heißt, wenn wir jetzt in der Gegend gingen, nach Westen, sind wir in einem Wald, und mögen erfrieren oder verhungern. Wir müssen auf die andere Seite gehen, wo, wie ich wusste, Gebäude waren, und das Lechfeld. Sagte: „Vielleicht finden wir einen Schober, einen Heuschober, irgendetwas um ein Dach über dem Kopf zu haben.“ Und in der Mitte des Lechfeldes ist eine Landstraße, eine Hauptstraße, und wir wussten, dass wir das Feld überqueren müssten, und sichtbar wären. Und wurden auch prompt von einer Gruppe von SS-Leuten gefangen. Aber das waren junge Leute, das war Landsturm, so was. Unter der Aufsicht, so wie ich es in alten Zeiten sagte, eines alten Herren, an die 60 Jahre alt. [Lacht.] Die waren im Rückzug von der Front, offensichtlich gegen den Süden, in der Richtung der Alpen, und wir konnten natürlich nicht schnell genug gehen. Die hatten einen Schub…nein, Schubkarren ist nicht das Wort…so einen kleinen Wagen den sie schoben. Der war…irgendwo befreit. [Lacht.] Dann hatten sie Rucksäcke, und solche Sachen, und wollten uns erschießen. Daraufhin hat der alte Mann gesagt: „Das könnt ihr nicht tun, das ist gegen Kriegsrecht!“ Hat wahrscheinlich Angst gehabt, dass wenn der Krieg zu Ende ging…dass wenn er Zeugenaussagen hätte, dass er Leute erschießen ließ, wäre es ungesund für ihn gewesen. Sagte: „Ladet die zwei Kerle auf den Karren, und wir werden die loswerden.“
Wir waren nicht weit entfernt von was wir Kaufering Nummer Eins nannten. Da war ein Lager, das schon leer war. Administrative Gebäude, was auch immer so als Schuppen dort waren, brannten. Niemand im Lager, außer Wachmannschaften außerhalb des Lagers. Und die wussten nicht, was mit uns zu tun, waren wahrscheinlich sehr besorgt, selber wegzulaufen. Und dort wurde ich befreit.
8/00:35:11
Ich kannte Lager Nummer Eins, und wusste, dass zwei Gebäude dort waren, zwei Strukturen waren, welche auf Zementbasis gebaut waren. Das heißt Eins war, wo die Kessel, die Kochkessel, waren. Die andere Seite war wahrscheinlich ein anderes Gebäude, aber ich wusste, dass wenn man ins Lager schießen würde, dass sozusagen die Zementwand einen schützen würde. [Lärm im Hintergrund.] Habe da auch auf…es war schon Winter, und auch schon Fetzen und allerhand, sagen wir: Chaos. Habe Zweige – und was auch immer noch dort war – genommen, um an der Wand mich zu verstecken. Dasselbe mit Tommy Mandel. Und wie lange ich dort war, weiß ich nicht. Ich war schon ziemlich schummrig, hatte nicht gegessen, seit Gott weiß wie lang, und schaute heraus. Nun wiederhole ich, was ich woanders gesagt habe: Schaue heraus und sehe Italiener. Wo kommen die Italiener her? Die großen Helme. Das waren italienische Formen von Helmen. Dann hören die jemanden Englisch sprechen. Hat bei mir im Kopf nicht funktioniert, Italiener die Englisch sprechen. Es waren die ersten Amerikaner, die ich sah. Und was ich mich erinnerte an Amerikaner, waren diese Essschalen während des ersten Krieges [Ersten Weltkrieges], die ich von movies mich erinnerte. Ich hatte noch nie einen amerikanischen Soldaten gesehen. Dort wurde ich befreit. Das ist noch eine andere Geschichte.
PR: Darf ich Ihnen noch zu dem, was Sie mir--
FT: --27. April 1945. Meinen richtigen Geburtstag ignoriere ich. Nicht den 27. April.
[Übergang/Schnitt.]
17. September 2008
PR: This is part seven of an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on September the 17th 2008, at Mr. Terna’s studio. Herr Terna, wir haben das letzte Mal aufgehört, als ich Ihnen ein paar Fragen stellen wollte, zu der Zeit bis zur Befreiung, die Sie mir geschildert haben. Und zwar haben wir das letzte Mal über die Zeit bis zum 27. April 1945 geredet. Da wollte ich Ihnen noch einige Fragen stellen, zu dem was Sie mir erzählt haben. Und zwar haben wir uns über den Bewusstwerdungsprozess der Existenz von Krematorien unterhalten. Da würde ich Sie gerne fragen: Wann ist Ihnen das erste Mal bewusst geworden, was eigentlich in diesen Lagern geschieht?
FT: Nun, da muss man präzise sein, über welches Lager wollen Sie sprechen? Über Auschwitz?
PR: Konkret über die Vernichtung. Wann ist es Ihnen bewusst geworden, dass so was wie…
FT: Erst knapp nach der Ankunft. Und sogar bis zu dem Augenblick, wo man bei Mengele…wenn er es war, der da die Selektierung machte…wusste ich nicht…glaube, dass niemand wusste, was auch eigentlich in dem Augenblick geschah. Das heißt, als man gesagt hat, diese gehen auf die eine Seite, die gehen auf die andere Seite. Erst nachdem wir durch die Brausen gegangen waren, Entkleidung, und Häftlingsuniform, die gestreiften Pyjamas bekamen, dann wurde uns bewusst, dass wir es wirklich überlebt hatten, während die anderen vergast werden würden. Das kam ziemlich schnell, durch die anderen Häftlinge, die um uns herum waren. Das waren Leute, die schon etliche Zeit in Auschwitz waren, und uns gesagt haben: „Ja, ihr seid nicht durch den Kamin abgegangen.“ Es hat eine Weile gedauert, bevor wir uns dessen bewusst waren, was da eigentlich vorging. Und irgendwie war die Idee, dass jemand ganz einfach ankommt, umgebracht wurde, und verbrannt wurde…das war so überwältigend, dass man es nicht ganz durchgedacht hatte. Und die Mördermaschine war offensichtlich, aber der seelische Eindruck, der Gedankeneindruck, war sozusagen oberflächlich. Und warum so etwas bestand…
8/00:41:19 [Übergang/Schnitt.]
Was da vorging, war sozusagen technisch erfassbar, aber der seelische, oder Gemütseindruck, das hat noch längere Zeit gedauert. Ich glaube, es hat wahrscheinlich bis zum Kriegs[ende]…nach dem Krieg ist das erst, sozusagen…eingesunken? Nein. [Lacht.] Das ist das falsche Wort. Es ist man sich dessen bewusst gewesen, wie umfassend, wie überwältigend, die Nummern waren. Dass Auschwitz auch nur eines der Vernichtungslager war. Der Übergang war sehr langsam. Das war sozusagen sehr persönlich. Familien, wo der Eine auf die eine Seite ging, die Andere auf die andere ging. Ich glaube nicht, dass das zu vollem Bewusstsein kam. Und ich dachte natürlich an meinen Vater, der noch damals…im Augenblick, wo ich in Auschwitz ankam, war er noch theoretisch in Theresienstadt. Ich weiß nicht genau, wie lange es dauerte, bis er fuhr…auch er umgebracht würde. Ich wusste nicht, was meinem Bruder passierte, aber das alles war irgendwie ferngehalten vom Gedankengang, von der Reaktion. Es war ein…ich müsste das Englisch irgendwie sagen. There was a reluctance to accept it. There was a certain numbness of emotions. And perhaps a necessary one. Since taking full account of it would have required a stand that was not available to us. Macht es was, dass ich hier Englisch weiterspreche? Wie erfasst man so etwas? Unsere Erfahrung war…würde ich sagen, die jüdische Gemeinde, oder was auch immer…als jüdische Gemeinde innerhalb des Deutschen Reiches bestand. Wir hatten keine Erfahrung von diesen Sachen. Unsere letzte Erinnerung an Judenverfolgungen, im großen Ausmaß, war die Ukraine. [Bohdan] Chmelnyzkyj. Um 1648 so ungefähr. Und ja, wir wussten, dass hin und wieder Pogroms waren, wurden Juden getötet, 50, 100, 200. Aber die Gemeinde hatte es überlebt. Ist eine Dimension der Begebnisse, für die wir seelisch, oder geistig, nicht vorbereitet waren. Man wusste, Transporte gehen 90 Prozent ins Gas. Aber das war sozusagen eine intellektuelle Reaktion, aber nicht eine seelische. Beantwortet das ungefähr? [Lacht.] Ja.
8/00:45:35
Im Allgemeinen hat es sehr, sehr lange gedauert, wirklich bis nach dem Krieg, um seelisch zu erfassen, was da vorgegangen war. Und das ist ein Problem – war damals ein Problem, ist auch heute noch ein Problem. Wieso? Warum? Das ist eine der Fragen, die wahrscheinlich nicht so schnell beantwortet werden wird…wird beantwortet. [Lacht.] Gott, mein Deutsch geht schon zum Teufel. [Lacht.] Alright. Es ist das Alpha und Omega der ganzen Geschichte: Wieso? Und was soll man tun, damit es nicht mehr passiert? Dass es passiert ist, ist akzeptiert. Akzeptiert in dem Sinn: „Ja das passierte.“ Wie stellt man sich dazu? Das ist eine andere Frage. Natürlich sehe ich – und das spricht nur für mich selbst –, was auch immer vorgeht in der Welt, politisch…zum Beispiel im Augenblick die Wahlen, sehe ich alle die Begebenheiten unter dem Licht der Erfahrung. Zum Beispiel erkenne ich diese…what her name is, candidate for vice president [meint: Sarah Palin, Anm. d. R.]. Ich erkenne die, ich habe diese Geisteslage bemerkt…erkannt. Die spricht genauso, wie eine Konzentrationshäftlingswächterin, dieselbe kind of Ideologie, starr, genau gewusst, was von ihr erfordert wäre, ohne darüber nachzudenken, und im Grund dumm. Boshaft und dumm. Hier habe ich eine campaign speech gehalten, über die laufenden Wahlen. [Lacht.] Aber ich sehe alle diese Stellungen, diese Positionen, im Lichte meiner Erfahrung. Ich glaube, dass das in vieler Hinsicht auch für andere gelten würde. Wie viel weiß ich natürlich nicht. Aber für mich ist das ausschlaggebend. Das heißt, wie würde so eine Person sich in der Situation benommen haben? Und wenn sie eine Deutsche gewesen wäre, weiß ich genau wo sie wäre. Sie haben andere Fragen. [Lacht.]
PR: Sie haben mir das letzte Mal von dem Kapo, und von den Helferleins erzählt, von diesen…Sie haben sie gefährliche Kinder genannt, die--
FT: --ja, diese kleinen Buben, so zwölf, zehn…Zwölfjährige. Wir haben das ganz einfach gesehen, ohne zu wissen, was da das genaue Verhältnis war. Waren das homosexuelle Spiel…sozusagen Buben, die normalerweise in der Richtung sich entwickelt hätten, das weiß ich natürlich nicht. Haben natürlich extra Essen bekommen. Für das extra Essen haben viele Leute sehr viele Sachen getan. Ob da auch ein homosexuelles Verhältnis war, weiß ich nicht. Ich nehme es an, aber habe keinen Beweis. Anderseits sehe ich heute, oder sah ich damals nicht genau, aber hatte das Gefühl, dass selbst die Kriminellen, welche Barackenälteste waren, so wie zum Beispiel der in der Baracke, in welcher ich war…es waren sozusagen deren Familie. Das heißt, die Barackenältesten wussten, dass eine Gruppe hereinkommt und wieder weggeht. Es war keine Bindung da. Außer deren Pflicht, unter den Nazis grausam, und was auch immer selbst noch mit der Stellung zusammenhing, brauchten wahrscheinlich auch eine seelische Bindung. Man kann nicht…selbst ein Mörder braucht eine seelische Verbindung. Man kann nicht 24 Stunden lang Leute totschlagen. Das ist sozusagen…so funktioniert der menschliche Geist nicht. Eine gewisse Notwendigkeit, ein gutes Verhältnis zu haben, ist wahrscheinlich die Antwort zu den Buben. Dasselbe ging für die SS-Leute, welche Hunde hatten. Das waren deren Freunde. Und…menschliche Seele ist ein kompliziertes Stück.
8/00:51:33
So, nun Kapos. Kapos kamen in verschiedenen Schichtungen. Wichtige Kapos, unwichtige Kapos und meistenteils Leute, die kriminell irgendwie belastet waren. Das war deren natürliche Entwicklung. Ich habe nie von einem Kapo gehört, der Hochschüler gewesen wäre. Sie sind alles gewöhnliche Leute, die die Gelegenheit erfassten, um etwas mehr Essen zu bekommen, mehr Macht zu haben, und wahrscheinlich auch, sozusagen, einen seelischen…perceived a mental reward. Dass dieser Ochsenkutscher plötzlich Macht hatte, um über Leute zu entscheiden, die offensichtlich weit über seinem intellektuellen, wahrscheinlich auch gesellschaftlichen, Niveau standen. Es war eine gewisse Genugtuung, um mal diesen hochnäsigen Besserwissern zu zeigen, wer da auch am Ruder war. Das ist auch [Sarah] Palin, die vice Präsidentin [meint: Vizepräsidentschafts-Kandidatin, Anm. d. R.]. Ich sehe die in demselben Licht. Kapos, manche waren anständig, halbwegs anständig. Wenige. Besonders in Auschwitz waren die meisten Kapos aus dem Osten. Polen oder Ukraine. In Kaufering waren sie hautsächlich Ungarn, weil Kaufering Ende [19]44 eröffnet wurde…wenn das das Wort, vielleicht…angefangen hat. [Lacht.] Damals kamen die ersten Transporte direkt aus Ungarn, und: Wie wurden Kapos ernannt? Ich weiß das nicht, aber ich denke daran, dass selbst innerhalb der gemacht…nur die Struktur der Lager. Das ist eine der Sachen, die der SS klar war. Man kann nicht einen erzogenen Mann, oder eine erzogene Frau, als Kapo ernennen. Die wären barmherzig und einsichtsvoll – falschen Leute. Der Ochsenkutscher, der primitive Landarbeiter. Wenn er schreiben kann, großartig, kann er nicht schreiben, wir werden ihm einen Schreiber zustellen. Schreiber waren schon Leute, die ein bisschen Erziehung hatten. In jeder Baracke war auch ein Schreiber. Wie weit die intellektuell entwickelt waren, weiß ich nicht, habe nicht genug Verbindung mit denen gehabt. Aber ein Schreiber hat Namen aufgeschrieben, hat zumindest schreiben können. Wahrscheinlich auch Nummern…und im Notfall konnte er auch noch addieren, und Division glaube ich nicht. Aber sozusagen, sie hatten eine gewisse Erziehung. Kapos kaum. Sollten die es haben, haben sie es gut…they hid it well. Es fehlen mir schon Worte. Ja, nächste Frage. [Lacht.] Habe ich das über die Kapos darauf geantwortet?
8/00:56:16
PR: Als Sie von diesen gefährlichen Kindern gesprochen haben, haben Sie gesagt, dass Sie im Laufe der Zeit dann dort relativ schnell erlernt haben, dass diese Kinder gefährlich sind.
FT: Weil sie komplett unter der Fuchtel der Barackenkapos waren. Und man war vorsichtig…den Kindern aus dem Weg zu gehen. Denn der Kapo hat Macht über Leben und Tod gehabt. Der Barackenälteste. Denn der war in Kontakt mit der Wachmannschaft. Wenn ihm jemand nicht zugesagt hatte, hat er ihn ins Gas geschickt. War einfach vorsichtig. Wie man das erfunden hat, weiß ich nicht. Aber die Kinder waren frech, und stolzierten durch die Baracke. Und ich glaube, das waren Zwölfjährige, und, dass das auch eine gewisse Genugtuung war, erwachsene Leute, die sozusagen Vaterfiguren wären, denen einmal zu sagen: „Tritt zur Seite und gib mir dies, und mach mir jenes.“
PR: Weil wir uns schon vorher über die ungarischen Juden, die dann gekommen sind, unterhalten haben: Sie haben das letzte Mal, als Sie von diesen ,Muselmännern‘ gesprochen haben, mehrmals erwähnt, dass die seelisch gebrochen waren. Und Sie haben ja den Geisteszustand von denen auch mit einer Form von Geisteskrankheit verglichen. Sie haben gesagt, dass diese Einsicht aber erst später gekommen ist. Können Sie mir über das ein bisschen…
FT: Wir dachten darüber nach, damals. Wieso? Das sind doch Leute, die physisch in einem guten Zustand waren. Das heißt, sie waren nicht verhungert, die hatten noch genug Muskeln, und…dünn und hungrig, aber nicht physisch verkommen. Wir wurden langsam dünner und dünner, und konnten sehen, wie die Muskeln schrumpften. Wir fragten uns wieso. Woher kommt das? Ich weiß nicht, wann diese Einsicht kam, dass diese Leute den Übergang vom Zivilleben – was auch immer damals noch als Zivilleben galt – ins Lager, dem nicht gewachsen waren. Wir waren in der Hinsicht glücklich, dass wir…besonders ich persönlich…dass ich sozusagen langsam in diese Situation kam, und nicht plötzlich aus mittelmäßigem Mittelstand, Haushalt, plötzlich in ein Lager kam. Ich glaube, der Übergang hat…den konnten die ganz einfach nicht verarbeiten. Wann diese Einsicht kam, weiß ich nicht.
8/01:00:20
PR: Um jetzt auf Kaufering selber sprechen zu kommen: Sie haben das letzte Mal auch von einer Form von Gruppenbewusstsein in Kaufering gesprochen. Können Sie mir über dieses Gruppenbewusstsein etwas mehr erzählen?
FT: Ja. Unter alten Häftlingen – alter Häftling ist jemand, der nicht gerade angekommen war – bestand eine Verbindung, die aus alten Zeiten stammte. Das heißt, als Gruppe wussten wir, wer wir waren. Um uns herum eine…ich suche die richtigen Worte…ich muss Englisch…ich denke schon Englisch. [Lacht.] That there was a set of values, that was totally antagonistic to what we had grown up with as a value system. And that awareness was not spelt out. But we were living with a behavior system that went back. And so we said, „Please“, to each other, and „ Thank you“, and were very, very polite. It was never, „Hey you“, but „ May I talk to you? “, and, „ What is your name? “ That is: we saw each other as people under stress, but as the different world…ethically and sociologically, we found ourselves in a terrible situation. But the awareness remained that we were of a certain emotional and intellectual configuration. And that the camp is not going to change it. On the contrary, if somebody flipped, and suddenly became a proverbial prisoner, it showed that that person had acquired the ideology of the Nazis. That that person had been put into the category that the Nazis wanted him to be. And these people were by and large…bless you [Interviewer niest.]…ostracized by the group. Not openly so, but it did not take too long to get that idea. And such a person, by and large, lost its group support. [Seufzt.] When there was danger – and there always was danger –, that person would not be warned. When there was some kind of a small…a plus…that person would not be included. Now, there was a constant shifting of the group. One did not stay for a long time in the same group, because people moved from camp to camp, and groups reformed themselves. But somewhere there was a degree of interchangeability. No matter which group you were in, one sense: this is my group, my people. Some of them may not have been so, but they conformed in that group. So, there was hardly any violence among prisoners. Hardly any. I mean that particularly was true in Terezín – Theresienstadt –, where there was no violence among inmates.
8/01:05:08
So group cohesion was there, and it was…ich kann auch wieder Deutsch sprechen. Selbst innerhalb der Gruppe hat man sich gegenseitig Geschichten erzählt, oder einander unterrichtet. Und ich habe natürlich immer wieder angefangen eine Schule…nicht eine Schule, sozusagen, Gesprächskreise zu formen. „Sage mir, was du weißt, ich sage dir, was ich weiß.“ Politik wurde selten gesprochen, würde sagen wir waren alle derselben Ansicht. Was besprochen wurde: Was sind die letzten Nachrichten über den Krieg? Wo sind die Alliierten heute? Ja, das wurde gesprochen. Aber sonst waren es Themen, die uns interessierten. Und Leute sprachen über deren Berufe, deren Umgebung. Jemand kam aus einer Gegend – ich glaube, es war Siebenbürgen –, und sprach Deutsch, fließendes Deutsch. Wieso? Es war eine Bergbaustadt. Das heißt, irgendwie war er verbunden mit Schürfen und Mineralen. War hochinteressant. Nun war nicht viel Energie da, war auch nicht Zeit. Wir kamen in die Baracken zurück, todmüde. Aber es war auch ein…etwas, das wir automatisch taten. Ich glaube, dass das die Zeit war, eine Gruppe zu bilden. Und trotzdem schlafen sehr, sehr wichtig war, war das Bewusstsein da: Das ist wichtige Zeit.
Nun, ich war während der ganzen Zeit unter Leuten, die Tschechisch sprachen, das heißt Theresienstadt-Leute. Oder Leute, die von Theresienstadt kamen. Ein wesentlicher Teil des Kaufering-Lager waren Leute aus Böhmen und Mähren, zweisprachig, und dann später auch Ungarn. Mit den Ungarn war kaum eine Verbindung, denn die sprachen nur Ungarisch. Besonders die, welche aus dem östlichen Teil Ungarns kamen. Leute, die aus Budapest kamen, die waren alle zweisprachig, dreisprachig. Jiddisch war noch eine der Gebrauchssprachen im Lager. Aber im Allgemeinen waren es vier Sprachen: Tschechisch, Deutsch, Ungarisch, und Jiddisch. So wurde ziemlich viel gesprochen. Ich glaube, dass der Zusammenhang der Häftlinge…das heißt, die soziale Gruppierung der Häftlinge, ist kaum beschrieben. Ich weiß nicht warum. Ich glaube, dass es ein wichtiges Thema wäre. Wie formt sich eine Meinung, ein Konsensus innerhalb einer so komischen Gruppe? Und doch war es da. Es waren Kleinigkeiten. Schuhe waren immer außerordentlich wichtig. Und man hat sich…Leute wussten immer wie Schuhe zu reparieren. Es waren Holzschuhe mit Holzsohlen, mit ein bisschen Leder darüber, oder Leinwand…kein Leder. Die meisten waren Lappen. Und wenn man auch mit diesen Sachen durch den Schnee ging, vom Lager zum Arbeitsplatz, war ein schwerer Marsch. Wenn jemand stolperte, und einen Schuh verlor, sofort hat man die Schuhe gerettet. Wenn jemand stolperte, und nicht mehr gehen konnte, irgendwie hat jemand den, sozusagen, unter den Arm…einer rechts und einer links…und ihn weitergezogen. Denn, wenn er zurückgeblieben wäre, wäre er wahrscheinlich erschossen worden. Das war eine automatische Reaktion, darüber hat man nicht diskutiert, darüber hat man nicht sprechen müssen, so passierte es. Nächste Frage. [Lacht.]
8/01:10:47
PR: Was mich jetzt noch interessieren täte, in dem Zusammenhang: Sie haben das Gruppenbewusstsein von einer Gruppe, zu der Sie dazugehört haben, beschrieben. Sind Ihnen andere Formen von Gruppenbewusstsein aufgefallen? Die--
FT: --es war nicht genug Zeit, um auch andere Gruppen zu finden. Sollten diese bestanden haben, ich weiß nicht. Eine der Sachen, die wichtig ist, die immer wieder gefälscht werden: Religion. Und ich sage, innerhalb von drei Jahren, sechs Monaten, drei Wochen und zwei Tagen, habe ich niemanden beten gesehen. Nun habe ich etliche tausende Juden in den Gruppen gesehen. Das heißt, jeder der religiös wäre, wäre ausgelacht worden. Als etwas dumm, oder ganz einfach nicht dazu passend. Es geschah jedoch, besonders später in Kaufering, nicht in Auschwitz – ich erinnere mich noch, nicht in Auschwitz –, dass Leute plötzlich religiös wurden. Das heißt, irgendwie versuchten, Gott zu finden. Für uns war das ein Zeichen des nahen Todes. Jemand, der ganz einfach seelisch aufgab, und sagt: „Gott, kümmere dich um mich. Ich will nicht mehr.“ Eine Art Selbstmord. Wir waren uns dessen gut bewusst, und haben dann mit den Leuten gestritten, und gesagt: „Du bist ein Trottel, und das, was du da machst. Du musst dich aufraffen, musst dich zusammennehmen, und mit der Situation handeln, und nicht versuchen, dass irgendein imaginärer Gott dir helfen würde.“ Wo war der, wenn wir ihn brauchten?
Das bringt mich zu [Papst] Pius XII. Sozusagen die Verbindung in meinem Kopf. Es gehört nicht dazu, aber… [Lacht.] Eine der Sachen, die wir immer wieder diskutierten, war die Stellung der Kirche. Nun waren wir – wir Häftlinge – im Wesentlichen – außer Auschwitz, und selbst dort war natürlich polnisches Gebiet – in katholischen Gegenden. Die meisten unserer Kommandanten, deren Henkersknechten und so, waren alle Süddeutsche. Österreicher im Wesentlichen, und natürlich alle Katholiken. Und wir waren nicht antikatholisch, sondern wir hatten uns gefragt: Wie passt das zusammen? Unsere Ansicht über Pius XII. war, dass er die Macht hatte, die Nazis zu stoppen. Einem gewissen Punkt mag es schon schwer gewesen sein, aber wenn er 1938/39…der Papst gesagt hätte: „Wer auch immer die Nazis unterstützt, ist exkommuniziert“, das wäre das Ende des Nazismus gewesen. Aber das hat er nie getan. Oder offen gesagt: „Es ist Kirchendoktrin, man tötet nicht Leute!“ Das hat er nie getan. In der Hinsicht beschuldige ich ihn, beschuldige ich ihn sehr. Dass er hier und dort ein paar hundert Juden, vielleicht sogar paar tausend Juden gerettet hätte, zählt nicht. Er hatte die Macht, aber nicht den Willen, und das war politisch.
8/01:15:36
Natürlich, die Kirche war wichtiger als Menschenleben. Ja, so waren Geistliche, die…[Maximilian] Kolbe, Vater Kolbe, der kommt mir jetzt in Kopf. Aber das waren Einzelne, aber als politische Organisation war Pius XII. a disaster. Und ich glaube, dass er es nicht verdient…nicht einmal als…ich weiß nicht, wie die Gradierungen von Heiligen sind…blessed, weiß nicht…nein, ich kenne mich da nicht so genau aus. Aber ein Opportunist, machthungrig, ein typischer Papst-Politiker. Mit Glauben nichts zu tun. Doktrin, ja. Aber so…das ist mein Kommentar, weil im Augenblick besteht die Richtung, ihn zu rehabilitieren. Ohne mich. [Lacht.] Aber wir waren uns dessen bewusst. Nicht, dass der Papst – politisch – die Nazis unterstützte…das war eine politische Sache. Aber wir waren froh, dass er nicht mehr antisemitisch war, or antijüdisch war, als er war. So sagten wir uns: „Ja, er könnte schlechter sein“, aber es schien sehr schlecht, so wie die Situation ist. Aber, thank God he is not worse. [Lacht.] Alright…auf diesem Umweg kommen wir zu einer anderen Frage. [Lacht.]
Ende von Teil 8
Teil 9
PR: Wir sind dann das letzte Mal…das war jetzt die letzte Frage, die ich gehabt hätte, zu den Dingen, die Sie mir das letzte Mal erzählt haben. Wir sind dann vergangenes Mal bei der Befreiung stehengeblieben. Wenn es für Sie irgendwie okay ist, würde ich da jetzt gerne fortsetzen.
FT: Ja.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Von der Befreiung an…ich hatte Ihnen erzählt, dass die Amerikaner mich befreit hatten. Und das Erste, was die taten, war, noch innerhalb des Lagers – das heißt, es war Kaufering Nummer Eins – waren ein paar Überlebende. Amerikaner kamen, und ich war zu dem Augenblick sehr seelisch in…hatte ich mein Gleichgewicht kaum noch da. Und ich wusste…eine der Sachen, die ich wusste, war, dass man nicht essen darf. Ich hatte von Leuten gehört – als ich noch jünger war –, die aus russischer Gefangenschaft nach dem Ersten Weltkrieg, plötzlich zu essen anfingen, und starben. Weil ganz einfach der Körper nicht bereit war zu essen. Aber ich war mir dessen bewusst, ich muss sehr vorsichtig sein, nicht zu viel zu essen. Und als erste…dann kamen die Amerikaner, und wir wussten natürlich, waren in schwerer seelischer Verfassung, und verlaust, schmutzig, und…ich sprach etwas Englisch. Und folglich kamen sie zu mir, es waren gewöhnliche…ich wusste natürlich deren Rang in der US Army nicht, hatte keine Ahnung, was ein Streifen, oder ein Stern, oder was auch immer da war. Ob jemand ein Gefreiter war, oder ein gewöhnlicher Soldat, oder eine wichtige Person. Gewöhnlich hatte ich dann herausgefunden, desto mehr Goldstreifen, mehr Schnörkel, sind wichtigere Personen. [Lacht.] Es war am Anfang…erst haben wir sie [gefragt]: „Seid ihr dort verhungert?“, und wollte der uns Schokolade geben. Habe ich ihm gesagt: „Wirst mich umbringen. Ich brauche Suppe, irgendwas Leichtes zu essen.“ Dann kamen Reporter und Filmcrews…Kameraleute, und Interviews. Wir hatten natürlich…für den Reporter, so einen hysterischen Überlebenden zu fotografieren, wahrscheinlich, oder zu filmen, war natürlich ein Fressen. Und ich habe gesagt: „Geht weg, geht weg, lasst mich in Ruhe. Ich brauche etwas zu essen, Suppe.“ Eventuell kam irgendein Bonze, der viele Sachen am Hut hatte, oder auf der Kappe hatte, hat mir gesagt – aber in Englisch: „Sunny, I‘ll sit here, until you get your soup. “ Und das war auch…hatte ich Reissuppe bekommen. Und dann hatten…ich weiß nicht, wir waren nicht lange dort, in dem Lager Eins. Dann hat man uns aufgeladen auf Tragbahren, und nach Bad Wörishofen gebracht.
Bad Wörishofen war eine kurze Distanz von Kaufering. Ich weiß nicht mehr genau, wie weit, aber es ging. Und Bad Wörishofen war eine Lazarettstadt. Das heißt, es war ein Kurort, das wusste ich natürlich damals noch nicht. Alle die Kurhotels hatten große rote Kreuze am Dach, und wurden auch nicht bombardiert. Das war eine Lazarettstadt für deutsche Soldaten. Die Amerikaner hatten ein kleines Gebäude, das offensichtlich für Offiziere da war, beschlagnahmt, übernommen, und brachten uns zu dem Gebäude. Und das erste Mal, seit ich weiß nicht wie lange, eine Wanne mit warmen Wasser, und gebadet, geschoren, entlaust. Endlich einmal wieder halbwegs in menschlicher Form. Noch nicht menschlich, aber doch sozusagen…nicht verkrustete Sachen. Ich hatte damals noch Läuse, das heiße Wasser hat wahrscheinlich die Läuse… Entlaust wurden wir mit DDT [Dichlordiphenyltrichlorethan]…bespritzt, das war damals noch sehr praktisch, oder noch funktionierend. Das heißt DDT, ja. Brachte alles Ungeziefer um.
9/00:06:25
Ich war einer der Ersten in dem neuen Gebäude. Es war so ein bisschen am Hügel. Und zwei Deutsche, früher deutsche Soldaten, unter der Aufsicht irgendeines Amerikaners zogen mich herum. „Welches Zimmer willst du haben?“ Und ich habe mir natürlich…das war so the presidential suite, oder was auch immer, der schönste Platz. [Lacht.] [Lärm im Hintergrund.] Und ja, das scheint gerade richtig zu sein. Da war ich allein dort, und nächster Tag, da habe ich einen…sagte: „Da ist ein anderer Mann dort, der es überlebt hat, Tommy Mandel. Findet ihn, und ich will, dass ihr ihn herbringt.“ Und Tommy kam auch, wurde gefunden, und dann, Tommy und ich, wir waren drei Betten in dem großen, großen Zimmer. Und ein Mann aus Holland, der – so ein netter Kerl – kam dann als Dritter hin. Während alle anderen dann vier und sechs Leute in einem Zimmer waren, waren wir in dem großen presidential Zimmer, und niemand wusste warum. Und die haben… „Nein, nein, nein, das ist…“, ganz einfach den Mund gehalten, und nicht gesagt, wir gehören gar nicht dorthin. [Lacht.] Oder warum nicht? Es war kein medizinisches Personal dort. Das heißt, was auch immer wir hatten, an Krankheiten…keine Doktoren. Oder sollte dort ein Doktor gewesen sein? Ich habe nie einen gesehen. Offensichtlich waren da Doktoren, das war eine Lazarettstadt. Die ehemaligen, damals schon ehemaligen, deutschen Soldaten waren alle innerhalb der Baracken, oder dieser Gebäude – das waren nicht Baracken…dieser Hotels, frühere Hotels. Die durften nicht auf die Straße gehen. Wir waren die Einzigen, die – theoretisch zumindest – herausgehen konnten. Nur war ein Problem: Ich konnte nicht marschieren, ich konnte nicht gehen. Hatte nicht genug Kraft. Langsam, langsam hatte ich genug Kraft, um zu gehen, und da dieses Hotel oder was, wie ich es auch nenne, dieses Gebäude, an einem offenen kleinen Hügel war, konnte ich heruntergehen. Ich konnte aber nicht den Berg hinaufgehen. Habe also immer auf einen amerikanischen Jeep warten müssen, und ihn aufgehalten, er könnte mich hinauf auf den Berg bringen. [Lärm im Hintergrund.] Und die erkannten uns, weil wir so abgemagert waren, und hatten gefärbte Uniformen, es waren blau gefärbte, frühere deutsche, Uniformen. [Lärm im Hintergrund.]. Die haben mich mit hinauf auf den Berg gebracht, und ich weiß nicht, wie lange wir da waren.
9/00:10:06
Technisch war die Frage: Wohin gehen wir? Da Tommy und ich, und auch der Holländer, sozusagen ein Heimatsland hatten, nämlich letzter Wohnort war Prag, wurden wir offiziell als tschechische Repatriations-Personen betrachtet. Zu einem gewissen Punkt wurden wir dann von den tschechischen Behörden angefordert, und wurden nach Kempten gebracht. Dort war es nicht mehr so nett. Und die haben mich noch während…in Bad Wörisofen selbst…ich habe mit amerikanischen Soldaten gesprochen. Mein Englisch war lückenhaft, aber hinreichend. Und die Amerikaner hatten Bücher, die in die Tasche passten. Ich weiß nicht, ob Sie die Sachen je gesehen haben. Es waren Taschenausgaben von Büchern, und die habe ich natürlich sofort angefragt: „Kann ich ein Buch haben?“ „Ja, natürlich.“ Irgendwie hat man mir…natürlich frei, allen Soldaten, was auch immer die lesen wollten. Dann habe ich amerikanische Literatur gehabt. Wir hatten Zeitungen, Stars and Stripes, das war die amerikanische Militärpublikation, und da erfuhr ich so langsam, was in der Welt vorging. Ich wusste, dass die Leute, die Amerikaner, die in Bad Wörishofen waren, waren 37th division, 37. Division, Texas National Guard. Und National Guard ist heute nicht mehr militärisch…oh, sie sind wieder militärisch, im Irak.
Essen, ja. Ich habe immer die Amerikaner um Essen gebeten. Denn das Essen in dem Gebäude war kärglich, nicht besonders gut. Aber ich hatte von den Amerikanern Konserven bekommen. K-rations [vorgekochte Überlebensration], C-rations [größere, vorgekochte und vorbereitete Ration], und darunter auch ganz schreckliche Sachen zu essen, so wie zum Beispiel Schweinefleisch mit applesauce. Pork and applesauce. [Lacht.] Nicht die Kaschrut [jüdische Speisevorschriften], weil die nicht koscher waren, sondern die Mischung von Fleisch und applesauce, irgendwie ging mir nicht zusammen. Aber habe in so einem Nachttisch Essen gehabt und, ich sage ja, am Abend gegessen, und dann um Mitternacht was gegessen, und um fünf in der Früh… [Lacht.] Mich langsam aufgepäppelt. Von dort sind wir dann abtransportiert worden, nach Kempten, und von Kempten – ich weiß nicht, wie lang wir dort blieben – hat man uns dann wiederum auf Tragbahren nach Prag gebracht…nein, nach Pilsen gebracht. Und es waren Lastwagen, wo wir die Lege…stretchers…wie nennt man die, wenn man kranke Leute trägt?
PR: Tragen?
FT: Tragen, ja. Wir waren da so ein bisschen gespeicht…oder gestapelt, wie Holz. Drei und vier waren da, frühere deutsche Lastwagen. Und nach Pilsen gebracht, in Pilsen auf einen Zug verladen, der nach Prag ging. Das war ein französischer Zug, der nach dem Osten ging, um französische Arbeiter von dort zurückzubringen. Ich war mir nicht bewusst, wie sehr die deutsche Armee, oder das ganze System sozusagen, auf Sklavenarbeit gebaut war. Sogar Franzosen waren Gott weiß wo im Osten, und irgend so ein Zug kam nach Prag. Der Zug ging weiter, und der hat mich herausgelassen an der Nebenstationen von Prag…nicht Nebenstationen, eine der Stationen bei…eine Eisenbahnstation in Prag-Smíchov. Um die Zeit hatte ich schon ein paar Sachen gesammelt. Bücher, Unterwäsche, eine zweite Uniform, aber sonst hatte ich nicht sehr viel. Messer und Gabel, und Löffel.
9/00:16:10
Ja, eines vergesse ich: In Bad Wörishofen habe ich mit Leuten gesprochen. Aber…die irgendwie interessiert waren an dem, was in dem Gebäude vorging. Sage ich: „Ich suche Material, um Kunst zu machen.“ Und die fanden mir Wasserfarben und Pinsel, und Wasserfarben, und auch Papier. So habe ich dort angefangen Kunst, Sachen herzustellen. Und hauptsächlich Erinnerungen an Auschwitz und Lagersituationen. Dann…nicht viel später: „Ich bin noch immer im Lager, ich male doch das…“ So, habe ich aufgehört. Und in dem Gebäude…da waren schöne Gärten herum, darum bin ich beim Fenster gesessen, und habe Landschaften gemalt…mit Wasserfarben gemalt. Nicht viel später sah ich, dass selbst diese Landschaften Zäune und Mauern als Gegenstand hatten. Alles andere…um diese Sachen, um diese Themen…dann ist mir die Einsicht gekommen, ich bin noch weiter im Lager. [Lacht.] Und habe zu mir selbst gesagt: „Ich muss das ganz einfach akzeptieren, die Sachen werden nicht weggehen.“ Und die meisten dieser Zeichnungen sind verloren gegangen. Einer der Gründe ist, dass meine erste Frau, die manisch-depressiv war…hat viele meiner Sachen zerstört. Nicht aus Bosheit, sondern das ist einfach eine kranke Person.
Nach Prag gekommen, in die Straßenbahn eingestiegen, und gesagt: „Kein Geld. Komme aus dem Lager.“ Der Schaffner war sehr nett, hat gesagt: „Nehm dich, wo auch immer du…“ Straßenbahn. Ich wusste die alten Linien natürlich. Und auch wo auszusteigen, um nicht bergauf gehen zu müssen. [Lacht.] Kam zum Haus, wo meine letzte Adresse war. Das war Nummer Zwei Španělská, Spanische Gasse. Und kam zur Concierge, die Hausmeisterin, und sage: Wir hatten uns während des Krieges gesagt: Wer auch immer zurückkommt, zuerst zur Lojzicka, zur Alojzia zu gehen, und zu sagen, „Hier bin ich“, und dort und dort werde ich wohnen. Mein erster…habe die Glocken geläutet, Lojzicka. Lojzicka fiel mir um den Hals, und sage ich: „Ist jemand zurückgekommen?“ Sagt sie: „Nein, aber eine junge Frau war hier, und hat nach dir gefragt.“
9/00:20:10
Und dann sage ich: „Ich brauche wo zum Wohnen, ich muss wo übernachten.“ Sagt: „Ich nehme dich hinauf zu dem Kerl, der da oben ist. Der ist neu, ich weiß nicht genug von ihm.“ Da war ein Aufzug im Haus, wo man einen Schlüssel haben musste, denn ich konnte drei Stockwerke, vier Stockwerke nicht gehen. Hat sie mich hinaufgenommen, sie läutet die Glocke, kommt der Mann zu ihr, und ich sage: „Wir wohnten hier, das ist unser Raum, unsere Wohnung.“ Und der war unglaublich…rude…sagt: „Ich bin Kommissionärs…“, ein Kommunistischer [unklar]. Sage ich: „Ja, das ist fein, aber ich brauche einen Platz, um zu schlafen. Das ist ja unsere Wohnung.“ Sagt er zu mir: „Du musst ein besonderer Schuft gewesen sein, den Krieg zu überleben. Und wenn du mir irgendwelche Schwierigkeiten machst, dann werde ich gleich zum…“ – weiß ich wem – „…gehen und machen, dass du auch wieder zurück ins Gefängnis gehst.“ Irgendein kommunistischer Bonze. Ich war in keiner seelischen Lage, um mit ihm zu argumentieren. Die Hausmeisterin hat währenddem beim Aufzug auf mich gewartet. Der Mann hatte die Wohnung von einem Nazi übernommen. Das hat er gesagt: „Ich habe die Wohnung von einem Nazi übernommen. Nach Beschluss des…“, was auch immer. Ging herunter, und sagte nur: „Lojzicka, was soll ich jetzt machen? Wohin gehe ich jetzt?“ Sagt sie: „Hör zu, die junge Frau, die da war, die wohnt um die Ecke.“ Die junge Frau war meine erste Frau. Die habe ich nach dem Krieg geheiratet. Die kannte ich in Theresienstadt. Die hatte ihrer Familie Wohnung zurückbekommen, waren zwei Zimmer, und bin dort reingekommen.
Und dann war ich immer wieder in…etwas klappte nicht in meiner Physik, und wurde ich wieder ins hospital geschickt. Ich war nach dem Krieg etliche Male hospitalisiert. Und man wusste nicht, was los war, denn erstmal, die Doktoren kannten das nicht als Symptom – Lungenschwäche, Gott weiß was es war. Herzensschwäche, Muskel, die noch nicht funktionierten. [Lärm im Hintergrund.] Nach Prag zurückkehren, war keine Hilfe da. Absolut nichts. Wir bekamen die 500 Kronen, tschechische Kronen, von Vorkriegstagen, das war ungefähr der Äquivalent von zehn Dollars. Das war alles. Es bestand noch keine Organisation…ich bin mir dessen sicher, dass Organisationen bestanden, aber ich wusste nicht, wo die zu finden, wie die zu finden. [Lärm im Hintergrund.] Ganz langsam machte man Kontakte. Und versuchte ein normales Leben zu führen. Ich habe viele Fehler gemacht damals. Sollte zurück in die Schule gehen, dann hätte…ich hatte nicht die Energie, mich da durchzukämpfen. Eventuell brauchte ich ein Einkommen, denn was auch immer die Familie besaß, war konfisziert von den Nazis. Um etwas Geld zurückzubekommen…waren Schwierigkeiten. Und die Tschechen…die tschechische Regierung war sehr, sehr vorsichtig, keine Wiedergutmachung, keine Rückzahlung, zu machen. Aus einem einfachen Grund, der mir erst später auffiel. Denn, wenn die Juden Sachen zurückkriegen würden, wie – zum Beispiel – würde man die Sudetendeutschen behandeln. Sie wollten keinen legalen…ich suche das deutsche Wort…precedent.
9/00:25:32
PR: Präzedenzfall.
FT: Präzedenzfall, ja. Wenn man Juden was zurückgibt, dann müsste man ja vielleicht sogar den Sudetendeutschen was zurückgeben. Denn sicherlich waren unter den Sudetendeutschen auch solche, die nicht Nazis waren. Wir haben absolut nichts zurückbekommen. Ich hatte dann irgendeine…eine kurze Zeit war ich angestellt von SKF, S-K-F, Kugellager. Ja, das ist irgendeine Büroarbeit. Und kurz danach kam…es war eine kleine Gruppe von Überlebenden von Theresienstadt in Prag. Meistens jüngere Leute, die Eltern hatten es nicht überlebt. Ich heiratete die junge Dame, Stella Horner, die Wienerin war. Die in der Paradiesgasse gewohnt hatte. Wir waren in der Friedlgasse. Wir haben wahrscheinlich…wir wussten, dass die Eltern einander kannten. Die Komplikation bestand darin, dass Stella technisch tschechische Staatsbürgerschaft hatte, aber so hatten es alle Sudetendeutschen. Und man sie deportieren wollte. Ich habe damals einen englischen Reporter kennengelernt, und habe ihm gesagt: „Hör zu, diese Idioten wollen Stella deportieren.“ Und der sagte: „Das ist eine großartige Geschichte, und ging mit der Geschichte ich weiß nicht wohin. Dann sage ich: „Ich möchte gerne…“ – und wer weiß, zu welchem Bonzen der ging – „…ob das auch wirklich wahr ist, was mir der Mann da erzählt hatte.“ Nicht, dass eben eine Jüdin, die im KZ in Auschwitz, und wo auch immer man war…man sie jetzt deportieren will, weil sie Deutsche wäre. Das hat den Fall beendet.
Ich kam zurück im Sommer [19]45. Und dazwischen hatte ich ein Filmstudio übernommen, ein Filmtrickstudio. Jemand, den ich kannte, hatte ein Berliner Unterrichtsfilmstudio befreit. In…quotation marks. Das war ein Studio, das pädagogische Filme machte, und während des Krieges Filme für die Armee machte. Das waren gezeichnete Filme, Trickfilme. Mit einer altmodischen Kamera, wirklich so ein klassischer frame by frame. Und der Grund, warum die in…wir waren in Teplitz-Schönau, Krupka. In einem frommen Forstwald oder forestry…ich suche das deutsche Wort. In den Bergen. Die waren in Berlin situiert, hatten dort in Berlin das Studio. Aber jedes Mal, wenn eine Bombe herunterfiel, hat das die ganze Kamera erschüttert, und dann hat es Wochen gedauert, bevor die Kameras wieder zusammengebaut waren. Daraufhin, zu einer Zeit, und ich weiß nicht wann, wurde das ganze Studio nach Krupka, bei Teplitz-Schönau gebracht, dort aufgebaut, und dort wurde es von einem Mann, der Karel Gruber heißt, übernommen. Aber Gruber war ein Schriftsteller, wusste nichts von Kunst. Kam zu mir, und sagt: „Fred, du bist doch ein Künstler. Ich habe einen Posten für dich.“ Und wie Stella und ich…waren schon verheiratet, nach Krupka übersiedelt, und in dem Haus waren noch die früheren deutschen…wie nennt man das? Die Leute, die dort gearbeitet hatten. Und technisch vollkommen on the level, das heißt in der Höhe. Wie die politisch standen, habe ich nie gefragt, wollte ich auch nicht wissen. Aber war eine Familie dort. Ein Mann, Frau, Schwiegermutter, ein Helfer. Und dann kamen wir hin und mussten dann anfangen, einen Film zu machen.
9/00:31:26
Es dauerte nicht sehr lange, und die Kommunisten übernahmen in ganz Böhmen die Filmindustrie. Das war eine Übergangszeit zwischen Befreiung und die Kommunisten versuchten, mehr und mehr Macht zu bekommen. Eines der Ministerien war dieses Unterrichtsministerium, und das Filmstudio war unter dem Unterrichtsministerium. Eines Tages kam eine Gruppe von Leuten, sagen: „Wir sind die und die Kommission, und wir gehören zum Ministerium des Unterrichts, und wir hören, dass Sie jetzt der Leiter dieser Sachen sind. Und wir würden gerne, dass Sie auch Leiter wären, wenn Sie qualifiziert wären, allerdings müssten Sie ein Parteimitglied sein.“ Sage ich: „Ich bin es nicht.“ „Naja dann, was Sie machen müssen, ist ganz einfach eine Anstellung…“ – nicht Anstellung –, „…Fragebogen zu füllen.“ Und da habe ich eine intelligente Sache gemacht, ich habe gesagt: „Das ist eine große und wichtige Entscheidung, und man schreibt so etwas nicht einfach hin. Ich muss mir das ein bisschen überdenken, das ist eine Lebensentscheidung.“ Ich wusste natürlich, dass ich es nicht tun würde, aber ich sagte: „Gibt mir einen Pass.“ Sagt er: „Naja, Sie haben zwei, drei Monate, wann auch immer Sie unterschreiben wollen.“ Und das hat mit dem Konzentrationslager nichts zu tun. Wir hatten einen passport. Wir wussten…ich wusste, Stella wusste, dass sie…sie hatte einen Onkel hier. Und wir waren aufgrund der damaligen immigration laws, McCarran Walter Act – ein miserables Gesetz. Die österreichische Quote war circa etwas mehr als 1.000 Leute, ich glaube, 1.500, 1.800, ich kann mich nicht erinnern. Das heißt, so viele Leute würden auf der Austrian Quota in die Vereinigten Staaten gehen. Nun, die Hälfte der quota geht zu Leuten, die Verwandte hier haben, und dann sind noch speziell Fälle von Spezialisten, Geistliche, Rabbiner und Priester, was auch immer. Was übrigbleibt, ist dann die normale quota. Deswegen hatten wir unseren passport bekommen. Daraufhin nahm ich unseren passport, und…eines, was ich auslasse, ist die tschechische Armee. Die wollte mich einnehmen in die Armee, weil sie gesagt haben, es ist jetzt 1945, und normalerweise solltest du als Achtzehnjähriger in die Armee kommen, nun ist es schon sehr, sehr spät. Wenn die Tschechoslowakei bestanden hätte, hätte ich 1940/41 Armeedienst leisten müssen.
9/00:35:12
Ich ging zu jemanden, den mein Vater kannte, und habe gesagt: „Ich habe ein Problem. Ich muss aus dem Land weg. Ich will nicht hier sein, ich will nicht unter den Kommunisten leben, ich habe mein Leben unter den Nazis verbracht, ich habe eine Diktatur im Leben gehabt, ich brauche gar nicht die Zweite. Ich brauche das und das Visum. Wie finde ich das?“ „Hast du einen passport?“ Sage ich: „Ja.“ Hat mir genau gesagt, was ich brauche. Exit visa, Polizeibestätigung, Militärbestätigung, dass ich nicht mehr militärpflichtig wäre. Ein Transitvisum durch die amerikanische Zone, durch die französische Zone, und ein temporäres Visum nach Frankreich. Sagte: „Ruf mich in einer Woche an.“ Ich habe ihn angerufen, sagt er: „Ist alles schon da, bereit.“ Alles gefälscht. Und sage ich: „Wie hast du das gemacht?“ „Das ist ein Kinderspiel. Wir machen das. Im Krieg haben wir mehr Stempel hergestellt, als du dir nachdenken kannst.“ Und sind weggelaufen nach Frankreich, als Immigranten, und in Paris…da gibt es noch allerlei Details, die ich unterlasse. Ich glaube, wir sollten heute aufhören, es ist zwölf Uhr.
Ende von Teil 9
Teil 10
22. Oktober 2008
PR: This is an Austrian Heritage Collection interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on 22nd October 2008. This is part eight of an interview with Mr. Fred Terna. Herr Terna, das letzte Mal haben Sie mir erzählt, wie Sie sich die Papiere in Prag besorgt haben.
FT: Welche Papiere? Nach dem Krieg?
PR: Nach dem Krieg. Für die Reise--
FT: --nach Frankreich.
PR: Genau. Können wir dort fortsetzen, wo wir das letzte Mal aufgehört haben? Sie haben mir gesagt, dass--
FT: --ja. Habe ich Ihnen erklärt, wie ich die Papiere bekommen habe? Wie es…das passport…alles gefälscht, ja. Und kam dann in Paris an, und wusste, dass ich Schwierigkeiten hätte, dass ich etwas Illegales getan hatte. Ich wusste, dass ein französisches Gesetz bestand, und ich weiß nicht, woher ich das wusste. Irgendwie hatte ich es erfahren, dass ein Gesetz bestand, das seit der Französischen Revolution gültig war. Dass je eine Person die politisch verfolgt, innerhalb Frankreich, zehn Kilometer von der Grenze entfernt in Frankreich wäre, nicht ausgeliefert würde, sondern sozusagen sich irgendwie legalisieren musste. Mein erstes Bemühen war, jemanden zu finden, mit dem ich zur préfecture de police ging, und ich hatte auch die Adresse von jemandem, der…ich kann mich nicht genau erinnern, wie ich zu der Person kam, der hatte ein légion d'honneur, und ging mit seiner…wie heißt das? Das runde Dings. Ein Kragen…so ein Knopf im Wesentlichen. Und der ging mit dir zur préfecture de police, hat denen genau erklärt, dass ich ein refugié bin, und, dass ich im Lager war. Ich hatte verschiedene Beweise, die ich nach dem Krieg von Prag mitgenommen hatte. Die haben mir drei Wochen Aufenthalt erlaubt, und nach drei Wochen ging ich wiederum hin, dann bekam ich sechs Wochen lang Aufenthalt, und fuhr an die Côte d’Azur. Habe ich Ihnen das erzählt? Nein. Gut.
Der Winter 1946 war sehr, sehr kalt. War noch alles…war es [19]45/46? Ja. Alles war noch Lebensmittelcoupons, und…es war kalt, und hungrig. Nachkriegszeit. Und während der Zeit fand ich auch heraus, dass in Paris jüdische Organisationen existierten, welche Flüchtlingen aus Osteuropa halfen. Nun war da eine Spaltung innerhalb des Systems. Die Israeliten, das frühere, no, spätere Israel, wollten natürlich so viele Einwanderer haben, wie nur möglich. Und ich hatte keine Absicht nach Israel – oder das damals noch British Mandate – zu fahren. Habe das irgendwie zwischen den Sachen durchjongliert. Und bekam dann eine Erweiterung. Es war so kalt im Winter. Ein Freund von mir, jemand den ich in Paris kennengelernt hatte…jemand in Prag hatte mir eine Adresse gegeben, von einem früheren österreichischen Korrespondenten. Der eine Zeitungsperson war. Hugo Rappart or Hugo Rappaport war sein Name. Und der lebte in Paris, der war…seine Lebensgeschichte ist ein ganz anderes Kapitel. Das ist jemand, der aus Wien nach Frankreich floh, und dort versteckt war in der Haute-Savoie. Und…ganz andere Geschichte. Aber der…nicht übersiedelte…fuhr an die Côte d’Azur, weil es eben in Paris so kalt und hungrig war. Und hatte dort eine ganz kleine Villa, und wir sind ganz einfach…meine Frau, damals Frau, Stella, und ich…haben uns auf den Zug gesetzt, und sind hinuntergefahren. Irgendwie werden wir uns da durchkämpfen.
10/00:05:56
Fuhren nach Beaulieu-sur-Mer, das war eine lange, lange Reise. Damals hat das um 30 Stunden gedauert, denn der Zug war stockvoll, dieses ganze ökonomische System von Frankreich war lange vom Krieg beeinflusst. Wir kamen dort an, und wir hatten bei ihm übernachtet, und am nächsten Tag haben wir versucht, eine Wohnung zu finden. Eines, das ich vergessen habe, is, etwas von meiner ersten Frau, von der Familie…haben die Juwelen den Krieg überlebt. Jemand hatte die aufbewahrt, und auch zurückgegeben. Wir haben die damals geteilt, und ein Teil ging zu meiner ersten Frau, und ihre Schwester nahm den anderen Teil. [Lärm im Hintergrund.] Wir gaben Hugo Rappart einen der Ringe. Der hat das ins Geld umgetauscht. Wie viel der Tauschwert auch richtig war, weiß ich nicht. Aber wir gingen dann zu einem Agenten, der hat uns gesagt: „Ha, ich habe genau was ihr braucht!“ Und führte uns in eine Villa, in einen großen Garten in Beaulieu-sur-Mer. Die Villa bestand…hat vier Autogaragen gehabt, die Villa war so ziemlich erhöht, unterhalb der Moyenne Corniche. Wenn Sie heute diesen Platz mieten würden, würde das tausende und tausende von Dollars per Woche sein. Aber damals hat der Agent nur die Absicht gehabt, jemanden dort zu wohnen zu lassen. Und die Kosten waren lächerlich gering. Aber die Bedingungen waren sehr streng. Das heißt, wir müssten immer Licht haben im Haus, Wäsche muss auf der Linie [Leine] sein, das Radio muss spielen – das heißt vortäuschen, dass viele Leute dort wohnen. Denn während der Zeit kamen Leute aus den Bergen, und wenn da ein leeres Haus war, dann haben die es ganz einfach ausgeräumt. Wir waren house-sitting – um einen amerikanischen Begriff zu benützen –, und haben nie so luxuriös gelebt, als in der Villa. Und werde wahrscheinlich nie wieder im Leben so nobel und elegant wohnen. Auf der einen Seite haben wir in die bay of Villefranche[-sur-Mer] gesehen, und auf der anderen Seite, in der anderen Richtung, hat man Cap d’Ail, das ist außerhalb von Monte Carlo…so einen unglaublichen Ausblick gehabt, von dort. Die Villa gehörte irgendeinem belgischen Munitions-Magnaten, keine Ahnung, wem das wirklich gehört hatte. Wir waren dort circa vier, fünf Monate, und ich war mir dessen bewusst, dass das lotus land war, dass es nur komplett unwirkliche Existenz war.
Während der Zeit hatten wir versucht in die Vereinigten Staaten [von Amerika] zu kommen, aber wir waren beide auf der österreichischen quota, die damals nach der McCarran Law, Walter Law – das existiert hat –, war österreichische Quote lächerlich gering. 900 Leute für ein Jahr, davon die Hälfte ging an nahe Verwandte. Ich bin mir über die Nummer 900 nicht bewusst, aber sehr gering. Und dann kamen Leute auf die quota, die angefordert wurden von Universitäten, Geistliche. Für die Durchschnittsperson war nichts mehr über. Wir mussten bis zum Jahr [19]52 warten, um auch hierher…um ein Migrationsvisa zu den Vereinigten Staaten zu bekommen. Das heißt, die österreichische Quote war so miserabel.
10/00:10:45
Nach sechs Monaten fuhren wir zurück nach Paris. Und ich versuchte damals einen Posten zu finden, und konnte nichts finden. Wir trafen dort die Enkelin von Leo Baeck. Ruth Baeck. War eine Freundin, die wir aus Theresienstadt kannten. Ruth Baeck arbeitete damals für den Joint Distribution Committee. Und der habe ich erzählt, ich suche einen Posten und: „Hast du irgendwelche Ideen?“ Sagt sie: „Hör zu, The Joint Distribution Committee braucht einen Buchhalter. Geh hin und sage, dass du ein Buchhalter bist.“ Das habe ich auch prompt getan, ging dorthin, und der große Boss hat mich prompt gefragt, was weiß ich über Buchhaltung. Sage ich: „Mein Vater hat mich unterrichtet, wie ich jung war, und so. Ich weiß ziemlich viel über Wechselrecht, und Soll und Haben.“ Ziemlich neblig. Und daraufhin hat er mir eine Frage gestellt: „Wenn Sie diese Situation haben, wie würden Sie das buchen?“ Und ich habe daraufhin ganz wild etwas geantwortet, und er sagte: „Das ist grundfalsch.“ Und sein Assistent Sam, Sam Habour, hätte ruhig sein sollen, sagte: „Wait a minute. Nämlich, im europäischen System, wenn dieses hier ist, und jenes dort ist dort, innerhalb eines Systems ist das richtig.“ [Lacht.] Habe natürlich keine Ahnung gehabt, wovon ich gesprochen hatte, oder was Sam Habour gesprochen hatte, habe einen Posten bekommen. Habe aber natürlich nie Buchhaltung dort führen müssen, oder nur sehr, sehr wenig. War ein Angestellter des Joint für eine kurze Zeit.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Damals hauptsächlich mit Immigration, oder Emigration, von Eastern europäischen Leuten, die aus Polen kamen, oder aus Osteuropa, und dann weiterfuhren nach Südamerika, Australien, wo auch immer. Und deren Hilfe war hauptsächlich administrativ, und auch im Notfall Lebensmittelkarten, und solche Sachen. Und nach kurzer Zeit wurde ich versetzt, innerhalb des Joint, an eine Dame, die aus Südafrika kam. Lucy Hoddis war ihr Name, kam aus Durban. Und die war sehr, sehr geheimnisvoll, was sie machte. Nach einer Weile habe ich gesagt: „Lucy…“, – ich spreche jetzt Englisch –, „…let us not pretend. Ich weiß genau, was die Arbeit ist.“ Das war illegale Immigration nach Israel. Damals noch nicht Israel. Das heißt, alle die illegalen Transporte wurden durch den Joint finanziert. Und sie, Lucy, war sozusagen eine Zentralbuchhaltung. Das heißt, von verschiedenen Orten kamen Nummern, die man zusammenfassen musste, um dann am Ende des – wann auch immer der Termin war – sagen konnte, so und so viel Geld wurde verbraucht. Das Geld kam im Wesentlichen von hier, und von Südafrika. Technisch war es ein appropriation bookkeeping. That is charge against an appropriation, das ist ein spezieller Fall von Buchhaltung, wo jemand ein Geld verspricht, und dann die Ausgaben gegen diese Versprechungen, die gewöhnlich…wirklich Geld waren.
10/00:15:29
Das war meine heroische Zeit. Lucy verschwand, ich weiß nicht wohin, sie fuhr zurück nach Südafrika, weiß nicht, was sie tat. Und das war meine heroische Zeit. Das war die Zeit bevor 1948, bevor Israel unabhängig wurde. Alle die illegalen Transporte, die heute ein Teil der frühen Geschichte Israels sind, da war ich dort. Aber ich war natürlich ein ganz kleines Zahnrad in einer großen Maschine. Aber ich war sozusagen ein Teil des Ganzen. Deswegen sage ich: ein Teil meiner heroischen Zeit. [Lacht.] Und lebte damals in Frankreich, das Einkommen war genügend, wir haben ein ganz kleines Zimmer gehabt, und habe viel Zeit genützt, um zu malen. Ich war im Wesentlichen angestellt vom Joint, aber wirklich mit einem Fokus, ein Maler zu sein, ein Künstler zu sein. Und fing an, damals, ernstlich Bilder herzustellen. Das Thema, das ist eine ganz andere Geschichte, natürlich, wie…die Entwicklung als Maler. Ich ging zur Académie Julian und Académie de la Grande Chaumière. Das sind zwei Kunstakademien, die heute wichtig sind, damals noch nicht mehr für mich taten, als Platz oder Raum zur Malerei zu haben. Denn das Zimmer, in dem wir wohnten, war buchstäblich ein großes Bett mit ein paar Laden, um paar Sachen zuzubringen. Ich hatte keinen Platz dort.
PR: Das war alles in Paris?
FT: In Paris, ja. Mehr precise in Neuilly[-sur-Seine], wenn Sie Paris kennen, technisch, Neuilly ist nicht ein Teil von Paris, aber practically, yes. Und über Paris…könnte man zwei Stunden über Paris sprechen. Aber damals traf ich auch – ich weiß nicht wie – amerikanische Studenten, die auf Bill of Rights in Paris studierten. Ich glaube, die habe ich in der Académie Julian kennengelernt, oder Grande Chaumière, ich bin mir nicht sicher. Dort habe ich Technologie gelernt. Das heißt, da war ein Mann, John Taylor, die waren alle dort, aufgrund deren G.I. Bill of Rights. Das heißt, Soldaten bekamen Geld, um zu studieren, und waren Maler dort. Mitch Siporin, der dann später sehr bekannt wurde, war einer von den Leuten. Und ich war sehr mit Malern, amerikanischen Malern, in Verbindung, in Paris.
Paris…ja, eines habe ich…es war sozusagen ein sidelight in Beaulieu-sur-Mer…ich gehe jetzt zurück in der Zeit. Als wir ankamen, mussten wir Lebensmittelkarten bekommen. Und gingen zum Bürgermeister, le maire, Monsieur le maire, und sagten: „Wir sind hier“, und sagte: „Woher kommt ihr?“ „Aus Paris.“ „Warum kommt ihr?“ „Es ist wärmer hier, es ist schöner hier.“ Sagt er: „Die Touristen kommen, die Touristen kommen!“ Beaulieu lebt von Tourismus, heutzutage. Aber die haben keine eigene Industrie und nichts. Beaulieu war tot während des Krieges. Und das war vor allem in deutscher Besatzung, und was auch immer dann da an Arbeit war, war wirklich nicht mehr als örtliche Fischerleute, die Sardinen fingen. Das war sozusagen innerhalb…ein paar hundert Meter von der Küste. Wir bekamen daraufhin sofort Touristenprovisionen. Da war ein speziell…ich weiß nicht, wer das arrangiert hatte, es war politisch natürlich, dass die Touristen extra Essenskarten bekamen, während die Franzosen natürlich sehr, sehr kärglich lebten. Aber die meisten Franzosen hatten Familien außerhalb der Stadt, in den Bergen. Die gingen nicht gerade hungrig herum. Wir bekamen unter anderem einen halben Liter von Wein, per day. Damals eine unglaubliche Menge, den fand eine französische…ein Erwachsener bekam ungefähr einen Liter für einen ganzen Monat. Und die Weinkarten waren buchstäblich das Gold wert. Wir haben natürlich…tauschten dann sofort alles das gegen gutes Essen ein. Essen, Eier…eines, das habe ich unterlassen. Meine Frau, Stella damals, hatte Tuberkulose nach dem Krieg. Und ich war sehr besorgt, dass, wenn wir zur Immigration zu den Vereinigten Staaten kämen, dass sie abgelehnt würde. Aus Gesundheitsgründen. Habe mich sehr darauf konzentriert, sie aufzupäppeln. Wir haben gutes Essen für wenig Geld, denn wir tauschten die Weinkarten für alles andere, und bekamen auch extra Buttermilch, und andere Sachen, die sehr beschränkt waren für die Franzosen.
10/00:22:11
Nach Paris zurückkehrend, um die Zeit ungefähr fing der Marshallplan an. Und die change…der Wechsel, nein. Ja. Innerhalb von verhältnismäßig kurzer Zeit änderte sich die ganze ökonomische Situation. Das heißt, wo vorher alles auf Lebensmittelkarten war, war ein offener Markt, und Transport wurde einfacher. Das heißt, Lebensmittel, die in Südfrankreich waren, konnten dann auch mit Zug oder Lastwagen in die Stadt gebracht werden. Und folglich: Die Lebensmittellage verbesserte sich wesentlich. Nun bestand ein Problem für mich, das war politisch. [Charles] De Gaulle, dem ich nicht traute, und die ganze…eigentlich hatte er, De Gaulle, Frankreich errettet von einer Militärdiktatur durch die frühen Algerier…Armee, Leute aus Algeria. Und gerettet, indem sich das…er verhinderte eine Militärdiktatur. Das heißt, seine Autorität machte es möglich. Allerdings bestand schon damals ein Konflikt zwischen Freiheitsbewegung in Algerien, und Frankreich. Und ich fürchtete mich um eine Sache, dass dort der Krieg anfangen würde. Unter der Zeit, während ich ständige Erweiterungen meiner Aufenthaltsbewilligung bekam, erst ein Jahr, dann drei Jahre, und plötzlich bekam ich zehnjährige Carte du Résident Privilégié. Das heißt, dieses Privilegium wurde Leuten gegeben, von denen die Franzosen erwarteten, dass sie auch Staatsbürger werden würden. Und was man nicht gesagt hat, was ich aber wusste von anderen Leuten, dass wenn ein Konflikt irgendwo wäre, wo die französische Armee mobilisiert würde, würden Leute mit zehnjähriger Karte in die Armee einberufen. Wohin gingen die in der französischen Armee? La Légion Étrangère. Und ich wusste ein bisschen zu viel von der Légion Étrangère, denn manche Leute in Paris, welche jüdische Flüchtlinge waren, und irgendwo arrangierten, während des Krieges in die Légion zu kommen, und dann…die üblichen Geschichten der Legion…Garnison in Mitte of der Sahara, und all den Schikanerien und Grobheiten, und Schwierigkeiten. Ich wusste zu viel von der Légion Étrangère. Das war sozusagen am Abend, wenn ein Glas Wein zu viel war, dann haben die Geschichten erzählt…Kriegsgeschichten der Légion in der Sahara. Ich wollte nichts damit zu tun haben. Und war sehr besorgt, dass ein Krieg in Algerien ausbrechen würde. Und habe mich dann…wie komme ich aus dem Land heraus? Und wusste, dass die Kanadier Immigration…Leute suchten. Folglich hatten wir arrangiert, über Kanada…erstmal nach Kanada zu fahren. Das war vernünftig, und der Krieg in Algerien brach aus, und ich war nicht mehr [unklar]. Dann war ich schon in Kanada.
10/00:26:45
Kam dann in [19]52 her. Ich kam hier an dem Tag an, wo [Dwight D.] Eisenhower als Präsident gewählt wurde. Einer meiner Sprüche war: „Do not blame me. I did not vote for him!“ [Lacht.] Und natürlich ließ sich mehr über Frankreich sprechen. Eines der großen Probleme für mich, damals…nach dem Krieg, und auch später…Stella, meine erste Frau, war vom Krieg sehr betroffen. Sie, und auch ihre Schwester. Ihre Schwester…als wir dann in Paris lebten, die Schwester war noch in Prag. Wir gingen zu viele Stufen, um die aus Prag herauszukriegen, und nach Frankreich zu bringen. Es gelang uns auch. Beide Schwestern waren seelisch sehr vom Krieg beeinflusst. Und etwas, das ich erst viel später erkannte, oder darüber eine Einsicht hatte…beide waren bipolar depressions, das ist manisch-depressiv. Und soviel ich weiß, das waren deren…meine frühere Schwiegermutter, und auch ihre Mutter, irgendwie betroffen, ich weiß natürlich nicht Genauigkeiten. Beide der Voreltern starben in Auschwitz. Oder kamen in Auschwitz um. Und beide Frauen waren ein großes Problem für mich. Seelisch, und auch gewisser Hinsicht finanziell, das war nicht so schwer, das war nur Geld, aber… Wenn Sie Geschichten von Leuten gehört haben, welche manisch-depressiv sind, das sind gewisse Schwierigkeiten. Ich war mit einer verheiratet, und die hat die andere sozusagen auch an der Hand. Und die Schwester meiner früheren Frau starb durch Selbstmord, und meine Frau Stella…im technischen Sinn starb sie an Krebs. Aber Krebs, den sie total vernachlässigt hatte. Aber es war eine schwere Zeit. Die war viele, viele Jahre im Krankenhaus, aus dem Krankenhaus…no, nicht geheilt…Heime für Leute, die so betroffen waren. Hat natürlich alles Geld, das wir hatten – das ich hatte – ausgebraucht. Hat auch mich, natürlich, sehr mitgenommen. Ich erinnere mich an eine Situation, wo ich mit meiner Frau, Stella, zum Doktor ging, um so Routine, um ihre Medikamente zu ändern. Und da sagten sie: „Geht ins hospital.“ „Warum? Das ist nicht besser, nicht schlechter als vorher.“ Sagten sie: „Ja, aber du brauchst Ruhe. Du brauchst ein paar Monate. Um dich selbst aufzupäppeln.“
10/00:31:02
Und…während der Zeit war ich Maler, hatte Ausstellungen, verkaufte auch, und…jetzt sind wir schon in der Zeit in Amerika. Ich weiß nicht, wie viel wir da noch über Frankreich sprechen sollten. Ich habe mich nie bequem in Frankreich gefühlt. Und das hat nichts mit mir zu tun, sondern mit der Stellung der Franzosen. Wenn man nicht seit Großeltern-Zeiten in Frankreich gelebt hat, in französische Schulen ging, und präferabel kein Jude war, dann bestand die Möglichkeit, akzeptiert zu sein. Aber ich wusste, dass wenn ich in Frankreich bliebe, würde ich ein sale étranger bleiben. Sale étranger is a dirty foreigner, ein schmutziger Ausländer. Die Möglichkeit, ein Franzose zu werden, war ganz einfach nicht dort. Und seelisch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich es auch wollte. Wiederum, mein Interesse an Geschichte. Ich wusste die Geschichte der französischen Juden ziemlich genau. Von Vertreibung im 14. Jahrhundert, bis dann nach Napoleonischer Zeit, wo im Elsass eine jüdische Gemeinde bestand. Ich wusste genau über die Dreyfuss-Affäre, und die Stellung der Franzosen während des Krieges. Ich habe ziemlich schlechte Erinnerungen an französische Geschichte. So hätte ich mich nicht sehr wohl gefühlt. Von Frankreich wegzufahren war keine seelische Spannung, oder…hatte kein negatives Element. Gleichzeitig wusste ich sehr, sehr viel über die Vereinigten Staaten. Mein Vater – und das geht nun wieder vor den Krieg dann – war sehr historisch interessiert. Ich glaube, ich habe über meinen Vater genug gesprochen. Ich mag erwähnt haben, dass er über seinem Schreibtisch eine Fotografie von [Abraham] Lincoln hatte. Er war, was man hier a Lincoln buff…ein kleiner meschugger [leicht verrückter] Arzt. [Lacht.] Sehr, sehr interessiert an Lincoln. Aus dem Grund wusste ich, von meinem Vater her, ziemlich viel über amerikanische Geschichte, amerikanische Philosophie. Ich hatte zum Beispiel vor dem Krieg, oder Anfang des Krieges, während, weiß nicht genau, wann das stattfand…[19]38/39, über Tennessee Valley Authority [US-amerikanisches Staatsunternehmen] gesprochen…gelesen, nicht gesprochen. Aber ich wusste ziemlich viel über Verhältnisse in den Vereinigten Staaten. Und das legale System…mein Vater wurde…war das ein ständiges Thema. Was ist die gute Form einer Gesellschaft? Wie organisiert man eine Gemeinde? Das ist etwas, das mir noch heute sozusagen hoch aufliegt, eine der Ideen, die mich noch heute sehr bewegen. Nun, wo sind wir da stecken geblieben? [Lacht.] Haben Sie andere Fragen?
10/00:35:26
PR: Prinzipiell ja, aber wenn Ihnen jetzt noch was zu Frankreich einfällt, das Sie mir gerne erzählen wollen würden, kann ich mit den Fragen--
FT: --ich weiß nicht, wo ich da anfangen sollte. [Hustet.] Malerei, Paris, wir gingen…wir – das ist Stella und ich – hatten ein oder zweimal, während sie in guter Verfassung war, eine vacation in…nicht Biarritz, südlich von Biarritz, knapp an der spanischen Grenze. Ich wollte nie nach Spanien gehen, obwohl ich wusste, dass [Francisco] Franco verhältnismäßig wohlwollend für Juden war. Aber eine weitere Diktatur wollte ich nicht unterstützen. Bin nie nach Spanien gefahren, während Franco dort war. Wir hatten viele Freunde, die meisten waren Amerikaner. Es war viel einfacher für uns, mit Amerikanern zusammenzukommen, als mit Franzosen. Mit Franzosen, da wird man nicht aufgenommen. Man trifft Leute in der Bar, in einem Restaurant, aber die Form der gesellschaftlichen, oder…Intimität, man wird nicht leicht aufgenommen im Kreis. Was hier natürlich sehr einfach ist. Gar kein Problem. Wenn hier jemand kommt, aus Gott weiß wo, interessante Person, lade ihn ein. “Come for dinner.” Das existiert in…oder existierte damals nicht, in Frankreich. Und ich wurde nie ein Teil…ich spürte mich nie als Teil der französischen Gemeinde, während ich mich hier sehr bequem fühle. Wir waren sozusagen an der Peripherie de Paris, in welchem wir lebten. Visuell sehr interessant, Museen großartig. Musik wonderful. Aber ein Teil Frankreichs? Nein. Ein Teil von Paris? Nein. Und so wie wir heute hier, in dieser Stadt, Gemeinden haben, von wo auch immer in der Welt man…von Turkestan bis Panama, und wo auch immer, jede Gemeinde hat irgendwie…eine Lebensbereitheit? No. Einen Lebensraum. In Frankreich bestand das nicht. Da war man entweder ein Franzose, oder außerhalb der Gesellschaft. Wir waren in Paris in [19]48, in dem Jahr, in welchem Israel gegründet wurde. Ich war sehr von dem Ganzen betroffen. Betroffen ist das falsches Wort…gut betroffen, beeinflusst. Für mich bestand nie die Frage, sollten wir nach Israel gehen. Es war sozusagen ganz logisch für viele Leute nach Israel zu gehen. Ich war nie ein Zionist, und…wohlwollend ja, aber die Idee eine Nationalheimat zu finden, bestand für mich nicht. [Lärm im Hintergrund.] Für mich war das retrogressiv [rückschrittlich], das heißt, zu einer Zeit, wo Nationalismus nur seine negativen Seiten hatte, war selbst Zionismus eine Form des Zurückgehens zu alten Formen, welche auf die Dauer wahrscheinlich nicht wohlwollend wären. Eine weitere Ingredienz war das Religiöse. Ich wusste, dass, zum Beispiel, meine Heirat zu Stella nicht in Israel anerkannt würde, weil die religiösen Autoritäten ganz einfach nur jüdische, orthodoxe, Zeremonien als rechtsgültig betrachteten. Die ganze Idee des Einflusses der Religion stand mir gar nicht zu Gesicht. Ich fühlte das nicht als ein Land, in welchem ich weiterleben sollte. Zionismus kam ganz einfach nicht infrage. Obwohl ich natürlich mit der ganzen Immigration nach Israel sehr, sehr beschäftigt war. Das war sozusagen…mein Lebensunterhalt kam aus der Gegend. Müsste genaue Fragen haben. [Lacht.]
10/00:41:12
PR: Können Sie sich daran erinnern, wie Sie nach Paris gekommen sind, als Sie von Prag weggefahren sind? Können Sie mir ein bisschen was über die…
FT: Ja. Ich sprach kaum Französisch. Angekommen, wusste wohin zu gehen. Jemand hatte uns eine Hotel-Adresse gegeben, und dann…kamen zum Gare de l'Est, und wusste, dass innerhalb von Gehdistanz…konnten wir in die rue le Peletier gehen, und da war ein Hôtel le Peletier, nicht weit von einer der jüdischen…Gemeinde ist das falsche Wort, sozusagen eine Residenzgegend. Das rue de la Victoire war eine der jüdischen Nachbarschaften. Aber ich war zufällig…ich wusste das damals nicht. Und kamen an, und hatten ein bisschen Geld, und wohnten in dem Hotel. [Lärm im Hintergrund.] Das Hotel wurde arrangiert, die glaubten, dass wir große, reiche Leute wären…alles gehört dazu. [Lärm im Hintergrund.] Wir brauchen ein Zimmer, um zu leben, nicht um Touristen zu sein, und bekamen in dem Hotel ein ganz kleines Zimmer. Und waren auch dort bis zu unserer Abfahrt nach Beaulieu-sur-Mer. Zurückkehrend waren wir wiederum in dem Hotel, aber dann bekam ich den Posten beim Joint Distribution Committee, und wusste, dass wir anderswo leben müssten. Und fanden in Neuilly, wiederum durch den Freund Hugo Rappart, ein maison meublée. Das ist eine Art ständiges Hotel, kein Hotel, sondern ein Haus, in dem man monatlich lebt. Und dort war ich dann die ganze Zeit nachher in Frankreich.
Der Anfang war etwas kompliziert. Ich sprach nicht gut Französisch, hatte dann diese oder jene Verbindung bekommen. Langsam fand man seinen Platz, seine Lebensmethode. Es bestand damals noch keine gute Organisation, um Flüchtlingen zu helfen. Langsam fanden wir auch heraus, wie man auch diese Organisation benützen könnte. So hatten wir für eine Zeit lang Speisekarten, da war eine Ausspeisung, die wir auch benützten, denn mein Einkommen war zero. Nur noch ein Bett. Stella hatte Verwandte, hier in den Vereinigten Staaten, das war eine ganz andere Geschichte. Die waren vorher…früherer Wiener, alle, und ein Onkel, der war ein mechanischer Ingenieur, ein anderer war ein Doktor. Und die haben sich nicht sehr gut benommen. Waren sehr besorgt, dass wir auch nicht denen zur Last fallen würden. Das ist mit dem Syndrom der Einwanderer von 1938, welche sich schuldig fühlten, und gleichzeitig nicht wussten, wie benimmt man sich gegenüber jemandem, der den Krieg überlebte.
10/00:45:49
Die waren Brüder meines Schwiegervaters, der in Auschwitz umkam, und eine der Frauen von den zwei Brüdern – daran erinnere ich mich noch zu genau – sagte: „Erzähl mir nichts von den Lagern. Ich kann das nicht hören.“ Dann sage ich: „Ich habe nicht versucht, etwas zu sagen.“ Aber das Thema war so schwierig, seelisch schwierig, dass es ganz einfach eine negative Stellung wurde. Und wir sahen das auch ein, und…da war ein Schwiegersohn von der Dame, von der ich gerade gesprochen habe, der Tante, und der hatte…während des Krieges war er Lieferant von Textilien. Ein steinreicher Mann. Und eine der Sachen, die ich ihm nachsage…obwohl er schon vor etlichen Jahren gestorben ist…eine der Fragen, die er hätte fragen sollen, war: „Kann ich euch helfen?“ Die Frage hat er nie gestellt. Ich habe nie was von ihm gewollt, und wenn er mich gefragt hätte, hätte ich gesagt: „Bin bisher auf meinen eigenen Füßen gestanden, ich brauche keine Hilfe. Aber Danke.“ Aber die Frage hat er nie gestellt, und das sozusagen ist übriggeblieben. Die Stellung von Leuten, die…da waren noch andere, frühere Freundinnen von Stella, welche vor dem Krieg noch in die Vereinigten Staaten kamen. Manche von denen waren ziemlich reich, ziemlich wohlhabend…weiß nicht, aber haben in guten Wohnungen an der Upper Westside gewohnt. Manche wurden religiös, manche nicht. Deren Unterstützung war minimal. Nie hatten sie uns etwas angeboten, oder gefragt: „Können wir euch helfen? Braucht ihr Geld?“ Die Fragen wurden nie gestellt. Und wir hätten wahrscheinlich nein gesagt, aber die haben die Frage nicht riskiert. Ja, der Anfang…was sonst?
PR: Sie sind nur mit Ihrer Frau gemeinsam, von Prag aus, nach Paris gefahren?
FT: Ja. Die Schwester meiner Frau war damals noch in Prag. Und wir wussten, dass wir sie auch rausbringen müssten. Das war damals noch sozusagen [19]38…no, [19]48, knapp an [19]48, bevor die Kommunisten total das Land übernahmen. Irgendwie, ich erinnere mich nicht sehr an die Details. Irgendwie, ja…sie wurde nach West…damals noch die amerikanische Zone, geschmuggelt, über die…Böhmer Wald. Ich erinnere mich nicht genau an Details. Und wir haben die dann dort aufgefasst, und hergebracht. Das war nicht einfach, denn die war auch noch auf der österreichischen Quote. Was wir taten, ist…ich werde mich erinnern. Ich fand irgendjemanden, der im Textilfach war, und der hatte sie angefordert, als Spezialistin für handgemalte Sachen. Ich meine, wir…ich erinnere mich nicht mehr genau an Details. Und auf die Weise brachten wir sie hierher. Erst nach Frankreich, und dann hierher.
Nein, wir brachten sie…à dix du soir. Aber war das in Frankreich? Ja, erst brachten wir sie nach Frankreich, und dann, als wir hierherkamen…und wiederum aufgrund einer Spezialistin für gewisse Art von Textilmalerei. Weiß nicht, wie ich das machte, damals. Es liegt schon etliche Jahre zurück.
10/00:51:13
PR: Das ist jetzt eine Frage, die wir dann sowieso bei einem zukünftigen Termin noch einmal genauer besprechen werden, aber nur, weil Sie es erwähnt haben. Sie haben gesagt, dass Sie erst ab einem bestimmten Zeitpunkt begonnen haben, ernstlich Bilder zu malen. Das war dann in Frankreich selbst?
FT: Ja. Eigentlich…Malerei. Meine ersten Zeichnungen waren in Theresienstadt. Ich glaube, ich habe das irgendwo erwähnt. Meine schriftlichen Sachen…so habe ich angefangen zu zeichnen. Die Sachen sind alle verloren gegangen, mit Ausnahmen von vier ziemlich elementaren Studien. Das sind nicht einmal ernstliche Arbeiten. Aber ich war ein Maler, bevor ich es wusste…bevor ich mir dessen bewusst war. Zum Beispiel im ersten Lager, in welchem ich war…Linden – Lípa…erinnere ich mich noch heute genau: Wir standen dort auf Straßenarbeit, weiß nicht mehr, was wir da machten…so Straßenbau, außerhalb des Lagers in der schönen Böhmisch-Mährischen Höhe. Und ich stand dann da, und sagte: „Der Weg, der zur anderen Seite ging, hatte falsche Kurve. Das sollte so herumgedreht werden.“ Nun, was ich tat, in meinem Kopf, war: corriger la nature. Ich habe die Landschaft als Maler gesehen, so wie ein Maler etwas sieht, aber irgendwie leicht Sachen ändert, um eine gute Komposition zu machen. Aber das Bewusstsein, die Erinnerung daran, kam viel, viel später. Ernstlich fing ich erst in den Vereinigten Staaten zu arbeiten an. Da wurde Malerei mein wesentliches Einkommen. Ich hatte andere Posten, Angestellte, andere…Berufe ist das falsche Wort…tat andere Arbeit. Aber war immerhin, und weiterhin ein Maler.
PR: Weil wir das auch schon einmal erwähnt haben: Sie haben mir in einem Interview erzählt – wenn ich es richtig in Erinnerung habe –, dass Sie die ersten Gehversuche in Französisch in einem Lager gelernt haben? Sie haben kein Französisch gesprochen in--
FT: --ich habe sehr wenig Französisch gesprochen. Weil ich hatte etwas Französisch in der Schule, aber kaum…nicht wert, als Sprachkenntnis zu beschreiben. Ich sprach Englisch, aber nicht Französisch.
PR: Und wo haben Sie dann Französisch gelernt?
FT: In Paris. Sozusagen auf…picked up. Ich spreche auch heute grammatikalisch nicht sehr gut. Ich hätte Schwierigkeiten einen guten Brief zu schreiben, allerdings habe ich auch Schwierigkeiten heute einen guten tschechischen Brief zu schreiben, weil das schon viel zu lange her ist. Und selbst in Deutsch muss ich vorsichtig sein, keine groben Schnitzer zu machen.
PR: Aber bevor Sie nach Paris gefahren sind, waren Sie diejenige Person, von ihnen beiden – Ihrer Frau und Ihnen –, die ein bisschen Französisch gesprochen hat.
FT: Ja. Ein bisschen. Aber sehr wenig. Sie werden das französische Wort kaum kennen: se débrouiller. Das heißt, sich irgendwie durchwurschteln [sich behelfsmäßig, unzulänglich durchbringen]. Débrouiller ist: aus dem Gas herauszukommen. Und stammt von der Erfahrung während des Ersten Weltkrieges, wo Gasangriffe waren. Und jemand, der diese Gasangriffe überstand was a débrouilleur. Brouiller ist so der Gaszustand, débrouiller ist herauszukommen. So, das Wort débrouillard wurde ein Teil der französischen Sprache. Das, was ich war: débrouillard. [Lacht.]
10/00:56:12
PR: Wann haben Sie Frankreich verlassen, ungefähr, und wann sind Sie nach Kanada gegangen?
FT: Ein Jahr bevor wir herkamen. Wir waren erst in Toronto…nein, ich weiß, was passierte. Während wir in Frankreich waren, arrangierten wir ein Immigrationsvisa für meine Schwägerin. Und die war in Toronto. Und die hatte erreicht, uns Papiere zu finden, um nach Kanada zu kommen. Die war in Toronto, folglich sind wir in Kanada zuerst nach Toronto gefahren, und dann später nach Montreal. Toronto war damals ein etwas größeres Dorf. 1950 oder so. Die Universität hatte einen Buchladen, sonst war nur ein Buchladen dort. Wenn man zu den Großhäusern ging…ich vergesse den Namen, Eaton’s, Simpson’s. Die hatten keine Buchabteilung. Die hatten nur so eine Stellage mit Büchern, und sagten: „Ja. Wir können jedes Buch für Sie finden. Was auch immer Sie wollen.“ Aber ein Buchladen bestand nicht. Die Universität hatte deren eigene Bücherei, aber im Wesentlichen auf technische Sachen beschränkt. In Toronto war eine Kunstgalerie, auf der Bloor Street. Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Heutzutage ist Toronto eine Großstadt. Aber damals war das Montreal. Und dann…die politische Situation war, dass…Québec versuchte unabhängig zu werden. Sie haben dann auch eine gewisse Unabhängigkeit erreicht, woraufhin alle die großen Geschäfte, alle die großen Firmen, die in Montreal saßen, nach Toronto gingen. Das heißt, Toronto existierte als Großstadt, weil Montreal herunterging. Und erst in den letzten Jahren ist überhaupt Montreal heraufgekommen, aber es ist immer noch der Konflikt zwischen katholischem, französischem Québec, und darüber dem Rest…anderen Teil des Kanadas ist noch sehr im Vordergrund. Die Franzosen wollen keine englischen Titel haben, und der Westen will nicht französische Titel auf deren Einkäufe haben. Während…im Augenblick muss alles ein bisschen bilingual sein. Aber die Franzosen wollen es nur monolingual haben. Bin auf die Quebecer nicht gut zu sprechen. [Lacht.]
10/00:59:30
PR: Und die Zeit des Lebens selber, in Kanada? Wie haben Sie die in…
FT: Ich hatte zwei Jobs. Einen, Levy Euro-Parts in Toronto, kurze Zeit nur. Und ein anderer nachher in Québec…[unklar] Miles, eine pharmazeutische Firma, wo ich wiederum im Wesentlichen Statistik machte, Produktion. Aber, sozusagen…es war eine Zeit, sozusagen eine Zwischenzeit. Ich war nicht ernst, Kanadier zu werden, wusste, dass wir herkommen würden. Lebten sehr einfach und bequem. Wir haben immer, bis heute, ein einfaches Leben. Meine Anforderungen, die physischen…nein, ich suche das richtige Wort. My desires for earthly goods. Nun versuche ich das zu übersetzen. Mein Suchen für weltliche Gegenstände, oder Erfolg, waren immer sehr einfach, habe immer sehr einfach gelebt. Nie irgendeinen Luxus gebraucht. Und wenn es kam, hat es keinen großen Sinn gehabt. Bis zum heutigen Tag esse ich sehr, sehr einfach, vegetarisch, ein Stück Brot, ein bisschen Käse. Nur eine der luxuriösen Sachen, die ich habe: Ich habe auch gerne in der Früh eine Tasse Kaffee. Aber…wenn Wein serviert wird, ein bisschen. Nur sozusagen, um freundlich mit zu sein. Aber würde ich alleine nie in ein Restaurant gehen, und Wein anfragen. Dasselbe System bestand seit eh und je, und ist auch heute noch so. Ich lebe im Augenblick, wie Herrgott in Frankreich, und habe ein großes Haus. Ein studio ganz für mich allein. Ich habe eine liebe Frau, einen Sohn, ein Dach über dem Kopf…das ist ein bisschen löchrig…aber genug zu essen. Ich habe alles, was ich brauche.
Ende von Teil 10
Teil 11
2. September 2008
PR: This is part nine of an Austrian Heritage Collection Interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on September 2nd 2008. Herr Terna, wir sind das letzte Mal – vor einem Monat –, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, in Kanada stehengeblieben. Sie haben mir erzählt, wie Sie von Frankreich nach Kanada gekommen sind, was Sie in Kanada gemacht haben. Ich würde jetzt gerne wieder bei dem Punkt, wo Sie sich dann entschlossen haben, von Kanada in die USA zu gehen, stehenbleiben, und fortsetzen.
FT: Wir waren vor etlichen Jahren – vor Kanada – registriert, um auf die österreichische Quota…da sowohl meine Frau, damals Stella, und ich, beide Österreicher…beide in Wien geboren waren, waren wir auf der österreichischen Quota. Und die österreichische Quota war ganz miserabel tief, denn das hat mit amerikanischer Außenpolitik, oder Innenpolitik, zu tun. Das Quota-System war darauf aufgebaut, alle unerwünschten Osteuropäer aus dem Land weg zu halten. Das heißt, das war der sogenannte McCarran Walter Act, und hat sehr gegen alle anderen Gruppen…Wände, oder sozusagen…nicht Wände, sondern Zäune aufgestellt, um auch die Leute wegzuhalten. Die präferierten Leute waren Deutsche, Engländer, Schottländer, bayrisch, aber nicht Leute aus slawischen Ländern, oder Italienisch. Das Ganze war ein Skandal, und es hat wirklich erst vor etlichen Jahren aufgehört…das ganze Immigrationsgesetz hat sich geändert. Folglich konnten wir nicht direkt in die Vereinten Staaten kommen, und mussten selbst in Kanada auf das Visum warten. Und das kam auch endlich durch, und das war im [19]52, und wir fuhren per Zug nach New York.
Wir hatten New York vorher einmal besucht. Stella, meine damalige Frau, oder erste Frau, hatte einen Onkel hier. Hatte Verwandte hier, nicht nur einen Onkel, auch eine weitere Familie, welcher es gelungen war, vor dem Krieg noch, aus Wien wegzufahren. Oder auszureisen. Die waren also schon etabliert. Als der Krieg zu Ende kam, hatten die alle schon Stellungen, und lebten ein verhältnismäßig normales Leben. Wir hatten sie vor unserer Abreise, ungefähr 1951…waren wir hier in New York, um sie zu besuchen. War ein nicht besonders erfreulicher Besuch. Das hat mit…das ist sozusagen ein anderes Kapitel, nicht persönliche Ereignisse, sondern die Stellung dieser Familie – oder Stellas Familie – uns gegenüber. Die waren irgendwie unangenehm berührt davon. Die wussten nicht, wie sich zu benehmen. Die wussten natürlich, dass der Rest der Familie umgekommen war. Und eine der Tanten, Gisela Horner…ich sollte…nein, ist niemand mehr am Leben, der ein Nachkomme wäre, der das wüsste, der von dem betroffen wäre. Es sei denn, dass da Enkel und Großenkel sind, die mich natürlich bequem anklagen könnten, aber Tante Gisela hat… Das Erste, was sie uns gesagt hat, ist: „Ich will nicht davon hören, ich kann das nicht hören. Sprecht nicht von der Zeit vor dem Krieg, oder während des Krieges.“ Ich verstand genau, worum es da geht, was da ihre Stellung war. Und im Wesentlichen war das auch die Stellung der übrigen Familie. Da war unter denen auch einer der Schwiegersöhne, der während des Krieges nicht im Militär…Krieg, das waren [19]39 [bis] [19]45…ich weiß nicht, warum er nicht eingeholt wurde…und war ein Textilmann. Der hat während des Krieges viel Geld gemacht. Ein ziemlich wohlhabender Mann. Als wir hier ankamen, hat er eine Frage nie gestellt, und ich habe das sehr gegen ihn gehalten. Ich hätte ihn nie darum gefragt, uns zu helfen, aber er hat nie die Frage gestellt: „Ist da irgendetwas, was ich für euch tun könnte?“ Die Frage kam nie auf. Und irgendwie illustrierte das die Beziehung, oder die Stellung, der früh Eingewanderten zu den Nachkriegseingewanderten.
11/00:06:22
Die ganze Familie ziemlich unerquicklich, habe mit denen Minimum Kontakt gehabt, so auch Stella, hatte mit denen kaum eine Verbindung. Wir kamen hier an, und hatten einem der Onkel geschrieben, dass wir an dem und dem Tag von Montreal ankommen würden. Und das war ungefähr alles. Ohne genau zu sagen, wo und wann. Das war Grand Central Station, natürlich, 42nd Street, und ganz einfach ausgestiegen, und Taxi genommen. Wir hatten damals Freunde hier, die auch aus Wien stammten. Die vor uns ausgewandert waren, auch aus Paris wegfuhren. Ein Mann, von dem in Wien noch etliche Spuren wären, Hugo Rappart. R-A-P-P-A-R-T. Er war ein Feuilletonist für verschiedene Wiener Zeitungen, und war ein Journalist. Dessen Tochter hatte für uns ein Zimmer gemietet, ich habe ihr gesagt, ich will nichts Elegantes, irgendwo, dass wir einmal ein paar Wochen unterkommen könnten, um uns dann einen richtigen Platz zu finden. Dann hatte sie uns ein Zimmer gefunden, in einem subbasement oder basement in damals 70…ich weiß nicht die Nummer genau…West 70s, und der Platz war so schrecklich, dass ich gesagt habe, wir ziehen da nicht ein. Und haben das Telefonbuch genommen, und ein billiges Hotel gefunden, in der Nähe. Paris Hotel auf der 87th Street und Westend Avenue. Damals ein Hotel, das monatlich Zimmer vermietet hatte. Das war unsere erste Adresse in New York. Und kurz darauf hat Stella einen Job gefunden, und ich hatte noch weiter gesucht…Arbeit zu finden. Aber haben in der Nähe, 838 Westend Avenue, ein kleines Apartment gefunden. Das war ein früherer…ein Penthouse. Penthouse hat einen sehr eleganten Namen, es waren aber die…das alte Gebäude stammte aus dem…weiß nicht, Nachkriegs…1915, sowas. Fünfzehn Stockwerke, und oben am Dach waren kleine Zimmer für Leute, die im Haus angestellt waren. Das natürlich war…die Leute, deren Funktion existierte nicht mehr, und die hatten kleine Apartments daraus gemacht. Wir zogen ein, in das Hotel Paris, und sechs Wochen später wohnten wir in einem Penthouse. Nun, spaßhaft sage ich da: ein erfolgreicher Mann, nicht? Komme nach New York, fing an in einem subbasement im spanischen neighborhood, und sechs Wochen später war er in einem Penthouse. Ohne zu erwähnen, dass das kein so elegantes Penthouse war. [Lacht.] Es waren zwei kleine Zimmer, und eine kleine Küche am Dach, wo die Wassertürme waren. Wir hatten großartig viel Platz außerhalb, aber innerhalb war da wenig.
11/00:10:42
Ich fand dann einen Job, es war mein erster Job. Louid Vacuum Cleaners. Das ist eine Fabrik. Eine der Gebäude in Brooklyn…waren zehn Stockwerke. Das Haus existiert noch heute, Gretsch Building, und wenn man über die Williamsburg Bridge fährt, auf der rechten Seite, so zwölf Stockwerke hohes, heute ein Apart…sehr elegantes…nicht Apartments, sondern condominiums, ich weiß nicht die genaue legale Form. Aber damals waren das Industrie, und die Gretsch, in Louid Vacuum Cleaners, die haben auch wirklich vacuum cleaners hergestellt, aber nur so den einen Winkel in den zwölf Stockwerken haben die Vacuum Cleaners…der Rest war alles industrielle Sachen für die Navy. Denn das Haus stand praktisch an der Grenze des Navy Yard. Und das scheint deren gute Verbindung gewesen zu sein, denn der Navy Yard hat die Möglichkeit, Sachen zu bestellen, und fast im Augenblick Lieferung zu bekommen. Habe sehr viel dort gelernt. Aber ich wurde ein expediter. Expediter ist jemand, der einen Job durchschiebt. Expediter…wie würde man das auf Deutsch sagen? Weiß ich eben nicht mehr. Jemand, der vorschieben…nein, da muss es irgendwo ein gutes Wort dafür geben. Ich war dort nur kurze Zeit, und hatte unglaublich viel gelernt. Das war die Zeit des Krieges in Korea. Und mein Job war, Blueprints…Blueprints, was sind das, technische Zeichnungen…gegeben, und Produktion, production control and material control, das sind nun technische Sachen. Wie eine Sache herzustellen. Das heißt, wenn ein Ingenieur Pläne macht, die Pläne haben, müssen dann verarbeitet werden, um die Bestandteile festzustellen, das ist material control, soundso viele Schrauben, Räder, Blech, was auch immer in einem Produkt geht, und dann kam the production control, wie die dann auch zusammen ging, die Bestandteile der vielen Produkte zusammengestellt werden mussten, und dann auch hergestellt werden. Jetzt habe ich zum Beispiel…eine der Produkte, für die ich verantwortlich war, das war der Erste, waren Motor…nein, das waren Fächer, ein fan…wie nennt man das? Fächer? Nein.
PR: Ventilatoren.
FT: Ventilatoren für kleine Telefonbuden, die… Damals waren die Telefonbuden in jeder…das Telefon war nicht freistehend, sondern in einem kastenartigem…und hatten auch diesen Ventilator oben, denn das war ein geschlossener Raum, und hat sozusagen bisschen frische Luft herumgeschoben. Das ist eines meiner Produkte…einer meiner Aufgaben war: Hier sind die Pläne, hier ist production control, material control, und die ersten Modelle zur Inspektion, sieben Wochen, und dann nach acht Wochen ein production run, und nach zehn Wochen full production, soundso viele per Tag.
11/00:15:32
War sehr interessant, habe sehr viel über amerikanische Produktion gelernt. Aber habe auch gelernt über den Druck…das ganze System war unter unglaublichem Druck, schnell und billig, und präzise herzustellen. Die expediters, es waren ungefähr zehn expediters in der großen…mit zwölf Stockwerken. Und zwei Leute hatten einen Herzanfall, während ich dort war, überarbeitet, unglaublicher Druck. Habe ich mir gesagt: „Das brauche ich doch wirklich nicht, deswegen bin ich nicht hergekommen.“ Und habe einen anderen Job gesucht, war eine kurze Zeit lang office manager in einem Importgeschäft für katholische Kirchengegenstände. Das war hochinteressant. Denn die importers waren alle Juden. Der Grund war ziemlich offensichtlich nach kurzem…mir offensichtlich. Denn Geschäftsentscheidungen konnten nicht auf gefühlsmäßige Basis gestellt werden. Das heißt, nur jemand, der ganz davon unabhängig war, konnte entscheiden, ob ein plaster saint…wie nennt sich das auf Deutsch? Ja, war eine Gipsfigur…ja plaster ist Gips…auch richtig hergestellt wurde. Oder sollte diese oder jene hergestellt werden. Und dann bestand da eine hierarchische Tradition, dass sie gewisse Heiligenstatuetten…das sind gewesen nur so kleine Sachen, so in einer gewissen Art traditionelle Formen hatten. So zum Beispiel, eine der Statuetten war the infant Jesus of Prague. Irgendwo in Prag, in Břevnov, ich weiß wo. Die originale Statue ist besonders günstig, um auch Gebete an die richtige Adresse zu bringen. Zum Beispiel erinnere ich mich, dass der Mann, ein Herr Keller, hat gesagt: „Das muss ich doch irgendwo anders billiger herstellen können.“ Damals war Japan noch sozusagen im Aufstieg, hatte eine kleine Statue, die sehr schön gemacht war, in Holz in den Dolomiten, und hat das nach Japan geschickt. Die haben gesagt: „Ja, das können wir machen“, und haben ihm daraufhin ein Muster geschickt, das Muster war großartig. Alles aus Porzellan. Er hat angefangen mit Holzschnitzereien, das war dann aus Porzellan, da hat er gesagt: „Sehr gut, schickt mir die erste Produktionsgruppe“, sozusagen, um zu sehen, wie das auch…nicht nur zwei, drei handgemalte Statuen. Und da kam ein Paket mit hundert Prager Jesuskind, und alle hatten orientalische Augen. Sie schauten aus, wie junge Japaner. [Lacht.] Was macht man dann? Das ist wohl der Grund, warum die importers nicht Katholiken waren. Und dasselbe gilt auch für jedes religiöses object.
11/00:19:58
Zum Beispiel war es meine Pflicht die 100…oder, wie viele es auch damals waren…diese schönen, japanischen Statuetten ganz einfach den Kopf abzuhauen, in eine Kiste zu werfen, um sie zu brechen. Das wäre für einen Katholiken wahrscheinlich schwer. Aber für mich gar kein Problem, und für meinen Boss gar kein Problem. Selbst, man konnte sie auch nicht weggeben, denn das hätte den Leuten, die eventuell die Verkäufer waren, große Schwierigkeiten gemacht. Das heißt, Import war jüdisch, alles andere, die Grossisten und die Geschäfte, und die kleinen Geschäfte, die das verkauften, waren natürlich alle katholisch. Italiener, oder Puerto Ricaner. Ich hatte meine Schwierigkeiten mit dem, weil ich…ich hatte dort ein vernünftiges Einkommen, aber es hat mir nicht zugesagt. Während der ganzen Zeit habe ich immer gemalt. [Hustet.] Und hatte mir gesagt, jetzt versuche ich einmal mehr Kunst herzustellen. Und habe Bilder gemalt, konnte aber nicht gut verkaufen. Und…ich bin ein schlechter Promoter. Ich sage immer, ich bin der zweitschlechteste im Land. Irgendjemand muss noch dümmer sein als ich. [Lacht.] Aber habe auch eine Zeitlang für Textil-converter…converter sind Leute, welche hohe Baumwolle drucken. Und habe Designs gemacht für…nicht für Kleiderstoffe, sondern im Wesentlichen für Möbelstoffe, billige Möbelstoffe. Und habe verhältnismäßig gut verkauft, war Freelancer, und…ich weiß das deutsche Wort nicht für freelance, wahrscheinlich auch freelance. [Lacht.] Eines Tages sagte ich: „Was ich da herstelle, ist für den Markt. Ich mache einmal ein paar Gute.“ Und habe so 30, 40 neue Zeichnungen gemacht, Designs. Und versuchte sie zu verkaufen, habe aber nicht genug gehabt von diesen Zeichnungen, und hatte den alten Schund dann mit hineingenommen. Ging weg, ging also in die Stadt, um das zu verkaufen, und habe nichts von den neuen verkauft, aber die gesamten alten stuff. Die alten Sachen habe ich verkauft.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Dann habe ich mit den Sachen, die ich verkauft hatte…habe ich plötzlich genug Geld in der Tasche, um ein paar Monate zu leben, habe mir gedacht, jetzt werde ich einmal malen. Plötzlich habe ich dann auch verkauft. Und es war nicht ich, der verkauft hat, sondern meine Frau, Stella. Und von dem Tag an habe ich keine kommerzielle Textilsachen mehr gemacht, sondern nur mehr gemalt. Habe auch einige Grafiken gemacht, habe…Stella hat Galerien für mich gefunden. Wir haben kein großes Einkommen davon gehabt, aber genügend, um Miete, und food, und was auch immer man zum Leben braucht. Ich war nie bemüht…das heißt, wahrscheinlich vom Temperament aus…sozusagen, mich selbst zu verkaufen. Und heute weiß ich viel mehr über den Markt, wie man sich auch als Künstler benehmen sollte. Das ist natürlich ein Thema, das ganz entfernt ist von dem worüber wir sprechen, aber da ich Maler war, habe ich sozusagen immer wieder Leute gefunden, die meine Bilder kaufen wollten. Ohne, dass ich versucht hätte, wirklich auch eine Person zu werden, die bekannt ist, deren Bilder in Galerien, in Museen wären, habe das nie versucht, war immer nur interessiert, Bilder herzustellen. Bilder zu malen.
11/00:25:10
Nun ist das schon an die 50 Jahre her, seit ich ernstlich… So sehe ich mich als Maler, aber habe die Malerei…wiederrum, das ist eine Einsicht, die erst viel, viel später kam. Malerei war eine Therapie für mich, ist es auch vielleicht bis heute. Das heißt, um mich seelisch in vernünftiger Balance zu erhalten, benütze ich die Malerei. Das heißt, ich missbrauche es. Und…Missbrauch ist vielleicht das falsche Wort dafür, denn immer wieder war Malerei eine Art, mit der Vergangenheit zu handeln. Die Kriegsjahre sind in den Bildern. Und selbst wenn die Verbindung nicht offensichtlich ist, so weiß ich, dass da eine Verbindung ist. Das heißt, um mit der Vergangenheit sich recht zu stellen, oder seelisch recht zu stellen, war Malerei ein wichtiges Element. Zum Beispiel: Ich habe noch Bilder hier, schöne Landschaften, sonnige, richtige schöne Landschaften. Wann auch immer ich solche Bilder malte, fragte mich meine Frau: “What is bothering you?“ „Was stört dich? Was sind deine Probleme?“ Denn sie wusste, dass ich mich sozusagen entfloh, in die schönen Bilder. Nun, wie steht natürlich dann die very praktische Seite, was man auch mit Bildern tut, die nicht so schön sind. Und ich wusste, dass ich nur soundso viele Bilder über Konzentrationslager malen könnte, anders…wem verkauft man die? Niemand will diese Bilder haben. Und so war eine Balance da, und so sind Bilder, die offensichtlich nicht thematisch mit den Kriegsjahren verbunden sind, sind sie doch verbunden. Zum Beispiel, wenn Sie sich hier umdrehen. Sehen Sie dort das Bild an der Wand? Eine schöne grüne, sonnige… Und in der Mitte das Quadrat? Das Quadrat kommt aus einem andern Bild her, das Sie unten vielleicht gesehen haben, und das ist das Krematorium – Ofen. Das ist sozusagen die seelische Genesis dieses Bildes. Und so male ich auch weiterhin Bilder über dieses Thema, ohne dass es auch wirklich sichtbar wäre. Ich könnte Ihnen Sachen herausziehen, und Ihnen zeigen, wie diese Bilder irgendwie zusammenhängen mit der Vergangenheit. Deswegen hatte ich Ihnen unten gesagt, dass eine Verbindung besteht zwischen Bildern und meinem Interview. Natürlich ist das meine Interpretation. Jemand anderer mag sagen: „Na [Nein], das stimmt gar nicht. Siehst du nicht soundso?“ Und das passiert auch hin und wieder, dass ich etwas male, und andere Leute sagen mir, was ich da auch gemalt habe. Ich müsste mit ihnen durch…ein Teil dieses Interviews sollte eigentlich a slideshow sein. [Lacht.] Die Bilder, mit deren Interpretation zu verbinden. Da ich ein Maler bin, ist ein Teil meiner Sichtbarkeit, oder Hörbarkeit, nicht nur das Wort, sondern auch das Bild. Ich spreche viel über Malerei, wenn ich unter Freunden bin, oder wenn die Gelegenheit auch richtig ist. Man malt sich immer selbst, es ist…jeder Maler, der nicht fotografisch etwas herstellt, malt sich selbst. Viel mehr so heutzutage, als in alten Zeiten.
11/00:31:03
Das heißt, die Funktion der Malerei hat sich geändert. In alten Zeiten war Malerei eine Form der Vermittlung von Information. Das heißt, wenn sie ein schönes Haus hatten, dann hatten sie einen…vor 200 Jahren, waren reich, und hatten die jemanden, der das Haus malte, und vor dem Haus saßen sie dann mit der Frau und den Kindern, und das schickte man dann seinem Onkel, irgendwo hunderte von Kilometern weit entfernt, um zu zeigen, wie gut es uns auch geht. Wie nobel und elegant wir sind. Die Funktion verschwand mit der Erfindung der Fotografie. Das heißt, die Information, welche eine Fotografie…welche in alten Zeiten ein Bild war, wurde durch Fotografie ersetzt. Zum Beispiel hat [Hans] Holbein die Beute des englischen Königs Henry VIII…das war Information. Der hat ihn ausgeschickt: jetzt zeig mir, wie schaut die auch aus? Holbeins Geschick war nicht nur ein gutes Bild zu malen, sondern auch den Charakter der Person zu erfassen. Diese Funktion verschwand mit der Fotografie. Folglich ist Malerei heutzutage ein anderes Metier als in alten Zeiten. Deswegen versündigt sich auch Malerei, um Sachen herzustellen, welche gar keinen Sinn haben. Wenn manche Leute sagen, es ist eine Schmiererei, haben die auch ganz recht. Aber wiederum, jeder malt sich selbst…die Schmierer malen sich selbst.
Ich hatte Ausstellungen hier, sprach hier und dort…und vielleicht einer der Gründe, warum ich nicht so viel Promotion…nein, wie ist das deutsche Wort? Promotion? Keine Ahnung. Stella war krank, Stella war manisch-depressiv, das heißt bipolar. Und schwankte zwischen Selbstmord und Exuberanz, oder Überschwänglichkeit. Hatte viele Male versucht, Selbstmord zu begehen. So war ich…während der Zeit, während den Jahren der Ehe, wurde das schwerer und schwerer. Irgendwo in den frühen [19]60er-Jahren war plötzlich ein Umbruch. Ich weiß nicht, was passiert war. Irgendwo in einem Interview, irgendwo ging etwas schief. In ihrem seelischen Leben. Und von der Zeit an sah ich es als notwendig, zuhause zu sein. Das heißt, ich hatte nicht die Seelenruhe wegzugehen, den ganzen Tag lang. Nicht viel später wurde sie…eines Tages war sie in so schlechtem Zustand, dass sie ins hospital gehen musste. Das war von dem Tag an, in den [19]60er-Jahren…war sie fast die ganze Zeit in einem hospital, zurück nach Hause – hin und her. Es war eine ziemlich schwierige Zeit, da ich natürlich nicht genug Versicherung hatte. Und nicht genug Einkommen hatte, um auch das alles zu bezahlen. Das heißt, was auch immer ich an Geld zusammenkratzte, das verschwand während dieser Jahre. Ich habe sehr viel über bipolar depression gelernt. Das Erste, was ich tue, wenn etwas passiert, ich gehe in die Bibliothek und fange an zu lesen. Ich war damals, Ende [19]60er-Jahre, wohl informiert über Serotonin, oder Hydroxitriptophane, das ist…müssen Sie nicht nachschauen, wie es zu schreiben ist. [Lacht.] Ist nicht wichtig. Aber das war sozusagen an der Grenze der Erforschungen der fachwissenschaftlich, medizinisch-wissenschaftlich…um zu verstehen, was auch da vorgeht.
11/00:36:48
Der Begriff bipolar depression, ich weiß nicht, wie das auf Deutsch hieße, kam damals mehr in den Vordergrund. Leute waren entweder deprimiert, oder manisch. Aber manic depression als ein syndrome, das kam erst damals auf. Einmal war sie nicht in guter Verfassung, da ging ich zum Doktor, und sagte: „Hören Sie, irgendwas stimmt nicht.“ Und der Arzt hat sie untersucht, wollte mit ihr sprechen, und gesagt, sie geht ins hospital. Habe ich gesagt: „Warum? Wenn sie nicht besser oder schlechter ist, als in den letzten zwei Monaten.“ Sagt sie: „Ja, aber du sinkst, und du brauchst ein bisschen Distanz.“ Es war eine schwere Zeit. [Lärm im Hintergrund.]
Eines der Elemente, das ich unterlassen habe, hier, ist Stellas Schwester, und…Stellas Schwester war einmal kurz verheiratet, in Prag, geschieden, wir brachten sie nach Kanada, und von Kanada eventuell hier. Sie lebte auch nicht weit entfernt. Eva, the name. Eva Horner war eine komplizierte Person, und beschuldigte mich, der Grund von Stellas Depression zu sein. Das kam nicht direkt, es wurde nicht so ausgedrückt, aber es war ziemlich offensichtlich. Eva hat immer wieder versucht, innerhalb der Ehe Sachen richtigzustellen. Und ich sah dann eventuell, dass Eva versuchte, wirklich eine Ehe zu dritt zu haben. Eifersucht, nein, das war es nicht, aber ich bin mir nicht sicher, wie viel Eva wusste. Dass da ein Dreieck war, das ungesund war. Ich habe versucht Eva wegzuschieben, das hat sie natürlich nicht gern gehabt. Eines der Details ist, Eva war bipolar depressive. Das hat mich natürlich nach den genetics geschoben, und ich wusste, dass Stellas Mutter – und ich kannte sie vor dem Krieg knapp, nicht während des Krieges, bevor ich eingezogen wurde, ins erste Lager – war sozusagen das Kind in der Familie. Sie hatte drei Kinder. Damals war sie…musste 50 Jahre alt sein, am Anfang des Krieges, bin mir nicht sicher, wann sie geboren war. 1900 und Etliches. Sie hatte in Wien Migräne, das heißt, es waren…ich kannte nicht…war mir dessen nicht bewusst, dass sie auch in der Situation war. Aber ich wusste dann später in Prag, dass sie in Wien tagelang nicht aus dem Zimmer gehen wollte, gewisse phobias hatte. Was das war, ich bin nicht qualifiziert das zu sagen. Aber ich weiß, dass da ein seelischer Zustand war, der nicht positiv war. Dasselbe galt für die Großmutter, welche ich auch vor dem Krieg, noch innerhalb deren Haushalt, kannte. Die war nur bekannt als eine komische alte Dame. Die hatte so ihre Schrullen. Das war sozusagen der Eindruck, den ich hatte. Nun, zurückdenkend: Da war eine Großmutter, die hatte ihre Schwierigkeiten, und eine Mutter, die hatte psychologische Probleme, und da ist eine Schwester, und dann Stella. Es ist anscheinend ein…genetic ingredient zu sein. War es…ich weiß es nicht.
11/00:42:00
Eva endete durch Selbstmord. Und Stella hatte versucht, mehrere Male, sich selbst…Selbstmordversuche. Das war sozusagen das Ende der Ehe. Das Ende der Ehe war technisch…Eva brachte Stella dazu, sich von mir zu scheiden. Das heißt, sie war der Agent, nicht ich. Und Eva glaubte, dass sie das Ganze besser behandeln könnte als ich. Eva war die typische, älteste Tochter, welche sieht, dass die Familie nicht funktioniert, und sagt: „Ich habe die Energie, ich habe das Wissen, um auch diese Familie zusammenzuhalten, und richtig zu leben.“ Und ich sagte: „Ja, unterschrieben. Großartig.“ Nicht großartig, sondern ich habe es akzeptiert. Ich war weiterhin mit Stella noch…technisch geschieden, aber immer wieder da, mit finanzieller Hilfe, was auch immer ich machen konnte. In gewisser Hinsicht war es einfacher für mich, weil ich nicht finanziell für die medizinischen Sachen, medizinische Kosten, aufkommen musste. Wenn kein Geld da war, do not ask me. Ich habe es nicht. Ich bin auch nicht der Mann.
[Übergang/Schnitt.]
Ende von Teil 11
Teil 12
FT: Nun, zwischen Stella und Rebecca, in den Zwischenjahren war ich mit verschiedenen anderen Frauen verbunden…es war hauptsächlich…physical companion. Nur eine Frau darunter, Margot…und ich werde den zweiten Namen nicht erwähnen, den Familiennamen, denn die Töchter sind noch hier. Margot und ich…war eine sehr komplizierte Ehe, ich kannte ihren Mann, und waren gut befreundet. Das Arrangement…wie heißt arrangement? Doch, ist das deutsche Wort dafür, ja. Zwischen Margot und ihrem Mann war ziemlich klar, ich war der Spezialist, seelisch und physisch. Aber sie war mit ihm verheiratet. Da waren zwei Töchter, sind zwei Töchter. Margot war – ich komme im Augenblick dazu – hochintelligent, sehr gut erzogen, einsichtsvoll, hatte ihre Bedürfnisse. Und irgendwie war ich der Spezialist, der diese Bedürfnisse seelisch und physisch beantworten konnte. Eines habe ich versucht: sehr vorsichtig zu sein, nicht die Ehe zu brechen. Das war sozusagen stillschweigend akzeptiert. Eines werde ich nicht tun. Nun war ich nicht der Erste in Margots life, or Margots Ehe. Da waren vor mir zwei andere Männer. Beide kurz Teilnehmer, ich kannte beide nicht. Ich kannte einen von denen. Beide wollten heiraten, und heirateten auch jemanden. Dann kam ich, und ich wusste, dass ich Margot nicht heiraten würde. Und nachdem da ein Bruch war, und das war…es geht nun schon…25 Jahre her, dasselbe passierte mir. Ich habe Rebecca geheiratet. Und nach mir kam noch jemand. Nun, es hatte leider vor kurzem ein Ende. Margot bekam Krebs, war operiert, und starb ungefähr…nicht einmal ein Monat, seitdem sie gestorben ist. Ich bin noch weiterhin mit den Töchtern in Verbindung, mit dem Mann in Verbindung. Aber es wird wohl verstanden. Die Töchter wissen…eine der Töchter weiß genau, was da vorging. Die sind aber jetzt an die 50 Jahre alt. Und ich kannte die, wenn sie noch Schulkinder waren, Margot…ich habe das mit einer der Töchter besprochen. [19]69, [19]70 ungefähr, war die Verbindung mit Margot schon da.
Und, well, unterdessen habe ich gemalt, hatte Ausstellungen, keine großen Erfolge, keine großen Misserfolge. Immer wieder genug verdient, um auch ein Dach über dem Kopf zu haben, zu essen, sich zu kleiden, und auch die kleinen Vergnügungen des Lebens, Theater und Konzerte, und was auch sonst. Und hin und wieder auf einen Urlaub zu gehen…nicht Urlaub, auf Reisen zu gehen. Darunter auch eine Reise nach Wien, [19]68 ungefähr. Ich wollte mal zurück nach Wien fahren. Nicht so sehr, um Wien zu sehen, das war mir nicht so wichtig, aber herauszufinden, wie ich auch mich da stellen würde. Wie ich mich seelisch fühlen würde. Und hatte arrangiert, Monate vorher, in die Staatsoper zu gehen, um Cosi fan tutte zu sehen. Einen Sitz gekauft, weiß nicht wie viele Monate bevor, und dann das Ganze so geplant, dass ich auch dort wäre. Ich kann Ihnen genau das Jahr sagen, nicht genau das Jahr…Sie können genau herausfinden, damals bestand…war ein World Cup…ist das das word für Fußball? Österreich gegen Schweden, und das war außerordentlich wichtig, 1968/69, ich weiß nicht, Sie müssten das nachsehen, das war vor Ihrer Zeit. [Lacht.]
12/00:05:58
Und Wien war ganz verrückt, das war das einzige Thema, das besprochen wurde. [Lärm im Hintergrund.] Und ich ging zur Staatsoper, hatte keinen besonders guten Sitzplatz, aber gut genug. Soweit ich infrage kam, eine erstklassige Vorstellung, langweilig wie es nur sein kann. Großartig gesungen, großartig musikalisch, die feinste Wiener…Philharmoniker. Aber die haben es erreicht, Cosi fan tutte langweilig zu machen. Dazu gehört Talent. Und als ich herausfand, dass dieses Fußballfieber da war, dachte ich mir: Jetzt kann ich ja auch noch an andere Plätze gehen. Ging zurück zur Oper, und habe prompt für den nächsten Tag The Barber of Sevilla Tickets…Sitz gefunden. Und wiederum, musikalisch großartig, aber als Vorstellung…nicht langweilig, aber flach. Wenn all der Spaß, den eine komische Oper hatte, war komplett verloren gegangen. Steif gesungen, warum weiß ich nicht, aber wie gesagt, der Akzent war…der richtige Ton, das richtige musikalische Gefühl, ohne auch die richtige operatische…das operatische Thema, nämlich ein Gesamtbild herzustellen.
Während ich in Wien war, war eine meiner Tanten noch in Wien. Die war damals schon ziemlich alt, an die 70. Und sehr liebe Leute. Die waren in Israel während des Krieges, und da der Mann ein Angestellter des Staates war, ich bin mir nicht genau…den legalen Sachen nicht bewusst. Er wurde entlassen, irgendwie erreichten sie damals noch Palestine, und nach dem Krieg hat die österreichische Regierung die Leute, die sozusagen Staatsangestellte waren, zurückgenommen, in so einer Position, in welcher sie gewesen wären, wenn sie normale Erhöhungen des Einkommens, oder Position…oder so. Er hatte ein bequemes, wenn auch nicht großartiges, Einkommen durch den Staat, und gingen deswegen zurück nach Wien. Sie waren sehr liebe Leute. Sind natürlich vor langen Jahren gestorben. Aber während ich in Wien war, ich weiß nicht wie es aufkam, zwei oder dreimal. Das Wort ‚Saujude’ wurde nicht ausgesprochen, aber so was in dem Ton. „Ihr Juden!“ Und ich fühlte mich ziemlich unbequem, damals. Und habe mir gesagt…ich wollte ursprünglich eine ganze Woche bleiben, bin draufgekommen, ich brauche das gar nicht, und habe mich auf den nächsten Zug gesetzt, und fuhr nach Italien. Ich hatte damals noch einen Freund, der in Milano war, und ich fuhr erst nach Verona, dann nach Milano. Ich hatte einen Europass, Züge benützt, als ob sie Straßenbahnen wären. Einfach eingestiegen und losgefahren. Zum Beispiel von Milan bald in der Früh nach Venedig gefahren, und Venedig während des Tages, zurückgefahren in der Nacht nach Milano, im Zug geschlafen, am nächsten Tag in der Früh wieder den Zug genommen nach Venedig. So…ja.
12/00:11:00
Ich denke, über die Jahre hinweg ist sehr viel…ich hatte unterrichtet eine Zeit lang, einen Kurs gegeben an der New School, das ist eine Universität hier. Ich weiß nicht, ob Sie die New School kennen. Über Kunst im jüdischen Leben. Sehr vorsichtig formuliert, mein Kursus war Art in Jewish Life. Denn gibt es so etwas wie jüdische Kunst? Natürlich nicht. Denn die Frage ist: Was ist jüdisch? Und dann, zweite große Frage: Was ist Kunst? Wenn man die zwei Begriffe zusammenstellt, als ob es einen Sinn hätte, und natürlich: Es hat keinen Sinn. Aber es gibt viel Kunst im jüdischen Leben, und darunter ist auch zum Beispiel der Kursus, oder der Vortrag, den ich morgen geben werde…ist ein Überbleibsel von dem. Ich werde immer wieder gefragt zu sprechen, über die Vergangenheit, über die Kriegsjahre, und früher sprach ich zu jüngeren Schülern. Ich wollte nie zu Kindern sprechen. Mein cut-off-date…wie sagt man das? Sagen wir die Grenze…nein, well. [Lacht.] Sie werden das irgendwie übersetzen müssen. Waren so ungefähr fünfzehn-, sechzehnjährige…wollte ich sprechen. Und später ging ich höher, und hatte niemanden unter siebzehn. Dann, einige Zeit lang, hatte ich ein System, das ich auch heute noch benütze. Wenn ich eingeladen bin, in einer Schule zu sprechen…davon abhängend, wie groß die Klasse wäre. Wenn es 30, oder weniger, sind, ungefähr 30, das wäre die Grenzziffer. Ha, time limit, no, not time limit, age limit, ja, Altersgrenze. Ich spreche erst mit den Lehrern, und sage: „Ich will nicht nur vortragen, ich will wissen, was die auch gelernt haben, bevor ich zu ihnen spreche. Deswegen werde ich zehn Minuten sprechen, und ich will, dass jeder in der Audienz eine Frage hat. Über die Kriegsjahre. Mir wichtiger noch, ich will nicht zweimal dieselbe Frage haben. Und ich werde nicht sagen, zeigt mir eure Hand, ich werde sagen, was ist deine Frage und was ist deine Frage.“ Das ist sozusagen hinterlistig, denn es zwingt die Schüler, miteinander zu sprechen. Was wirst du ihn fragen? Es zwingt auch die Lehrer etwas vorher zu besprechen, das Thema etwas tiefer anzugreifen, als nur ganz einfach Ziffern zu erwähnen.
12/00:14:53
Das funktionierte ziemlich gut, und es funktioniert auch heute noch gut. Hin und wieder unter 30 Fragen, ich weiß nicht, wie viele kann man beantworten in so kurzer Zeit. Immer wieder ein oder zwei idiotische Fragen, und da sage ich: „Danke für die Frage. Und was ist deine Frage?“ Und hin und wieder kriege ich eine gute Frage, und dann benütze ich die Frage, um auch ein Thema zu entwickeln. Heutzutage spreche ich im Allgemeinen nicht mehr mit jüngeren Leuten. Mit college students, ja, hin und wieder, und wiederum dasselbe System. Ich will nicht Vorträge halten, sondern Fragen beantworten. Ich spreche dann kurze Zeit, und sage: “What are your questions?“ In den letzten Jahren fällt es mir schwerer und schwerer. Ich wusste lange Zeit schon, dass ich…am nächsten Tag bin ich nicht sehr gut funktionierend. Das nicht funktionieren nach einem Vortrag habe ich akzeptiert, als eine der notwendigen Seitenerscheinungen innerhalb mir selbst. Nein, innerhalb meiner selbst. Oder? Grammatikalisch geht das schon nicht mehr so hundertprozentig. Beschränke ich mich auch auf solche Vorträge, oder solches Teilnehmen, zu akzeptieren. Ich sage nicht automatisch, „Ja“. Hier…ich habe ihn gerade erwähnt, über diese interreligiöse Gruppe, die versucht zwischen Moslems, Juden und Christen einen Dialog herzustellen. Ich habe keine Ahnung, wie alt die Leute sind. Wird was da rauskommen? Ich weiß es nicht. Es ist so ein neues Thema. Und das heißt…ja?
PR: Nur ganz kurz. Da werden Sie vor jungen Muslimen sprechen? Das war die Idee dahinter--
FT: --ja. Hauptsächlich junge Moslems, und es ist so eine Art high school. Ich sprach mit der Person, die das arrangieren will. Ich will nicht Kinder dort haben, Siebzehn-, Achtzehnjährige vielleicht. Ein siebzehnjähriges junges Mädchen ist kein Kind. Ist schon fast erwachsen. Aber Mädchen sind ein bisschen schneller entwickelt, geistig entwickelt, vielleicht auch physisch, als Buben, als Männer. Ob ich jetzt etwas Gutes damit tue oder nicht, ich weiß nicht. Das ist ganz einfach gambling. Vielleicht wird etwas Gutes da rauskommen. Wenn ich nur eine Person innerhalb der Klasse positiv beeinflussen kann, ist das schon etwas…ist schon wert es zu tun. Und ich denke oft…nicht oft…ich erwähne hin und wieder, oder zitiere hin und wieder Benjamin Franklin: “What good is a newborn baby?“ Wird es…eine gute erwachsene Person, eine menschliche Seele haben? Das weiß ich nicht. Jetzt sollten Sie Fragen haben, ich weiß nicht wie viel mehr ich… [Lacht.]
12/00:19:42 [Übergang/Schnitt.]
PR: Wir haben ganz am Anfang des Interviews über Gisela Horner geredet, und über diesen Teil der Familie, Stellas Familie.
FT: Davon haben wir früher schon viel gesprochen.
PR: Wir haben schon einmal darüber geredet, ganz kurz. Aber was ich Sie in diesem Zusammenhang fragen wollte, ist, weil Sie ja auch gesagt haben, dass das einen Unterschied gezeigt hat, zwischen Leuten, die früher in die Staaten gekommen sind, und die später in die Staaten…können Sie das ein bisschen--
FT: --ja. Well, ich kann nur Spezialfälle erwähnen. Das heißt, ich kann keine allgemeine Erklärung machen, dieses oder jenes. Dieses war die Situation in diesem spezifischen Fall. Und vielleicht…die Schwierigkeit lag nicht an mir, sondern an den Leuten, die nicht wussten, was macht man mit so einem Überlebenden von KZ. Eine Unsicherheit, die ich gut verstand. Aber ich konnte denen nicht viel helfen. Und anders als zu sagen: „Ihr müsst eben versuchen, mehr über das Thema zu lernen.“ Das ist kein einfaches Thema. Und selbst jemand, der heute alle Materialien sozusagen an der Hand hat: wie stellt man sich dazu? Natürlich bestand in jeder Person, die vor dem Krieg noch emigrieren konnte, die Idee: „Was wäre mir passiert?“ Und die Wahrscheinlichkeit war Gasofen. Und so es ist sozusagen ein sehr, sehr schweres Thema für Leute, die vor dem Krieg noch wegfahren konnten.
PR: Wann konnte diese Familie wegfahren?
FT: [19]38/39, knapp nach dem ‚Anschluss’, glaube ich.
PR: Wie hat sich diese Unsicherheit – wie Sie sie bezeichnet haben – von diesen Familienmitgliedern auf Sie ausgewirkt?
FT: Ich habe es verstanden. Und ich war mir dessen schon damals ziemlich bewusst, dass das ein Thema ist, das die Leute nicht behandeln konnten. Und ich sehe die Schwierigkeiten auch heute noch. Dass ich jemanden da treffe, der nicht notwendigerweise aus Europa kommt, sondern der herausfindet, dass ich während des Krieges in diesen und jenen places, or Plätzen, gewesen wäre. Ja…was soll ich denen machen? Wenn dann das Thema aufkommt, sage ich: „Ich kann dir nichts erzählen. Ich habe Schwierigkeiten darüber…aber lies darüber nach.“ Heutzutage sind movies, Bücher, Bibliotheken voll davon. Und jede Person muss sich selbst damit auseinandersetzen, wie weit, wie tief zu schürfen. Ich habe keine gute Antwort.
PR: Als Sie von Kanada nach New York gekommen sind, mit dem Zug, waren das nur Stella und Sie, oder…
FT: Ja.
PR: Wann 1952 war das, in etwa?
FT: Oktober [19]52, kann Ihnen nicht genau sagen. Ich bin angekommen an dem Tag, an dem [Dwight D.] Eisenhower erwählt wurde. Sage ich, spaßhalber natürlich: “Do not blame me, I was not voting for him.“ [Lacht.] Das war…irgendwann im Oktober, November.
PR: Da sind Sie dann auch in dieses Paris Hotel gezogen, als erstes?
FT: Ja.
PR: Erinnern Sie sich noch, wo dieses Penthouse – das sogenannte Penthouse – war?
FT: Natürlich. 838 Westend Avenue. Heute noch dort, dasselbe Haus. Ich sage, eines Tages wird da mal so eine Bronzeplakette sein. Hier. [Lacht.]
12/00:24:54
PR: Sie haben dann für diese Vacuum Cleaner Company gearbeitet…
FT: Ja. Louid Vacuum Cleaners.
PR: Und dann sind Sie – habe ich auch sehr interessant gefunden – zum office manager von diesem Importgeschäft--
FT: --ja. Kerapart Gift war der Name der Firma. Ein verrückter Mann, ein unglaublicher… [Lacht.] Ein typischer, neurotischer…ich habe Geschichten und Geschichten über ihn, aber es hat natürlich nichts mit meiner Position dort zu tun. Ganz einfach ein verrückter businessman.
PR: Und wo war dieses Geschäft?
FT: 28th Street. Manhattan.
PR: Wie lange haben Sie dort gearbeitet? Von wann bis wann, in etwa?
FT: Ungefähr ein halbes Jahr, dreiviertel Jahr. Ich weiß, dass ich während des Sommers dort war. Ich fing an am Anfang des Jahres, war nicht lange dort, ein Jahr ungefähr, etwas weniger.
PR: Das war in welchem Jahr? Ungefähr, um das jetzt nur zeitlich einordnen zu können.
FT: Ich denke darüber nach…war das…Ende der [19]50er-Jahre.
PR: Dann haben Sie ja angefangen, sich stärker auf die Kunst zu konzentrieren. Sie haben ja gesagt, dass Sie am Anfang diese Designs für die…genau. Und Sie haben mir vorher die Geschichte erzählt, dass Sie alte und neue Entwürfe mitgehabt haben, und die alten Entwürfe gekauft worden sind, und die neuen nicht. Und das hat Sie ein bisschen böse gemacht, und Sie haben dann aber eine Erklärung gehabt dafür.
FT: Natürlich. Ja, die habe ich Ihnen die Erklärung gegeben. Ich habe den Grundfehler eines Designers gemacht. Meine Zeichnungen, oder Designs, hatten Personalität. Und das ist natürlich ganz falsch, denn ein gutes Design – kommerziell erfolgreiches Design – ist wie ein erfolgreiches Televisionsspiel. Laut, dramatisch, farbig, und keinen Inhalt. Und ich glaube, dass der Fehler war, dass meine Personalität durchkam.
PR: Meine nächste Frage bezieht sich auf die Vortragstätigkeiten in New York selbst. Ich weiß, dass Sie ja diese Bildungsgruppen in den diversen Lagern, in denen Sie waren, mitgetragen haben. Aber was mich jetzt in diesem Zusammenhang interessieren täte, ist: Wann hat Ihre Vortragstätigkeit in New York begonnen, und wie sind Sie da dazu gekommen?
FT: Ich weiß nicht, wie Leute herausfanden, dass ich auch darüber sprechen konnte. Waren nicht viele Leute, die Willens wären. Aber sind es auch heute nicht. In [19]85. Aber selbst damals waren Leute, die nicht das Geschick hatten, über die Sachen zu sprechen, oder nicht Willens gewesen wären. Über Konzentrationslager zu sprechen, ist ein Problem. Man versenkt sich sozusagen in die Zeit. Und wer tut das freiwillig? Man braucht eine gewisse…ein Geschick, sich selbst außerhalb des Themas zu halten, und trotzdem genug zu erzählen, um auch Information zu geben. Das Problem besteht heute genauso wie damals. Nur hatte ich damals vielleicht ein bisschen mehr seelische Kraft als heute. Ein anderer Unterschied…ich mag das erwähnt haben…und der Grund, warum ich weniger spreche heutzutage ist, dass knapp nach dem Krieg, und auch den Jahrzehnten…und das geht nun bis in die [19]60er-Jahre…wollte niemand davon hören. Und es ist erst nach dem Prozess in…war das Tel Aviv, oder Jerusalem? Eichmann, ja. Dass das Thema aufkam. Dass Leute interessiert waren, auch davon zu hören.
12/00:30:55
Aber das war der Anfang. Das Museum in Yad Vashem wurde aufgebaut, dann kam der Konflikt zwischen dem Museum hier und in Washington. Ich war da irgendwie verbunden, ohne mich sozusagen sowohl seelisch, als auch politisch hereinzuziehen. Und…dann mit Elie Wiesel, und anderen Leuten…heute ist das schon…ein Teil ist schon beschrieben worden, in Büchern, wie der Konflikt da gelöst wurde. Und das Thema wurde größer und größer. Ich war mit dem New Yorker Kern verbunden, damals David Altshuler war der Direktor. Hatte sechs Leute, dann fing Washington an groß zu werden, und er verlor seine finanzielle Basis, hatte drei Leute, und dann hin und wieder jemanden, der ein bisschen aushalf. Ich war einer der Leute. Heute natürlich ist das Museum downtown, Museum of Jewish Heritage, ein großes Unternehmen. Aber das bestand damals noch nicht. Das war der Anfang, und dann fing man auch an, zu fragen, wer kann darüber…wo sind die Zeugen? Sie haben…Wiener haben das schöne Wort: Zeitzeugen. Und…eins das ich…sozusagen eine Sache, die ich vorbringen wollte. Damals…in den ersten zwanzig Jahren wollte niemand was davon hören. Dann langsam fingen Leute an, Fragen zu stellen, wurden Bücher geschrieben. Elie Wiesel war plötzlich eine wichtige Person. Und hier spreche ich immer nur von mir selbst. Am Anfang war es mir verhältnismäßig einfach, darüber zu sprechen. In diesen Jahren, bis zum heutigen Tag, finde ich es schwerer und schwerer. Und der Grund ist, weil Bilder oder Ideen, Ereignisse, die ich irgendwie versteckt habe, verdrückt habe…ich glaube, Sigmund Freud hat eine…ich weiß nicht das genaue technische Wort – Verdrängung, das ist das Wort! Die kommen so langsam herauf. Und jedes Jahr mehr und mehr, und es ist schwerer und schwerer für mich, das auch wieder zu verdrängen. Deswegen spreche ich sehr wenig, oder nicht sehr wenig, aber verhältnismäßig wenig. Ich glaube, dass auch weniger und weniger Leute heute am Leben sind, die darüber sprechen können, oder sprechen wollen. Ich mag einer von sehr wenigen sein. Es gibt eine Hand…ein paar Leute tun das sozusagen, das ist deren Geschäft, Redner zu sein. Das ist eine andere Geschichte.
12/00:35:00
PR: Meine nächste Frage bezieht sich jetzt auf Ihre erste Frau Stella. Sie haben angedeutet, dass in den [19]60er-Jahren bei einem Interview plötzlich irgendwas schiefging.
FT: Ich weiß nicht, was schiefging. Ich…der Name entschlüpft mir. Logotherapy. Ein Mann hat ein Buch, ein Doktor hat darüber geschrieben…ajajaj, meine memory. [Lärm im Hintergrund.] [Viktor] Frankl, ja. Frankl war im selben Lager wie ich. Kaufering Nummer Vier. Und wenn er über das Lager spricht, er spricht über Kaufering Vier. Logotherapy wurde eines Tages ziemlich populär hier. Und eines deren Themen, nein, Systeme, war, dass sozusagen hier eine Person innen im Kreis, man sitzt herum und in der Mitte spricht, als ob die Person jemand anderer wäre. Ich glaube, dass das sehr gefährlich war, für manche Leute, die nicht seelisch stabil oder im guten Gleichgewicht wären. Und eine der Sachen, die ich nie mit Stella besprechen musste, oder wollte, waren die Erlebnisse im Lager. Sozusagen, wir waren beide in Auschwitz, beide in Theresienstadt, was ist da so viel zu besprechen? Wie das auch innerhalb Stella funktionierte, weiß ich nicht. Es wurde ganz einfach nicht besprochen. Rückblickend wäre es wahrscheinlich viel besser gewesen, aber sie war nicht bereit, und ich war auch nicht bereit, darüber zu sprechen. Das heißt, Gefühle, die…waren die unterdrückt, oder nur verdrängt, oder…ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, in welchem Grad, in welcher Hinsicht, die Kriegsjahre all die Selbstmorde verursachten. Eva, Stellas Schwester, Stella – praktisch ein Selbstmord. Denn sie starb, weil sie sich vernachlässigte, und wusste, dass sie sich vernachlässigte. Das heißt, den Krebs hätte man wahrscheinlich zur rechten Zeit erwischt, aber sie wollte nicht. Eine der Sachen, die…ich weiß nicht, ob ich das erwähnt habe. Nach dem Krieg in Prag, unter den Zurückkehrenden aus den Lagern, war eine unglaubliche Anzahl von Selbstmorden. Leute, die den Krieg überlebt hatten, zurückkamen, und nicht leben wollten. Ich könnte ein Dutzend Gründe anführen…ob die auch stichhaltig wären, weiß ich nicht. Im Wesentlichen, so wie ich es damals sah, war, dass sie zurückkamen, aber keine Familie, keine Gemeinde, oder keine Kreise, Freundeskreise, und von den Leuten in Prag – da ist die tschechische Bevölkerung – abgelehnt worden. Warum hast du es überlebt? Hat man mir gesagt. Mir selbst gesagt. Und für jemanden, der sozusagen in schwankendem seelischem Gleichgewicht war, das brauchte nicht so viel, um die Leute sozusagen über die…over the edge. Ja. Dasselbe ist Stella, ich weiß nicht, wie viel die Kriegsjahre da mitspielten. Ich glaube, dass es ein wesentliches Thema wäre. Aber ich bin nicht bereit, es genau zu beschreiben. Nicht bereit, ich weiß es nicht.
12/00:40:11
PR: Die Leute, die Sie da jetzt gemeint haben, sind im Wesentlichen Menschen, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie Stella und Sie? Die auch aus ähnlichen Situationen – survivor – gekommen sind.
FT: Survivors, ja, waren alle aus…survivors von drei, vier Jahren Konzentrationslagern, zurückkamen und da war niemand mehr da. Und kein Einkommen…das sind noch alles Mittelstandleute, nicht reiche Leute, aber reiche Leute, von denen weiß ich nicht. Aber Leute, die ein bequemes Leben hatten, eine Wohnung und eine soziale Stellung, Teilnehmer an Kultur, und so…man lebt, nicht nur um zu essen und zu wohnen. Und alles das war weg. Und Religion ist ein anderes Thema, aber das…ich glaube nicht, dass es ausschlaggebend gewesen wäre in Selbstmorden, denn Existenzberechtigung, das war kein Thema da. Oder Religion. Wenn jemand religiös war, war er verloren, seelisch. Aber das ist ein anderes Thema.
PR: Nur noch zwei Zeitpunkte, die ich gerne erfragen täte, weil Sie sie erwähnt haben. In welchen Zeitabschnitt fällt der Selbstmord von Stellas Schwester?
FT: 1970, ungefähr.
PR: Und Ihre Scheidung von…
FT: Ungefähr um…knapp danach. Ja. Ungefähr um dieselbe Zeit, denn Eva war sehr daran…Eva war eine komplizierte Person, und ich bin mir nicht…ich habe nie versucht, Eva zu analysieren. Ich habe ganz einfach nur reagiert, und gesagt: „Du, lebe dein Leben, wir leben unser Leben.“ Und es war schwierig für Eva, denn wir waren die Familie. Und wir haben sie nicht abgelehnt, aber wir haben sie nicht…sie war nicht ein Teil der Ehe. Und Eva…ich glaube, dass da auch ein sexueller angle…Winkel? Nein, falsches Wort. There was a sexual angle to it. Ich weiß nicht. Ich habe das sozusagen negiert, wenn das auch immer aufkam, habe ich es nicht gehört. Das heißt, abgesehen von den Problemen des Überlebenden, kamen dann auch noch die üblichen Familienverbindungen, wo eine Person an eine andere gebunden ist, während eine attraction – Attraktion – da wäre. Aber ich wusste genug über mich selbst, und über Eva und Stella, um sozusagen einen reinen Tisch zu halten. Und…
PR: Wir haben uns ja schon über Ihre Vortragstätigkeit unterhalten. Was mich jetzt aber interessieren täte…zusätzlich zu dem, dass Sie dann begonnen haben, natürlich, über Ihre Zeit in Konzentrationslagern zu sprechen…haben Sie ja dann auch begonnen, zu verschiedenen anderen Aspekten, unter Anführungszeichen jetzt Judentum und Kunst…diese New School Vorträge, die Sie da gehalten haben. Wie sind Sie denn in diese Schiene von Vortragstätigkeit reingekommen? Und ab wann?
12/00:44:53 [Übergang/Schnitt.]
FT: Irgendwann, ungefähr 1970, oder so…etwas früher vielleicht…mit meiner Verbindung mit dem damals noch nicht existierenden jüdischen Holocaustmuseum hier in New York, war ich in Verbindung mit jemandem, der eventuell…ich denke über seinen Namen nach, und ich kann jetzt nicht daran denken…der Verbindungen hatte, als Funktionär innerhalb einer jüdischen Organisationen. Und mit dem sprach ich über jüdische Kunst. Der sagt, er kennt diesen und jenen, und nicht viel später fand ich, dass da andere Leute jüdische Kunst, über jüdische Themen malten. Und nicht viel später war ich verbunden mit einer Gruppe, die erst informell, und dann etwas mehr formell Jewish Visual Artists Association…als eine Organisation bestand. Und dann hat es nicht lange gedauert, bevor ich der Präsident dieser Organisation wurde. [Lärm im Hintergrund.] Da waren so ungefähr zwanzig, 25 Leute, die alle sechs Wochen, oder wann auch immer, zusammenkamen, sprachen, es war sozusagen ein glorified coffeehouse, wo nur kein Kaffee serviert wurde. [Lärm im Hintergrund.] Aber das war der Anfang über…wie alle Künstler, ist es fast unmöglich, Künstler die selbst arbeiten, zu organisieren. Das heißt, Musiker, das geht automatisch. Schauspieler, automatisch. Maler, Skulpteur…wer auch immer alleine arbeitet, das funktioniert nicht. Wir sind daran gewohnt innerhalb unserer Studien allein zu arbeiten. Das heißt, als Gruppe funktionieren wir nicht. Und so wurde auch nach zwei, drei Jahren…die Organisation stand still. Und ich war der Präsident, das hieß, ich war auch der Korrespondent und Briefschreiber, und alles Mögliche zusammen. Habe dann ganz einfach aufgehört, das zu tun. Innerhalb dieser Funktion, irgendwo hörte jemand von mir, da war in der New School ein Vera…irgendetwas, einer der Leute, die Geld gaben, hörte von mir, sagte jemand anderem, das wäre doch ein gutes Thema. Und so unterrichtete ich den Kurs, und das waren im Wesentlichen die dreizehn Teile des Kursus. Hat mir viel Spaß gemacht, und interessant, und habe was gelernt. Wie üblich, wenn man vorträgt, weil da lernt man mehr als die Schüler. Und das war der Anfang von New School. New School hatte aber nicht die Organisation, das auch richtig zu fördern. Ich glaube, das war auch die Tatsache, dass es ein jüdisches Thema war. Machte die etwas hesitant…ich suche das deutsche Wort. Unwillig ist das falsche Wort, aber…zaudernd [entscheidungsschwach], das auch wirklich aufzubauen. Und so konnte ich nie einen Abendkurs geben, der 40, 50 Leute hätte. Es war auch die Frage: „Ist da genug Interesse daran?“ Ich weiß nicht. Es war interessant für mich, das zusammenzusetzen.
PR: Wie lange haben Sie das gemacht, auf der New School selbst?
FT: Zwei, drei Jahre. Ich habe auch durch die New School dann im Sommer Kurse in Sommerlagern gegeben. Die waren sehr interessant. Ich weiß nicht, wie das organisiert wurde. Das war interessant, weil ich sozusagen bezahlte Ferien hatte. Und…war ich damals schon verheiratet mit Rebecca? Nein. Ich weiß nicht. Irgendwo in New Hampshire College, und dann summer, Kinderring in verschiedenen Sommerlagern. Es war immer eine Woche lang, jeden Tag einen Vortrag gehalten. Bin ganz einfach aufmarschiert mit allen diesen things, und Projektoren, und war sehr schön. Nichts zu tun, du hast nur am Abend eine Stunde lang zu sprechen.
Ende von Teil 12
Teil 13
PR: This is part ten of an Austrian Heritage Collection Interview with Mr. Fred Terna, conducted by Philipp Rohrbach on 17th February 2009.
FT: In Brooklyn.
PR: In Brooklyn, in Mr. Terna’s studio. [Beide lachen.] Herr Terna, wir haben uns das letzte Mal über viele Dinge unterhalten, unter anderem auch über Ihre Jobs, die Sie angenommen haben, als Sie schon nach New York gekommen waren. Sie haben erzählt, dass Sie in einer Vacuum Cleaner Company gearbeitet haben.
FT: Ah, das war der erste Job, ja.
PR: Genau. Später haben wir uns über das Importgeschäft für katholische Kirchengegenstände unterhalten, und dann eben auch über Ihre Tätigkeit als Designer für Möbelstoffe. Und was mich jetzt interessieren täte ist, ab wann haben Sie begonnen hauptsächlich Kunst zu machen?
FT: Ungefähr…hauptsächlich, als wesentliches Einkommen war damals, während…ich habe einige dieser Zeichnungen designed…wenn das das deutsche Wort dafür wäre. Eines Tages machte ich eine neue Kollektion von Designs. Und das Thema war, dass man ein Design macht, und dann geht man in die Stadt, gewöhnlich in einer gewissen Gegend, wo alle die converters waren, und verkauft, oder zeigt, die Zeichnungen, welche diese Leute akzeptierten, oder nicht akzeptierten. Wenn sie es akzeptierten, war der erste Schritt. Dann würde diese Zeichnung übertragen, innerhalb der converters, und eventuell wurde das irgendwo gedruckt, als Möbelstoff. Ich habe eine neue Kollektion gemacht, war sehr stolz darauf, bin rausgegangen in die Welt mit der Kollektion, und habe absolut nicht genug gehabt, habe deswegen alte…wie ich sage old junk…das heißt, alte Zeichnungen, welche ich gar nicht wert fand, mitgenommen, um eben genug in der Hand zu haben. Kam in die Stadt, habe nichts verkauft, und was verkaufte damals, waren alle die alten Sachen. Plötzlich hatte ich Geld, aber die neuen Sachen haben gar keinen Anklang gefunden. Wie ich dann durch sozusagen…mich selbst befragt, warum verkauft das nicht? Und habe gesehen, dass meine Zeichnungen schlecht waren. Schlecht in dem Sinn, dass meine Person sozusagen durchdrang. Das heißt, es war nicht eine neutrale Zeichnung, sondern irgendwo war meine Person darin. Und das natürlich ist Gift für den allgemeinen Markt, denn die wollen etwas haben, das der Allgemeinheit zugänglich wäre. Habe aber so viel Geld gemacht mit den alten Sachen, dass ich mir gesagt habe: „That is it!“ Und von dem Tag an habe ich nicht eine einzige neue Zeichnung gemacht, habe nur mehr mich auf Kunst konzentriert.
Das war in den [19]50er-Jahren irgendwann, und von dem Tag an war ich nur mehr Maler. Hatte viel…meine erste Frau war eine gute Verkäuferin für mich, und habe Bilder verkauft, habe eine Kommission bekommen für verschiedene grafische Sachen. Habe dann selbst eine Methode entwickelt, um Bilder, oder Zeichnungen, oder Illustrationen…auf Papier in Farbe herzustellen, ohne eine Presse zu brauchen. Das heißt, ich hatte erlernt, wie Radierungen, und…Kupferstiche zu machen, Lithographien zu machen. Aber eine der Sachen, die ich gut entwickelt habe, waren Farbdrucke. Und es würde etwas länger dauern, das zu erklären, aber ich konnte Farbdrucke herstellen, ohne eine Presse zu benützen. Und…hatte genug Einkommen, durch die Farbdrucke und Bilder. Um die Zeit hatte ich auch aufgehört, Öl zu benützen, Ölbilder zu malen, und benützte…langsam habe ich sozusagen umgesattelt auf acrylics. Heute, technologisch vom Zeichner, oder von der Kunstseite gesehen, ich bin sehr gewandt, oder informiert über Farbe, Farbengrundlagen, Konstruktion, oder wie Farben hergestellt werden. Pigmente, darüber weiß ich heute ziemlich viel.
13/00:05:32
Und das erlaubte mir eine Methode zu entwickeln, um Bilder billig herzustellen. Das heißt, die Materialien, die andere Leute hunderte von Dollars kosten würden, kosteten mich sehr wenig. Habe immer nur groß gekauft. Wenn Sie sich umdrehen würden, würden Sie dahinter jars mit Pigmenten finden. Manche habe ich in den [19]70er-Jahren, oder vielleicht sogar schon früher gekauft. Und, dass damals…ein halbes Kilo von einer Farbe war viel Geld. Auf einmal zehn, fünfzehn Dollar. Aber heute kostet eine Tube genau soviel. Ich habe Material hier, das ich vor Jahren und Jahren gekauft habe, spottbillig. Von der Zeit an habe ich verkauft, ausgestellt, und irgendwie mein Leben damit erhalten. Meine erste Frau war eine gute Verkäuferin für mich, hat immer wieder gefunden…jemanden zu finden, der Bilder ausstellen würde. Ich selbst bin ein miserabler Verkäufer. Ich sage, ich bin der ärgste, der zweitärgste, Verkäufer der eigenen Arbeit. Und ich sage Zweitärgster, weil ich nicht den Stolz habe, der Schlechteste zu sein. [Lacht.] Habe aber irgendwie genug Erfolg gehabt, um davon zu leben. Wieso weiß ich nicht. Ich bin sehr, sehr ungeschickt mich zu veröffentlichen, zu publizieren, auch in der…sozusagen, um to be known. Bekannt zu sein. Ich bin sehr schlecht…ein jeder Mann kann malen. Das ist sehr einfach. Die Kunst ist es, zu verkaufen. Und die habe ich nicht, ich habe die Kunst…ich habe das Geschick zu malen.
Themen haben sich geändert, meine technologische Seite hat sich wenig geändert. Es würde Stunden dauern auch zu erklären, warum gewisse Bilder mit meinem…Themen in meinen Bildern immer wieder erscheinen. Es hat mir nicht lange gedauert, um herauszufinden, dass Kriegsjahre, Konzentrationslager, einen wesentlichen Teil meiner Malerei wären. Und am Anfang habe ich mich dagegen gewehrt, bin sozusagen weggelaufen. [Lärm im Hintergrund.] Aber dann eines Tages habe ich gesagt: „Nein das ist da, ich muss ganz einfach damit leben, mich damit befassen.“ Es ist nicht offensichtlich in meinen Bildern. Das heißt, wenn Sie meine Bilder sehen, sehen Sie etwas. Aber dahinter sind Gedanken und Entwicklungen, welche sich auf den Krieg zurückziehen [beziehen]. Nun, wie gesagt, ich möchte über einzelne Bilder sprechen und erklären, warum dieses Bild so aussieht, und nicht anders aussieht. Wenn wir ein paar extra Stunden hätten, könnten wir darüber sprechen.
PR: Sie haben ja auch gesagt, dass Sie auf der New School eine Zeit lang unterrichtet haben. Über das haben wir uns unterhalten. Und in dem Zusammenhang haben Sie, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch angesprochen, dass Kunst, Malerei, für Sie auch irgendwie eine Therapieform war, bis zu einem gewissen Grad.
FT: Was es immer noch ist.
PR: Können Sie mir da mehr dazu erzählen?
FT: Ich habe in…ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erzählt habe, wie ich angefangen habe in Theresienstadt zu zeichnen. Habe weitergearbeitet als Künstler, und Sachen, die mir im Kopf und in der Seele saßen, habe ich ganz einfach auf das Papier gesetzt. Und war mir bald dessen bewusst, dass es eine der Formen ist, um mit dieser Zeit irgendwie zurechtzukommen. Und ich bin mir dessen bewusst, dass ich ziemlich schamlos meine Kunst als Selbsterkenntnis, und Selbsttherapie, benütze. Und es funktioniert. Andererseits gibt es mir auch ein Einkommen. Aber das ist sozusagen nicht der wichtige Teil davon. So wäre es schwer, genau zu sagen, was im Vordergrund steht. Wann auch immer ich male, was mir recht liegt, steht im Vordergrund. Das heißt, es ist mir wichtiger, ein Bild zu malen, das mir zusagt, wo ich fühle, dass ich mich auch richtig ausgesprochen habe, als was wird verkauft. Das war leider nie im Vordergrund.
13/00:11:30
PR: Das nächste, worüber ich – das ist auch noch vom letzten Interviewtermin her – mit Ihnen gerne sprechen würde, ist: Wir haben uns über Ihre erste Frau unterhalten, und Sie haben mir dann auch erzählt, dass Sie sich von Ihrer Frau Stella haben scheiden lassen. Zu welchem Zeitpunkt war das, in etwa?
FT: Das war sehr kompliziert. Habe Ihnen von der Schwester meiner ersten Frau gesprochen, Eva. Die war sehr mit mir verbunden, oder viel mehr an mich gebunden, als ich es wollte. Ich habe sie abgelehnt als Partnerin, und da war auch ein sexuelles Element darin. Ja, Eva ist heute nicht mehr da, so kann ich ein bisschen einfacher darüber sprechen. Sie wollte mit mir zu Bett gehen. Und ich habe ganz einfach abgelehnt, eine Ehe zu dritt zu haben, mit zwei Schwestern. Das hat Probleme geschafft, zwischen den Schwestern, und auch Eva, die Schwester, hatte versucht, die Ehe zu zerbrechen. Und als Stella mehr und mehr manisch-depressiv war, hat Eva das benützt, um zu sagen, es ist meine Schuld, dass sie so wäre. Und hat Stella gesagt: „Du musst dich von ihm scheiden lassen!“ Motive sind heute schwer festzustellen. Bin ich auch gerecht? Sage ich das richtige über Eva? Ich versuche, jemanden zu beschreiben, der…die war selbst in vielen seelischen Schwierigkeiten. Sie hatte auch physische Schwierigkeiten, ich bin nie eingegangen auf…welche auch immer Bemerkungen, oder physische…ich suche das Wort…attempted attention. Das heißt, sie hat versucht, mich zu verführen, und ich habe darauf nicht reagiert. Weil ich nicht…ganz einfach, ich wollte keine Probleme haben. Und das hat Eva darauf geführt, Stella, meine Frau, eine Scheidungsanklage…dass ich ein schlechter Mann wäre. Das hat früher oder später zu einer Entscheidung…einer Trennung geführt. Während der Zeit, es war auch nicht nur Stella in Krankenhäusern als manisch-depressiv, sondern auch Eva. Ich weiß das heute, dass das genetic…irgendwie ist da eine physiologische, biologische Grundlage zu manic-depression. Ich habe damals so viel gelernt, als ich auch konnte. Das heißt, um das nun kurz zusammenzufassen: es war Stella, welche die Scheidung anfing. Und dann offiziell auch durchführte. Ohne, dass irgendwie Fragen von Schuld, oder Geld, oder…infrage kämen. An dem Punkt war Stella in Krankenhäusern, mein ganzes Lebens war ziemlich…ich suche ein Wort dafür…it was disrupted. Und ich glaube, dass da…ich könnte natürlich über Details sprechen, aber ich glaube nicht, dass es notwendig wäre. Es war sozusagen ein…ich glaube, dass jemand, der das Temperament dazu hätte, würde einen Roman schreiben. Aber ich werde es nicht tun.
13/00:16:09
PR: Zeitlich war das ungefähr wann verortet?
FT: In den [19]70er-Jahren. Späte [19]70er-Jahre. Es war ziemlich kompliziert das Leben, denn ich…Stella war Monate und Monate lang in Krankenhäusern. In psychiatric wards. Und dann auch Eva. Da war eine Zeit lang, wo ich von einem psychiatric ward zum anderen ging. Und ich wusste, was vorging, es war…die Frage von Schuld, oder Verpflichtung, kam da eigentlich nicht herein. Ich habe das, glaube ich, klar gesehen, dass das eben kranke Leute wären. Wie weit das auf den Krieg zurückzuführen wäre, weiß ich nicht. Es hat bestimmt nicht geholfen. Eva committed suicide, wie ist das deutsche Wort…hat Selbstmord begangen. Stella in gewisser Hinsicht auch, denn Sie entwickelte Brustkrebs, und wusste davon, hat mir nicht davon erzählt. Und eines Tages sagte ich zu ihr: „Du musst zum Doktor gehen!“, und natürlich war das…und an dem Punkt war es schon so weit fortgeschritten, dass nur sehr, sehr wenig getan werden konnte. Es war ein sehr, sehr trauriger Abschnitt meines Lebens.
PR: Wir haben ja im Verlauf unserer letzten Interviews immer wieder gesagt, dass wir an einem Punkt auch über Ihre jetzige Frau Rebecca sprechen werden. Und über Ihren Sohn, Daniel. Können Sie ein bisschen etwas über Rebecca und Daniel erzählen?
FT: Ja, sure. Nun muss ich sozusagen mit Stella anfangen. Während Stella und ich geschieden waren, habe ich versucht…ich bin eine chronisch verheiratete Person. Ich funktioniere nur gut, wenn ich verheiratet bin. Ich suchte damals, nachdem Stella und ich offiziell geschieden waren…eine neue Verbindung zu finden. Und hatte es ziemlich einfach, wenn man so hört, hier ist ein available…was ist das deutsche Wort dafür…available man, und natürlich die Nachricht ging schnell herum, er sucht eine Frau. Nicht genau so offen, aber es war sozusagen in der Luft. Und mein System war sehr einfach, habe ganz einfach jemanden gehört, sagte dann zu ihr: „Was machen Sie? Bin nicht verheiratet, let us have a cup of coffee.“ Und irgendwo habe ich die Person getroffen, haben Kaffee gehabt, und in den meisten Fällen ging es nicht weiter als zum Kaffee. Das war das Ende. Wenn der Kaffee incident funktionierte, habe ich gesagt: “Let us go and have dinner.“ Dann habe ich mit den Leuten dinner gehabt, das war gewöhnlich das Ende. Ich hatte verschiedene Verhältnisse vorher, kurze Verhältnisse.
13/00:20:20
Und eines Tages war ich im Waldorf Astoria in einem Meeting, wo Holocaust Survivor Second Generations Leute getroffen haben. Und eine Person, die ich kenne, Jael Danieli, war…sie mögen den Namen an meinem Internet gesehen haben. Eine Psychologin, die sich mit second Generation Überlebenden befasste. Das war sozusagen ihr forte. Jael ist in den 70ern…ist irgendwo in den 70er Jahren, jetzt über 70. Sie bat mich, ob ich auch zum Waldorf käme. Im Falle, dass eine ihrer Gruppen in Schwierigkeiten wäre, sozusagen ein backup. Das heißt, vielleicht wenn eine Frage aufkäme, dass die sie sozusagen an mich wenden würde. Und es war ein schwerer Nachmittag, war miserabel, war allein, und sah dort in dem Waldorf verschiedene Leute. Als ich zur subway kam, saß auf einer Bank…das war auf 53rd Street, Lexington Avenue, uptown local. Ich erzähle das, weil ich das…nicht das erste Mal, dass ich das erzähle. Da saß eine junge Frau, und ich sagte: „Hello, wir waren dort in dem.“ Sagt sie: „Ja.“ Ich brauchte in dem Augenblick mit jemanden zu sprechen. Und sagte auch zu – damals noch der jungen Frau – Rebecca: “Let us have a cup of coffee.“ Und sie sagte mir: „Ich habe eine Freundin, die ich hier treffen werde, aber kann das machen.“ Wir waren beide sozusagen in der subway, und sie traf eine Freundin von ihr, wir hatten a cup of coffee, und war sehr beeindruckt durch ihre…a nice person. Ich wusste in dem Augenblick, etwas funktionierte. An dem Abend rief ich meinen Freund Larry an, und sagte: „Larry, ich habe sie gefunden.“ Sagt er: „Wen?“ Sage ich: „Ich weiß noch nicht. Ich habe sie eben getroffen, aber sie scheint die richtige Person zu sein. Aber sie ist soviel jünger als ich.“ Habe daraufhin Rebecca gebeten: „Können wir Kaffee haben? Können wir auch dinner haben?“ Und in dem Augenblick wusste ich, dass Rebecca die Person wäre. Und sie, Rebecca, war damals noch nicht einmal angefangene Medizinerin, sie war schon ein MD [Medical Doctor]. Aber erst ganz am Anfang. Noch nicht einmal resident. Und war ein Brooklyn Jewish. Und kurze Zeit danach wusste ich, dass ich sie heiraten würde. Sie gab sozusagen Signale, dass sie nicht dagegen wäre. Nun es ist ein Altersunterschied zwischen uns. Wir sind 23 Jahre Unterschied. Und das sind Geschichtchen noch.
13/00:24:12
Bald danach kam die Frage auf, und in irgendeiner komischen Weise…gehörte damals zu einer Synagoge, Shaaray Tefila, und eine Frau rief mich an…von der Synagoge, sagt sie, ob ich mal dinner in deren Haus haben könnte. Und ich sagte: „Warum?“ Sagt mir: „Meine Tochter wird auch dort sein.“ Habe ich gesagt: „Hören Sie zu, ich komme gerne, aber ich habe eine Freundin.“ Das hat natürlich nicht sehr…war nicht das Richtige zu tun. Und Rebecca kam mit ihr, während die Frauen in der Küche das Geschirr wuschen, fragt die Frau: “What is the matter with the two of you? Are you getting married?“ Und Rebecca sagt: „Das ist eine persönliche Frage.“ Und die Frau sagt: „Ja, ich entschuldige mich.“ Rebecca und ich gingen dann weg, und Rebecca sagt mir am Weg von dort: „Stell dir vor, was die mich gefragt hat. Are you two getting married?“ Daraufhin antwortete ich Rebecca: “If it is alright with you, yes!” Und wir waren bald danach offiziell verheiratet. Meine Probleme mit Rebecca waren nicht persönlich, sondern sie kommt von einer chassidischen Familie. Sehr religiöse Leute, die Familie, oder die Eltern, beide ziemlich religiös. Aber an dem Punkt sagte ich, nicht zu Rebecca, und nicht zu den Eltern: Wenn ich zwei Köpfe hätte, und Ohren wie ein Kamel war ich akzeptabel, er war ein ein jüdischer Mann. [Lacht.] Und das war alles, was meine Schwiegereltern haben wollten, er soll ein Jud [Jude] sein. Und folglich war ich akzeptiert. Wir waren bald danach verheiratet, sehr, sehr orthodox. Ich bin akzeptiert in der Familie. Rebecca hat zwei Brüder, und einer von den zweien ist sehr religiös, der andere kaum. Aber ich bin von der Familie akzeptiert, bin so 25 Jahre, bin ich so sozusagen einer der Familie. Rebecca hatte mehrere Fehlgeburten. Und wir wollten jemanden adoptieren, das hat nicht…alle möglichen Sachen versucht, um Kinder zu haben. Und eines Tages ruft uns jemand an, sagt: “You want to adopt a child?“ Und daraufhin sagte…Rebecca war am Telefon: “You want to have a baby?“ Sage ich: “If it is a girl, yes.“ Und er sagt: “No, it is a boy.” Sage ich: “Alright.” [Lacht.] Daniel ist der Sohn einer Person aus spanisch-südamerikanischem background, und wir wissen nicht, wer der Vater ist. Die Mutter: eine sehr nette Person, wir haben sie nie getroffen. Das war die Absicht der Mutter. Die war eine intelligente Frau, war Lehrerin in Colombia, wurde illegal hier…wurde schwanger, und wusste nicht, was zu tun. Und gab das Kind auf. Und auf diese Weise adoptierten wir Daniel ohne seelische Schwierigkeiten.
[Übergang/Schnitt.]
FT: Wir bekamen Daniel praktisch aus dem hospital, direkt an uns. Und…sind bald 22 Jahre. Hey, it reminds me, I go better get the presents. Und ja, ich glaube, wir haben eine gute Ehe. Und ja…über Daniel, weiß nicht, wie viel ich über…wäre nicht viel zu sprechen, wir sind compatible, und haben keine Probleme, keine Eheprobleme. Die üblichen Probleme, die man eben hat, wenn man verheiratet ist. Nur geht man heute Nacht aus, oder was essen wir am Wochenende, aber das ist ungefähr alles. Und heute ist Rebecca sehr wohlbekannt als Doktorin, und sie ist nicht…sie arbeitet in einem hospital, und ihr Spezialfach ist fetomaternal medicine, und in übersetzt…so menschliche Sprache ist das: komplizierte Schwangerschaften. Da ihr Gebiet so kompliziert ist, ist hierzulande die malpractice insurance – und ich weiß das deutsche Wort dafür nicht – ganz unglaublich hoch. Man müsste, ich weiß nicht, hunderttausende von Dollars per Jahr zahlen.
13/00:30:35
In Rebeccas Fall muss sie für jemanden anderen arbeiten, das heißt für ein hospital arbeiten. Und das hospital zahlt die malpractice insurance, Rebeccas Einkommen ist für einen Doktor verhältnismäßig tief. Aber wie gesagt, wir leben bequem, und brauchen wirklich für unser Privatleben sehr wenig. Alle zwei Jahre brauche ich ein neues Paar Schuhe, und nächstes Jahr brauche ich einen neuen Wintermantel. Aber das ist ungefähr alles. Unsere Ausgaben sind sehr einfach, und keine Luxussachen, wir trinken nicht teure Weine, oder überhaupt Wein, oder Likör, oder was auch immer. Wir leben ein einfaches, bürgerliches Leben, kleinbürgerliches Leben. Ja, wir haben viele Freunde, wir gehen ins Theater, wir gehen zu Konzerten. Aber meine großen Ausgaben sind, nicht Bücher, sondern Bücher, die ich noch nicht gekauft habe, weil ich natürlich wollte…irgendwo ist da eine Karte…Bücher, welche ich gelesen habe…durften wir das publiziert als 55 Dollar…das ist wirklich ein Luxus. 55 Dollar für ein Buch zu zahlen? Habe gedacht, ich warte ein Weilchen, und heute kann ich es für 21 Dollar auf Amazon kaufen, als used…gebrauchtes Buch. Das sind meine Luxusausgaben. [Lacht.] Ich könnte natürlich über Rebecca stundenlang sprechen, aber…sie ist sehr respektiert in ihrem Fach. Sie ist Leiterin in ihrer Abteilung, und ist sozusagen 24 Stunden im Sattel…das ist das falsche Wort. Aber im Winter geht sie skiing, sie ist ein Skihase. Und statt im Sommer auf Urlaub zu fahren, sammelt sie alle vacation dates zusammen, und dann geht sie Skifahren. Und plant das vorsichtig, um auch alle die vacation dates richtig zu benützen. In diesem Augenblick ist sie in Killington, in Vermont. Skiing. [Lacht.]
PR: Ich würde Ihnen jetzt noch gerne ein paar Fragen stellen, über die ich mit allen Leuten rede, die ich interviewe. Wir haben uns ja schon mal darüber unterhalten, dass Sie nach Wien zurückgegangen sind. Sie waren, glaube ich, [19]68, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, in Wien. Das heißt, zu dem Thema haben Sie mir schon etwas gesagt. Waren Sie danach wieder in Wien? Oder war das…
FT: Das war das letzte Mal, bis zu diesem Besuch im Mai letzten Jahres. Ich hatte keinen guten Grund nach Wien zu fahren, ich habe niemanden dort, der mich besonders interessiert hätte. Obwohl es ziemlich komisch war, dass ich…excuse me. [Lärm im Hintergrund.] Was ist das für ein Radau? In allen diesen Jahren, wo auch immer ich hinkomme, fragen mich Leute: „Wo kommst du eigentlich her? Where are you from?“ Und dann habe ich komplizierte Antworten, in Wien geboren, aber dann nach etlichen Jahren habe ich in Prag gelebt, dann in Paris gelebt. In Wien kam diese Frage ganz einfach nicht auf. Ich war plötzlich ein Teil der Gemeinde. Mit wem auch immer ich sprach, die fragten mich nicht: „Wieso sprichst du Deutsch?“ Aber natürlich spricht er Deutsch. Jeder spricht Deutsch dort. [Lacht.] Ich war in gewisser Hinsicht zuhause, und da ich keine Feindseligkeit fand, da ich besonders von den Letter to the Stars sozusagen in einer Wolke des Wohlwollens lebte. Und da fand ich mich sehr, sehr bequem. Ich könnte es sehen, wieder nach Wien zu fahren, das ist natürlich für mich eine Geldfrage. Wo würde ich wohnen, was würde ich dort tun? Aber es wäre bequem, seelisch wäre es kein Problem für mich. Nun bin ich mit der österreichischen Politik nicht befasst. Ja, da sind gewisse Leute dort, die mir nicht zusagen würden, und ein früherer governor von Kärnten, oder ist es…ja, ich bin mir der negativen Seiten bewusst. Aber eben nur in Wien zu sein, ohne etwas Anderes zu tun, nur als Besucher. Und ich glaube, das Gefühl des Zugehörens ist wesentlich. Ob das nun sozusagen…ich bin mir nicht dessen ganz bewusst, ob man sozusagen an seinen Geburtsort zurückkommt, plötzlich irgendetwas klappt. Warum weiß ich nicht.
13/00:36:38
PR: Wenn wir über die Zugehörigkeit sprechen: Sie haben ja gesagt – das war auch ein Teil Ihrer Antwort –, dass Sie in Wien gelebt haben, in Prag gelebt haben, in Paris gelebt haben, kurz in Kanada waren, jetzt sind Sie schon seit geraumer Zeit in den Staaten. Wie schaut es denn mit Ihnen bezüglich Zugehörigkeitsgefühl aus? Oder Identität? Was sind für Sie Bestimmungen?
FT: Das ist ein…die Identität ist die Summe aller dieser Plätze. Zum Beispiel habe ich herausgefunden, dass mein Tschechisch gar nicht mehr so gut ist, wie ich glaubte. Ich spreche heute viel bequemer Deutsch, als…oder Englisch bin ich am bequemsten. Das ist sozusagen…ich denke und träume Englisch. Und Deutsch liegt sozusagen nahe zur Oberfläche. Wenn ich etwas übersetzen muss ins Tschechische, das wird schon ein kleines Problem. Nicht ein Problem…weil mir Worte fehlen. Ich habe kaum die Gelegenheit, Tschechisch zu sprechen. Ich habe wahrscheinlich mehr Deutsch mit Ihnen gesprochen, als in den vorhergehenden zehn Jahren. Aber es kam mir doch leicht wieder zurück, und ja…mir fehlt ein Wort hier und dort, und…weil ich eben nicht die Sprache alltäglich benütze. Französisch ziemlich ähnlich, ich kann alles Französische lesen, kann mich auch verständlich machen, verstehe alles, aber ich denke nicht Französisch. Während ich in gewisser Hinsicht auch noch Deutsch, oder…präzise Wienerisch noch denke, wenn auch nicht fühle.
Solche Sachen genau zu beschreiben, ist etwas kompliziert. Natürlich, hängt sehr von der Situation ab. Mit wem ich auch spreche…mit manchen Leuten ist das sehr, sehr einfach. Zum Beispiel Elisabeth Strobl. Wir haben sie kurz getroffen in Wien, bei dem Treffen von den Pädagogen. Innerhalb zehn Minuten war die Verbindung da. Gar kein Problem, musste nichts erklären, sie musste mir nichts erklären…ich musste ihr nichts erklären. Es war plötzlich der Kontakt da. Das ist nicht sehr einfach in anderen Plätzen, in Wien war es möglich. Ich weiß nicht warum.
PR: Aber erst zu dem Zeitpunkt, wo Sie mit Letter to the Stars nach Wien gefahren sind?
FT: Ja.
PR: Und das war vor einem Jahr im Mai?
FT: Ja. Ich hatte keine Verbindung mit Wien, vorher, keine seelische Verbindung mit Wien. Wien war dort. Aber natürlich für mich, Wien war mehr als ein tägliches Ereignis. Für mich ist Wien die Geschichte der Familie, zumindest die theoretische Geschichte der Familie, von 1780 an bis zu 1938. Und…meine Idee, oder der Begriff Wien war viel, viel komplizierter und wurde erst festgenagelt, als ich nach Wien kam. Und da waren dann Probleme, wo eine konkrete Situation, die vorher mehr oder weniger theoretisch war.
13/00:41:00
PR: Wie verhält es sich denn in Bezug auf Prag, oder in Bezug auf die Tschechei, oder damals die Tschechoslowakei?
FT: Ja. Ist sehr interessant, ich bin in Prag aufgewachsen, und ich kenne Prag so gut wie ich auch irgendein Land kenne – oder eine Stadt kenne. Wir fuhren in 1981…ist es [19]81? Nein, das war später, [19]91, ja. Wurden wir eingeladen, offiziell, nicht von der Regierung, sondern von der Gemeinde, ob wir auch nach Prag kommen würden. Es waren fünf Zelebration, oder…Zelebration ist das falsche Wort…das Erinnerungsthema am 21. April…nein, Oktober 1941 bestand der erste Transport von Juden aus Prag. Der Transport ging nach Łódź, Polen. Würde ich kommen. Ich habe mir gedacht, wenn…ich wollte damals Rebecca zeigen, wo ich aufgewachsen war, wo ich in die Schule ging, wo wir gewohnt hatten, und Daniel war damals vier Jahre alt. Dachte mir, ja, ich nehme ihn mit nach Prag. Und so fuhren wir nach Prag, und [19]91 war schon nach dem Fall der Kommunisten. Wir wohnten bei einer anderen Überlebenden, Helga Hoschkowa, und sie hat…ah, wichtig! Niemand zahlte, wir mussten unsere eigenen Reisekosten aufbringen, und habe mir gedacht, naja, warum nicht. Flogen nach Prag, und blieben dort für ungefähr eine Woche, oder so. Ich zeigte Rebecca Prag, ich kenne Prag sehr gut. Als ein Kind, ja, Schüler war ich Reise…nein, Begleiter einer Reisegruppe…nein, eine Touring-Gruppe, wo jemand die Gruppe unterrichtete, und wann auch immer es notwendig war, Deutsch zu unterrichten oder Deutsch Information zu geben, konnte ich es tun. Ich kenne Prag sehr, sehr gut, kulturell, und das heißt…die Gebäude. Ich kann Ihnen genau sagen, welches Gebäude wann, und welche Gegend warum…ich kenne mich aus in Prag. Wir fuhren auch nach Theresienstadt, und kamen zurück hierher.
Und heute sage ich, ich habe keine Notwendigkeit, nach Prag zu gehen. Irgendwie ist es nicht mehr meine Heimatstadt, es war nie meine Heimatstadt, aber es ist nicht die Stadt, in welcher ich aufgewachsen war. Wenn mir jemand die Kosten bezahlt, nach Prag zu gehen, und mir einen guten Grund gibt, warum ich nach Prag fahren sollte, sage ich: „Naja, wenn jemand anderes die Kosten…mache ich es gern.“ Aber nicht aus eigenem Willen, nicht aus eigener Notwendigkeit. Prag ist irgendwo im Hintergrund, wiederum: ich kenne Prag, ich kenne Prager Geschichte, Prager jüdische Geschichte, ich kenne mich aus. Geografie und Historie ist etwas, das mir naheliegt, folglich weiß ich ziemlich viel über böhmische Geschichte, und Prager jüdische Geschichte. Wenn Sie mich prüfen wollten, bin ich bereit die Antworten zu geben, und Jahreszahlen, und anderes auch noch aufzutischen. Aber wie gesagt, das ist meine Verrücktheit, mein Meschuggas. Irgendwo ein Teil meines Funktionierens ist, mich innerhalb des Raumes, und in der Zeit zu orientieren. Wo komme ich her, wohin gehe ich, warum bin ich da, und nicht dort? All diese Sachen spielen herein. Es hilft mir nicht, eine klare Identität zu haben. Ich bin heute Brooklyner, und eine dieser närrischen Mischungen von Zugereisten mit einer wilden Vergangenheit. Fühle mich aber sehr bequem.
13/00:46:30
PR: Wenn Sie heute…um jetzt noch einmal vielleicht zum letzten Mal auf Österreich zurückzukommen. Wenn Sie heute über Österreich, und auch über den Umgang den Österreich mit seiner Geschichte gehabt hat, nach dem Krieg, nachdenken: Wie würden Sie denn heute, 2009, Ihr Verhältnis zu Österreich definieren?
FT: Es wäre kaum gut zu beschreiben. Ich weiß zu wenig vom zeitgenössischen Österreich. Was ich weiß, ist nicht notwendigerweise positiv. Wie ist der Lumpenname? Der aus der Steiermark kommt, oder ist…ja, Sie wissen, von wem ich spreche, dem Jörg [Haider].
PR: Kärnten.
FT: Ja, Kärnten. Jörg [Haider]…vergesse seinen Namen immer…man soll ihn vergessen. [Lacht.] Und glücklicherweise verliere ich meine…mein Gedächtnis ist nicht mehr so scharf, wie es war. Ein bisschen mich…muss ich eine Bemühung machen, mich an Namen zu erinnern. Und der frühere Präsident von Österreich ist auch nicht…what is his name…Sie wissen von wem ich spreche, er war Präsident von der UN [United Nations].
PR: [Kurt] Waldheim.
FT: Waldheim, ja. Ich habe immer viel zu viel gelernt, über den Waldheim. Um es zu akzeptieren, Waldheim ist irgendwie ein Symbol des Österreich, das lange noch in der Vergangenheit lebte. Das heißt, Waldheim ist irgendwie eine der negativen Seiten Österreichs. Und Haider existiert, ja, noch Nazis heute. Und was soll ich damit anfangen? Ich weiß es nicht. Aber jedes Land hat seine Lumpen, und Halunken. Ich lebe hier in Brooklyn, auch hier in Brooklyn sind ein paar Leute, die ich gerne wegschicken würde. Aber mein Verhältnis zu Österreich ist schwebend, nicht präzise, aber mein Verhältnis zu jedem Platz, und jedem Land, ist nicht präzise. Und das würde zum Beispiel auch die jüdische Gemeinde einschließen. Da sind Leute hier, die ich Ihnen billig verkaufen würde. Und ja: „Sie gehören zur jüdischen Gemeinde, kannst sie billig haben, ich will sie loswerden.“ [Lacht.] Ein typischer…irgendwo hatten die Kommunisten ein Wort dafür…sozusagen jemand, der nirgendwohin gehört, and international…ich weiß das Wort nicht mehr. In Russisch, oder in irgendeiner anderen Sprache. Ich fühle mich aber sehr bequem in dieser Rolle.
13/00:50:30
PR: Wir haben ja schon mehrmals festgestellt, dass wir leider auch im Laufe unserer zehn Sitzungen, die wir bis jetzt gehabt haben, nicht alles im Detail besprechen können, so wie wir es gerne besprechen wollen würden. Aber gibt es jetzt für den Moment etwas, das ich vergessen habe, sie zu fragen? Irgendwas, das Sie gerne hinzufügen täten, dem Interview, das wir bis jetzt geführt haben?
FT: Ob ich etwas hätte?
PR: Ja, ob es irgendwas gibt, das Ihnen--
FT: --ich kann da nicht so überlegen. Wenn Sie eine Frage stellen, gibt es eine schnelle Antwort, oder eine oberflächliche Antwort, und es mag auch eine tiefe Antwort geben. Aber die braucht Zeit. Es kommt ein ganz kleines Beispiel. Gute Freunde von mir, die Frau ist Psychologin, fragte mich: „Was wüsste ich über shame?“ Das ist ja schon…das selbst, ist schwer zu übersetzen…ist Schande… Und daraufhin habe ich gesagt: „Ich kann das nicht so schnell beantworten.“ Und habe mich hingesetzt, und habe angefangen zu schreiben. Nach drei Seiten habe ich gesagt: „Es ist zu viel, das Thema ist zu groß, ich kann regulär nicht einfach darüber sprechen, es sei denn über diese oder jene Seite des Themas.“ Und dasselbe gilt, wenn Sie mir eine Frage stellen. Ja, es geht eine schnelle Antwort, sozusagen eine oberflächliche Antwort. Aber Details dauern Zeit. Das Verhältnis zu Österreich, das war eine Ihrer letzten Fragen, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Denn ich bin mir dessen nicht genau bewusst. Ich sollte mich eigentlich zurücksetzen, und einmal darüber nachdenken, auch etwas aufschreiben. Das heißt, was sind die Bestandteile, wo passiert, platziert…nein, falsches Wort…place, wo stellt man die Frage zeitlich, örtlich? Und das sind natürlich die Folgen einer komplizierten Person. Wenn ich ein einfacher Trottel wäre, wäre das soviel einfacher. Hätte ich alle Vorurteile ständig vor mir. [Lacht.]
PR: Es wird ja noch die Möglichkeit geben, sobald das Transkript mal fertig ist, wenn Sie den Wunsch haben, und ich wieder in die Staaten komme, um etwas hinzuzufügen.
FT: Schauen Sie, außerdem, wenn Sie Fragen an mich hätten, schreiben Sie sie auf, oder senden Sie mir eine E-Mail, und ich setzte mich hin und schreibe, so gut ich es eben könnte. Und für mich war dieses Interview, oder ist dieses Interview – es geht ja im Augenblick noch – eine Form der Selbsterkenntnis…in sich selbst hineinzuschauen. Waren Sachen, von denen ich, weiß nicht wieso, halb unbewusst, welche unbewusst da waren, sind plötzlich im Vordergrund. Und sonst so, in gewisser Hinsicht, haben Sie mir eine Wohltat angetan, dass ich mich mit Sachen befasse, welche ich im täglichen Laufe nicht tun würde. Das Interview ist für mich ein positives Ereignis. Ganz abgesehen davon, dass ich auch ein historisches Dokument hinterlasse. Und es mag ziemlich uninteressant sein für jemanden, das heute zu lesen, aber 50 Jahre später mag es plötzlich aus Gründen, über die ich nicht denke, etwas über die Zeit sagen, über mich sagen. Und wo jemand, der es sozusagen von weitem sieht. Ein anderes Bild sieht. So sehe ich das Interview als etwas Wichtiges. Wie wichtig, wer weiß. Es mag auch über 50 Jahre von jetzt, wenn jemand das anschaut, und sagt: „Das ist doch Schund. Wirf das weg. Belaste nicht die Geschichte mit diesen Sachen.“ Andererseits, wer weiß.
PR: Ja, dann vielen Dank.
[Übergang/Schnitt.]
Ende des Interviews.
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Download (132 KB) Image Terna with his first wife Stella in Paris around 1950. |
Download (235.18 KB) Image Terna with his colleagues from Joint, in Paris around 1949/50. |
Download (87.51 KB) Image Terna in New York in the late 1970s. |
Download (1.21 MB) Image Terna and his wife Rebecca at their wedding in New York. |
Download (132.05 KB) Image Terna with his wife Rebecca and his son Daniel in New York, around 2005. |